Am Mittwoch sind es noch 100 Tage bis zum Beginn der Winterspiele in Peking. Und noch sind viele Fragen offen. Das Österreichische Olympische Komitee rechnet mit einer Teamgröße von 110 Athletinnen und Athleten. Delegationsleiter Christoph Sieber hält 14 bis 17 Medaillen für möglich und einen Platz unter den besten zehn Nationen. "Mit Anna Gasser, David Gleirscher und Matthias Mayer rechnen wir mit drei aktuellen Olympiasiegern, die auch in Peking mit dabei sein sollten."
Zwei davon standen dem KURIER für ein Doppelinterview zur Verfügung. Anna Gasser, die 2018 Gold bei der Big-Air-Premiere für die Snowboarder gewann und David Gleirscher, der in Pyeongchang als Außenseiter zu Gold im Einsitzer rodelte. Zwei Goldmedaillen-Gewinner, zehn Fragen.
1. Welche Emotionen löst der Olympiasieg heute noch bei Ihnen aus?
Anna Gasser: "Da kommen tatsächlich viele Emotionen hoch und Erinnerungsfetzen. Einerseits bin ich unglaublich stolz, dass ich dieses Ziel erreicht habe. Olympiasiegerin bin ich mein Leben lang, das kann mir keiner mehr nehmen. Ich fand’s auch super, dass meine Familie mit vor Ort war, das hat es noch spezieller für mich gemacht, dass ich diesen Moment mit meinen Liebsten feiern konnte."
David Gleirscher: "Die Goldmedaille habe ich im Wohnzimmer, ich sehe sie also jeden Tag. Und speziell jetzt, wo die Olympischen Winterspiele in Peking immer näher kommen, löst es bei mir große Emotionen aus, weil ich mich oft an die Spiele in Korea erinnere. Ich bin stolz, dass ich das erreicht habe."
2. Hat der Olympiasieg Ihr Leben, Ihre Karriere verändert?
Gasser: "Es ist schon unglaublich, was ein Olympiasieg für einen Rummel auslöst. Das Medieninteresse war natürlich enorm, und das nicht nur in Österreich. Ich werde seitdem viel mehr erkannt, wenn ich unterwegs bin. Gerade in Österreich. Daran musste ich mich erst gewöhnen. Auch meine Social-Media-Accounts sind über Nacht explodiert. Das war total verrückt."
Gleirscher: "Ich könnte jetzt nicht sagen, dass der Olympiasieg mein Leben großartig verändert hat. Speziell im Jahr danach hatte ich deutlich mehr Medientermine, das war ich so vorher nicht gewohnt. Daran kann man schon erkennen, dass Olympia eine ganz andere Bühne ist als eine WM. Die Wahrnehmung unseres Sports ist eine andere. Ich habe auch ein bisschen Druck verspürt, weil es geheißen hat: Der ist Olympiasieger, war aber im Weltcup noch nie am Podest."
3. Wie oft werden sie auf der Straße erkannt und auf die Goldmedaille angesprochen?
Gasser: "Wie schon erwähnt, werde ich viel öfter angesprochen auf der Straße. Überrascht hat mich, dass sich dies durch alle Altersstufen zieht. Ich find’s cool, denn es zeigt, dass Snowboarden mittlerweile allen ein Begriff ist."
Gleirscher: "Natürlich wird man manchmal angesprochen, aber wir sind als Rodler Gott sei Dank nicht in der Position wie ein Skifahrer, den dann in Österreich plötzlich jeder kennt."
4. Konnten Sie die Goldmedaille auch versilbern?
Gasser: "Das Interesse an meiner Person ist natürlich auch bei Sponsoren größer geworden und ich habe neue Partner gefunden. Dafür bin ich dankbar."
Gleirscher: "Wir reden immer noch vom Rodeln. Meine Situation ist vielleicht minimal besser als vorher, ich bin froh, dass ich langjährige Partner habe."
5. Wie sehr beschäftigen Sie sich bereits mit den Winterspielen in Peking?
Gasser: "Ich bin mittendrin im Training für Peking und bereite mich bestmöglich vor. Als Titelverteidigerin im Big Air anzutreten, gibt mir zwar eine gewisse Gelassenheit, aber abschneiden will man doch gut, da kann ich nicht aus meiner Haut. Im Slopestyle möchte ich definitiv ein besseres Ergebnis erreichen als bei den letzten Spielen."
Gleirscher: "Seit der Sommervorbereitung habe ich Olympia wieder im Blick. In unseren Trainingsräumen hängen auch überall Bilder von der Bahn in China. Und wir werden im Weltcup auch schon früh mit Peking konfrontiert, weil wir den Auftakt dort fahren und weil wir eine interne Quali haben. Wir haben fünf Herren, die schon Weltcuprennen gewonnen haben, das wird nicht einfach, es überhaupt zu Olympia zu schaffen."
6. Sehen Sie es als Vorteil, dass Sie bereits Olympiasieger sind, oder steigt dadurch die Erwartungshaltung?
Gasser: "Wie schon gesagt, ich habe die Goldmedaille, die kann mir keiner mehr nehmen. Natürlich ist eine Erwartungshaltung da, aber bei den letzten Spielen war der Druck für mich persönlich größer. Dieses Mal kann ich es ein wenig lockerer angehen."
Gleirscher: "Die Goldmedaille nimmt mir keiner mehr, und das ist gut, zu wissen. Natürlich wird im Vorfeld der Druck auf mich steigen, dann wird vom Olympiasieger die Rede sein und gefragt werden, wie’s mit der Titelverteidigung ausschaut. Ich bin damit in den letzten Jahren gut umgegangen. Was ich positiv mitnehme: Olympia ist bei uns Rodlern ein spezielles Rennen, weil es nur bei den Spielen vier Läufe gibt. Ich weiß seit Südkorea, dass ich damit gut umgehen kann."
7. Sie zählen zu den wenigen Athleten, die die Sportstätten in China bereits kennen: Was kann man sich von den Spielen erwarten?
Gasser: "Ich bin schon bei einigen Big-Air-Bewerben in China mit dabei gewesen. Das Set-Up war immer in Ordnung und auch für mich ist es immer ganz gut gelaufen. Ich gehe davon aus, dass die Veranstalter dafür sorgen, dass wir gute Bedingungen vorfinden werden."
Gleirscher: "Es ist schön dort und man kann die Region durchaus mit Wintersport in Verbindung bringen. Wir werden nur einen engen Bewegungsradius haben, nämlich vom Hotel zur Bahn, das war auch schon so, wie ich im letzten Jahr dort war. Grundsätzlich glaube ich, dass alles perfekt organisiert und nichts dem Zufall überlassen wird. Und optisch ist diese Bahn ein Wahnsinn."
8. Olympia 2022 wird im Zeichen von Corona stehen. Muss man sich als Sportler speziell darauf einstellen?
Gasser: "Wir kennen das Prozedere ja schon von der letzten Saison. Bei den Bewerben, die stattfanden, war Testen alle paar Tage gang und gäbe. Beim ersten Big-Air-Weltcup letztes Wochenende wurde ein PCR-Test verlangt, egal ob geimpft oder nicht. Da muss man sich jetzt nicht besonders drauf einstellen. Und wenn die Nachrichten stimmen, darf man ungeimpft eh nicht zu den Olympischen Spielen. Schade ist, dass es vermutlich weniger internationale Zuschauer geben wird aufgrund der momentanen Einreisebestimmungen."
Gleirscher: "Es werden sicher andere Winterspiele als 2018 in Korea. Aber wir sind die Corona-Maßnahmen seit einem Jahr gewohnt, mit Masken am Start und im Zielbereich, mit Tests, und, und, und. Schade, dass die Olympischen Spiele nicht dieses Flair haben werden wie sonst. Sportlich wird Corona keine Auswirkungen haben."
9. Wie intensiv verfolgen Sie die Karriere des/der anderen?
Gasser: "Wenn die Frage dem Rodeln gilt, muss ich gestehen, dass ich nicht ganz auf dem Laufenden bin. Was meinen Freund Clemens (Anmerkung: Snowboarder Clemens Millauer) betrifft, habe ich seine Karriere natürlich im Auge. Wenn es um die anderen Mädels im Weltcup geht, interessiert es mich schon, was die so machen. Über Instagram ist man immer gut informiert, außerdem trainieren wir im Sommer gemeinsam, da kann man sich ein gutes Bild machen, wo man steht.
Gleirscher: "Ich bin generell sehr am Wintersport interessiert, wobei ich zugeben muss, dass ich nicht der extreme Freestyle-Fan bin. Natürlich verfolge ich die Karriere von Anna Gasser. Sie ist in ihrem Sport eine Lichtgestalt. Und es ist faszinierend, was sie aufführt. Da fahre ich lieber mit 140 km/h durch den Eiskanal, bevor ich mich über so eine Big-Air-Schanze drüber haue."
10. Was würden Sie gerne über den/die andere wissen?
Gasser: "Was mich beim Rennrodeln fasziniert, sind die hohen Geschwindigkeiten. Daher würde mich interessieren, wie es David schafft, cool zu bleiben, wenn sich bei 130 km/h Probleme wie zum Beispiel ein kleiner Fahrfehler einschleicht, der ja meist große Auswirkungen hat."
Gleirscher: "Mich würde es interessieren, wie lange es braucht, bis sie so einen Trick einstudiert hat. Und ob sie schon jetzt weiß, welchen Sprung sie bringt, wenn sie in Peking im Finale oben steht."
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