Zuschauermassen: Ist Österreich wirklich eine Sportnation?
75.000 Zuschauer beim Wiener Tennisturnier, obwohl die Lokalmatadore Dominic Thiem und Sebastian Ofner vorzeitig von der Stadthalle Abschied nahmen.
Doppelt so viele Zuschauer bei der Austria wie einst in der Meisterära von Herbert Prohaska, obwohl dessen violette Nach-Nach-Nachfolger mit Austria im Mittelfeld liegen.
Mehr als doppelt so viel Zuschauer bei Rapid wie zu Hans Krankls glor- und torreichen Zeiten, obwohl die aktuellen Grün-Weißen die regelmäßig erscheinenden 18.000 Fans für ihre Treue seit elf Wochen mit keinem Heimsieg belohnen.
15.000 beim Damen-Ski-Rennen auf dem Söldener Gletscher, obwohl keine Chance auf einen Podestplatz für den ÖSV bestand. In das steigende Publikumsinteresse ließe sich hineininterpretieren, dass sich der sorgengeplagte Österreicher nach Ablenkung sehnt, die er im Sport findet.
Nein. Ein Vergleich mit April 1945, als auf dem WAC-Platz im Prater vor vollen Tribünen WAC-Spieler und Austrianer noch wegen eines Eckballes stritten, während der Himmel am südöstlichen Stadtrand Wiens schon rot gefärbt war von sowjetischem Granatfeuer, wäre unangebracht. Auch wenn frustrierte Leute behaupten, dass sie wegen der Inflation an innenpolitischem Gezänk und außenpolitischem Horror bei der „Zeit im Bild“ abschalten würden (was sie dann doch nicht tun).
Unangebracht
Sportlern wiederum missfällt, dass in der wichtigsten TV-Nachrichtensendung des Landes der Sport nur dann ins Bild kommt, wenn es gilt, Negatives zu vermelden. Wie über den spanischen Küsserkönig und (inzwischen für drei Jahre gesperrten) Fußballpräsidenten Luis Rubiales, dessen Fehlverhalten beim Frauen-WM-Finale im Sommer tagelang den ORF-World-News eine Spitzenmeldung wert war.
Oder wie jüngst über den 30. Weltcupsaisonauftakt in der Söldener Gletscherregion, der von Umweltschützern und grüner Politik dermaßen hartnäckig kritisiert wurde, dass man es im touristisch orientierten Westen des Landes als geschäftsschädigendes Ski-Bashing empfand.
Das Umwelt-Thema wird den Skiskizirkus die ganze Weltcup-Saison begleiten.
Ehe es am kommenden Wochenende 3.000 Meter über dem Meer in der schweizerisch-italienischen Gletscherregie zu ersten grenzüberschreitenden Weltcupabfahrt kommen wird, verspricht bei ServusTV im Hangar-7 ein Verbal-Duell am Montag Brisanz: Auf der einen Seite befindet sich der außergewöhnlich erfolgreich gewesene ehemalige ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel, 82; auf der anderen der außergewöhnlich umweltbesorgte ÖSV-Abfahrtspilot Julian Schütter, 25, der sich den Klimaklebern anschloss.
Brisant
Zweifellos ist es legitim zu fragen, ob wirklich jeder Gipfel per Lift und Gondel erreichbar sein muss, ob wirklich jedes Hügerl besprüht werden muss mit Maschinenschnee, der bis in April hinein hält wie Beton.
Vergleichsweise seltener als die (dem Staat im Wintertourismus Steuermilliarden einbringende) Skifahrerei wird freilich der Flächenfraß angeprangert. Obwohl täglich hierzulande bereits in der Größe von drei Fußballfeldern verbaut wird. Bloß ein echtes Fußballfeld selbst ist selten bis nie darunter.
Österreich ist keine Sportnation, sondern Weltmeister im Zubetonieren.
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