Anna Veith: "Im Knie ist ein Ersatzteil eingebaut, das scheppert"
„Das Wegfahren von daheim ist gerade die größte Herausforderung“, sagt Anna Veith. Vor drei Monaten kam Söhnchen Henry auf die Welt, „bis jetzt war er immer dabei, wenn ich irgendwo unterwegs war. Ich stille ja noch“, erzählt die Jung-Mama.
Als die 32-Jährige an diesem Montag am Salzburgring einen Interviewtermin für einen ihrer Sponsoren wahrnimmt, passen ihr Ehemann Manuel und die Oma daheim in Rohrmoos auf den Kleinen auf. „Aber der Henry ist eh so entspannt und brav“, sagt Anna Veith, die heute Mentorin, Unternehmerin und gefragtes Werbetestimonial ist, in ihrem ersten ausführlichen Interview seit der Babypause. Mit dem KURIER sprach Anna Veith über ...
... ihr Leben als Mutter
„Ich genieße das Mama-Sein. Wenn man das erste Kind bekommt, dann malt man sich einiges aus: Wie wird es sein? Was kommt jetzt auf einen zu? Jeder sagt dir ja auch, dass sich mit einem Kind das Leben um 180 Grad dreht. In Wahrheit trifft nichts von dem zu, was man sich vorgestellt hat. Du hast ja keine Vorstellung, was das mit deinen Emotionen macht, was für eine enge Bindung du zum Kind aufbaust. Das war für mich alles viel intensiver als gedacht.“
... die größten Umstellungen
„Als Mama verschieben sich klar die Prioritäten, und man stellt sich selbst ganz weit zurück. Also genau das Gegenteil dessen, was ich als fast mein ganzes Leben lang als Sportlerin gewohnt war. Da muss man ja immer zuallererst auf sich schauen, auf seinen Körper achten. Man muss Entscheidungen treffen, die teilweise auch sehr egoistisch sind. Jetzt ist es genau umgekehrt. Man trifft die Entscheidungen nicht für sich, sondern für jemand anderen. Und das ist eine ganz schöne Erfahrung.“
...ihre Gedanken zum Klimawandel
„Die Zukunft der Kinder beschäftigt mich sehr, das muss uns alle beschäftigen, weil wir sehen und erleben, wie weit der Klimawandel vorangeschritten ist. Mit jedem einzelnen Schritt, der eine Verbesserung bringt, und ist er noch so klein, können wir gemeinsam etwas erreichen. Ich habe mich zum Beispiel schon vor einem Jahr dazu entschieden, elektrisch zu fahren. Ich würde heute nicht mehr tauschen. Ich versuche, bewusster zu leben und im Alltag öfter Entscheidungen zugunsten der Nachhaltigkeit zu treffen. Es wäre fatal, sich nicht damit zu beschäftigen.“
... ihre Vorbildfunktion
„Das Wichtigste ist, dass ich es vorlebe. Unsere Kinder machen uns ja ziemlich viel nach, daher ist es wichtig, als Elternteil seiner Vorbildfunktion nachzukommen und gewisse Werte und Ansichten weiterzugeben. Wir leben heute generell im Überfluss, auch das soll und muss man überdenken: Brauche ich wirklich immer etwas Neues? Oder kauft man nicht besser einmal was Gescheites und hat es dafür länger? Laut einer Studie hat jeder Haushalt 10.000 Stück, Gewand, Geschirr, und, und, und. Braucht man das wirklich alles? Ich glaube, das sind Dinge und Themen, die jetzt überdacht werden und die sich ändern werden. Und wir sind da gerade mittendrin.“
...ihre Popularität
„Die Basis waren sicher meine sportlichen Erfolge. Und dann war ich halt auch eine, die sich etwas zu sagen getraut hat. Das hat die Leute interessiert, das hat schon 2011 bei der Weltmeisterschaft in Garmisch Gehör gefunden, als ich nach meiner ersten Goldmedaille bei der Pressekonferenz beschrieben habe, wie es mir gegangen ist und wie schwierig mein Weg war. Damals habe ich auch ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel ein wenig angegriffen. Aber er hat dann zu mir nur gemeint: ,Du hast schon Recht mit dem, was du gesagt hast.‘“
... den kommenden Winter
„Ich glaube, dass uns der Winter die neue Normalität zeigen wird. Im Skiweltcup wird es sich wieder normalisieren mit den Zuschauern. Aber es wird eben die Impfung brauchen, es wird getestet werden, es wird die Maske kommen. All diese Dinge halt. Die Reiserei wird vorerst kompliziert bleiben, aber ich denke und hoffe, dass alles offen bleibt – auch bei uns im Hotel. Aber dass man jetzt sagen kann, es wird wieder wie vor Corona – das wird es nicht geben. Wir werden uns mit gewissen Dingen abfinden müssen.“
… den Skiweltcup und die Olympischen Winterspiele in Peking „Jene Athleten, die sich am schnellsten mit neuen Situationen und Herausforderungen anfreunden, werden sich am leichtesten damit tun, die Leistung zu bringen. Das wird gerade bei den Olympischen Spielen in Peking wichtig, weil niemand die Strecken kennt und keiner weiß, was auf ihn zukommt. Man kann sich nur darauf einlassen. Das mussten wir mit unserem Hotel im vergangenen Jahr auch machen mit all den neuen Verordnungen, die es immer wieder gab. Man kann es nicht ändern, deshalb muss man sich auf die neue Situation einstellen und das Beste herausholen.“
… Aufrufe an Sportler, die Winterspiele in China zu boykottieren „Ich kann ja nachvollziehen, warum man Athletinnen und Athleten zu diesem Thema befragt: Weil sie eine gewichtige Stimme haben. Ich finde es auch gut, wenn man das nutzt und seine Meinung sagt. So gut ich grundsätzlich klare Statements finde, so leichtgläubig finde ich es, wenn man meint, dass die Athleten etwas ändern könnten, indem sie nicht hinfahren. Das ist ein Blödsinn. Nur weil ein Sportler die Olympischen Spiele boykottiert, wird sich in diesem Land nichts ändern. Aber man kann zumindest mit Statements darauf aufmerksam machen, damit die Gesellschaft hinschaut, damit dann vielleicht auch im jeweiligen Land ein sukzessives Umdenken passiert. Aber ein Verzicht ändert nichts.“
… den Status quo des Skisports „Das Format des alpinen Skisports hat natürlich eine große Tradition, aber ich finde schon, dass es ein bisschen jünger und dynamischer sein könnte. Man könnte in der Vermarktung, medialen Darstellung und im Erlebnischarakter der Sportart viel mehr in Richtung junge Zielgruppe machen. Nehmen wir Kitzbühel: Die Hahnenkammrennen sind so gut aufgezogen und vermarktet, dass sie bei den Athleten einen enormen Stellenwert haben. Und dann gibt es wieder Rennen wie in Lake Louise. Es ist zwar schön, dass wir in Kanada fahren, aber das hat ja fast keine Relevanz, wenn du vor 20 Zuschauern Weltcup fährst. Das könnte man im Gesamten anders angehen, und das hätte sich jeder Weltcuport und auch der Athlet verdient, der sein Leben oder seine Gesundheit riskiert.“
… Ideen für eine bessere Vermarktung „Als Fernsehkonsument kann man sich nicht vorstellen, was der Rennläufer da in Wahrheit leistet. Bei Autorennen sieht man, dass das eine ganz andere Welt ist als Autofahren im Straßenverkehr. Ich habe zuletzt bei der Formel-1-Übertragung eine Kamera im Helm von Fernando Alonso gesehen. Da hat man einmal ungefähr mitbekommen, was der Fahrer die ganze Zeit spürt, welchen Belastungen er ausgesetzt ist. Sonst hat man ja immer nur den Eindruck, dass das Auto ruhig gleitet. Beim Skifahren ist das ähnlich. Die Herausforderung wäre, das auch im Skisport dem Konsumenten näherzubringen. Aber das ist halt schwierig.“
… Typen im Sport „In der heutigen Medienlandschaft mit dem Internet und Social Media ist man als Sportler viel mehr ausgesetzt. Viele trauen sich nicht mehr, so viel von sich zu geben, weil man dermaßen angreifbar ist. Bestes Beispiel ist Manuel Feller: Der gibt sich so, wie er ist, und traut sich, er selbst zu sein. Ich persönlich finde das cool, aber es gibt halt leider auch genug Leute, die dann online etwas Blödes schreiben. Das musst du als Sportler dann erst einmal aushalten. Man muss sich heute noch mehr unter Kontrolle haben und versuchen, seine Emotionen nicht mehr so zu zeigen, weil man sich sonst auf Social Media oder generell medial angreifbar macht. Ich finde das schade, eigentlich sogar schlimm, weil man sich so als Sportler und Mensch ja nicht weiterentwickeln kann. Rollen einzunehmen ist in keiner Lebenssituation gut.“
… die Nachwehen ihrer schweren Knieverletzung „Für das, was ich hatte, geht es mir eigentlich gut. Auch wenn ich nach wie vor nicht laufen kann, ich kann auch nicht auf dem Boden knien. Es ist halt nicht mehr alles original in meinem Knie, es ist ein Ersatzteil eingebaut, und das scheppert halt manchmal.“
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