„Ich rede normalerweise sehr wenig und gebe auch keine Statements ab“, sagt Vincent Kriechmayr, aber das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich ist der Mann, der sich in der Öffentlichkeit gerne so wortkarg gibt, ein einziges Statement: Amtierender Weltmeister im Super-G, Weltmeister in der Abfahrt, Gewinner der kleinen Kristallkugel im Super-G-Weltcup – wenn einer im letzten Winter ein lautes Wörtchen um die Trophäen und Triumphe mitzureden hatte, dann war es Vincent Kriechmayr.
Trotz der eindeutigen Sachlage will der Oberösterreicher nichts davon wissen, dass er der beste Speedfahrer der Gegenwart ist. Er möchte, ganz seinem Naturell entsprechend, nichts davon hören, dass es in dieser Tonart weiter geht, wenn am Freitag in Lake Louise auch die Abfahrer in die Saison starten. Und ihm ist es sichtlich unangenehm, wenn er auf durchaus realistische Fernziele wie einen Gewinn im Gesamtweltcup angesprochen wird.
„Moment“, sagt der Doppelweltmeister und wird dabei für einen Moment etwas energischer, „es ist nicht so, dass ich die Siege einfach so aus dem Hut zaubere. Ich kann mich nicht treiben lassen und mich einfach nur darauf verlassen, dass ich es eh drauf habe.“
Frühform
Doch bei Vincent Kriechmayr besteht ohnehin nicht die Gefahr, dass er die Zügel schleifen lässt. Der 30-Jährige ist dermaßen ehrgeizig und selbstkritisch, dass er auch an der erfolgreichen letzten Saison noch jede Menge auszusetzen hatte. „Ich muss vor allem in der Abfahrt konstanter werden.“
Konstanz ist das eine Zauberwort, Frühform das andere. Wer in diesem Winter um die Kristallkugeln in Abfahrt und Super-G mitmischen will, der sollte schon am Wochenende in Lake Louise und eine Woche später in Beaver Creek seine Karten aufdecken.
Sechs Rennen finden in Übersee statt, das ist ein Drittel aller Speedbewerbe in diesem Weltcupwinter. „Die Spezialisten müssen am Anfang schon richtig in Form sein“, sagt ÖSV-Cheftrainer Andreas Puelacher, „da gibt’s heuer so viele Punkte zu vergeben. Nach Beaver Creek kann man schon einmal einen Strich machen und eine erste Bilanz ziehen.“
Chancengleichheit
Das Trikot des Weltcupgesamtführenden sollte bei der Rückkehr aus Nordamerika im Besitz eines ausgewiesenen Speedspezialisten sein. Und es besteht durchaus die Chance, manche Skiexperten sagen sogar: die Hoffnung, dass am Ende des Winters jemand aus der Riege der Abfahrer die große Kristallkugel in die Höhe stemmen darf.
In der langen Weltcuphistorie ging der Sieg im Gesamtweltcup erst zweimal an Läufer aus dem Speedsektor: Luc Alphand (FRA/1997) sowie Aleksander Aamodt Kilde (NOR/2020). Die Reform des Weltcupkalenders – in dieser Saison finden jeweils 18 Technik- (Slalom, Riesentorlauf) und Speedbewerbe (Abfahrt, Super-G) statt – erhöht die Chancengleichheit und erweitert das Feld der Kandidaten. „Es ist definitiv fairer geworden, aber ich habe keine Ambitionen. Dafür bin ich in der Abfahrt zu oft hinterhergefahren“, sagt Kriechmayr.
Chefcoach Andreas Puelacher sieht es anders. „Ich möchte, dass unsere Leute parat sind, wenn die Favoriten wie Alexis Pinturault oder Marco Odermatt schwächeln. Und dazu sind wir in der Lage. Vincent Kriechmayr und Matthias Mayer können permanent aufs Podest fahren.“
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