Snowboard-Star Anna Gasser: "Ich darf nicht stehen bleiben“
Wer Anna Gasser beim Snowboarden zuschaut, dem kann leicht schwindlig werden. So wild und wagemutig wie sich die 29-jährige Kärntnerin mit ihrem Brett durch die Luft dreht und dabei nie die Körperbeherrschung zu verlieren scheint. Und geht’s auch noch so drunter und drüber wie zum Beispiel beim Cab Double Cork 1260.
Gleich dreieinhalb Mal dreht sich die Olympiasiegerin von 2018 bei diesem Sprung um die eigene Achse, und als wäre das nicht schon schwierig und spektakulär genug, streut sie quasi im Vorbeispringen auch noch zwei Salti ein.
Im Versuchslabor
Anna Gasser ist die erste und zugleich auch die einzige Boarderin, die den Cab Double Cork 1260 stehen konnte und seit dem Jungfernflug im Frühjahr 2019 lässt sie dieser Trick nicht mehr los.
Denn die Pionierarbeit ist das eine, zur hohen Freestyle-Kunst wird dieser anspruchsvolle Sprung erst, wenn er ihr leicht von der Hand geht und auch im Wettkampf funktioniert. „Es geht darum, dass ich den Trick auch dann abrufen kann, wenn ich müde bin oder die Verhältnisse nicht perfekt sind. Der Körper muss wissen, was er zu tun hat.“
Und genau deshalb mietete sich die Kärntnerin über den Sommer in Scharnitz bei Seefeld ein. Der dortige Banger-Park, eine europaweit einzigartige Schanzenanlage, bei der die Sportler ihre Sprünge in riesigen, weichen Luftkissen landen können, ist das ideale Versuchslabor für Höhenfliegerinnen wie Anna Gasser, die ihre Grenzen immer weiter nach oben verschieben wollen.
Karriere
Anna Gasser (*16. August 1991 in Villach) war Kunstturnerin, ehe sie als Teenager ihre Liebe zum Snowboardsport entdeckte
Pionierleistungen
Als erste Boarderin stand sie 2013 einen Cab Double Cork 900 (doppelter Rückwärtssalto mit zweieinhalb Schrauben) bzw. 2018 den Cab Triple Underflip 1260 (dreifacher Rückwärtssalto mit halber Drehung)
Erfolge
Im Big Air wurde sie 2017 Weltmeisterin, 2018 holte Gasser in diesem Bewerb Olympia-Gold. Vier Mal gewann sie die X-Games, die Winterspiele der Action- und Extremsportler. In den Jahren 2017 und 2018 war Gasser Österreichs Sportlerin des Jahres.
Im Aufwind
„Es gibt immer Luft nach oben. Und wenn man so trainieren kann, dann steigt das Niveau aller Mädels automatisch. Für mich bedeutet das: Der Vorsprung, den ich mir erarbeitet habe, als es diese Anlagen noch nicht gegeben hat, wird schnell kleiner.“
Doch vorerst ist Anna Gasser im Big-Air-Bewerb noch immer die Königin der Lüfte und schwebt in anderen Sphären. Die 29-Jährige ist in dieser Disziplin Weltmeisterin und Olympiasiegerin und hat vier Mal die X-Games gewonnen, die Winterspiele der Extremsportler. Was treibt sie an? Was schwebt ihr vor? Und wie hat der Olympiasieg ihr Leben verändert?
Anna Gasser über ...
... die Entwicklung im Freestyle-Snowboarden
„2013 war ich die Einzige, die den Double Cork 900 gesprungen ist. Inzwischen ist der Sprung Standard, von den Top Ten kann den jeder. Mit der Leistung von damals würde ich heute nichts mehr gewinnen. Auch ich darf mir nicht erlauben, stehen zu bleiben. Es wird für mich von Jahr zu Jahr schwerer, weil sich die Jüngeren extrem gut entwickeln.“
... den Druck als Olympiasiegerin
„Ich bin sogar eher der Meinung, dass durch meinen Olympiasieg 2018 extrem viel Druck von mir abgefallen ist. Diese Goldmedaille hat mich lockerer gemacht. Davor war ich fast ein wenig verbissen, weil ich diesen Erfolg unbedingt haben wollte. Ich habe mir selbst keine Pausen gegönnt, weil mir der Olympiasieg so wichtig war. Jetzt weiß ich: Diesen Sieg kann mir keiner mehr nehmen. Das tut gut.“
... Motivationsprobleme
„Keine Angst, mein Hunger und meine Motivation sind noch sehr groß. Ich glaube, das hängt auch damit zusammen, dass ich erst spät mit dem Snowboarden angefangen habe. Vielleicht würde es mir sonst schon zum Hals raus hängen.“
... ihre neuen Tricks
„Da reden wir dann schon eher von Jahresprojekten. Es dauert einfach seine Zeit bis man einen Sprung auch wirklich im Bewerb zeigt. Es ist ein extrem schmaler Grat und eine der schwierigsten Dinge im Wettkampf: Nämlich abzuwägen, wie viel braucht es, um zu gewinnen. Soll ich riskieren und einen neuen Sprung präsentieren oder gehe ich doch besser auf Nummer sicher und zeige einen Sprung, den ich schon oft gemacht habe.“
... die Saisonplanung in Zeiten von Corona
„Der Vorteil von uns Freestylern ist: Wir sind ziemlich spontan. Natürlich hoffe ich, dass Bewerbe stattfinden und dass ich im Wettkampf zeigen kann, wie ich mich über den Sommer entwickelt habe. Aber sollte es nicht so kommen, dann habe ich genug andere Pläne für den Winter. Ich hätte dann Zeit für mein Filmprojekt mit Red Bull oder fürs Tiefschneefahren.“
... ihre Popularität
„Eigentlich bin ich dankbar, dass ich mit diesem Sport in Österreich diesen Status erreichen konnte. Wenn mich wer erkennt, dann fühle ich mich geehrt. Und verglichen mit einem Marcel Hirscher kann ich ein sehr normales Leben führen.“
... eine Karriere als Alpinboarderin
„Gegen jemand anderen ein Rennen zu fahren, das hat mich nie gereizt. Ich bin im Herzen eine Freestylerin und bevor ich Snowboardrennen fahre, mache ich das, was ich jetzt mache, mit Skiern.“
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