ÖSV-Fahrer und Klimaaktivist Schütter: "Habe einen Nerv getroffen"
Skifahrer Julian Schütter fühlt sich nach seinem offenen Brief an den Weltverband bestätigt. Hasspostings wertet er gar als Erfolg. Auf die Straße kleben würde er sich nicht.
KURIER: Sie haben mehr Schlagzeilen geschrieben als viele ihrer Kollegen.
Julian Schütter: Diesen Eindruck habe ich auch. Ich habe schon geahnt, dass zwangsläufig Interesse an meinem Klimaaktivismus entstehen wird, wenn ich gut genug im Weltcup fahre. Aber dass es dann solche Dimensionen annimmt, habe ich nicht kommen sehen.
Sie waren ja auch international sehr gefragt.
Vor allem die deutschen Medien hatten großes Interesse. Die Zeit hat eine große Geschichte geschrieben, als Skifahrer hätte ich es wahrscheinlich nie in diese Zeitung geschafft. Im Spiegel war eine Doppelseite. Für mich persönlich ist das ein riesiger Erfolg und hat einen Stellenwert wie ein Stockerlplatz im Weltcup.
Bei der WM haben Sie der FIS einen offenen Brief übergeben, der von über 400 Athleten unterschrieben wurde. Glauben Sie, dass Präsident Johan Eliasch Ihr Schreiben tatsächlich gelesen hat?
Ob er selbst ihn wirklich gelesen hat, weiß ich nicht. Ich stehe aber im Kontakt mit dem Präsidentenbüro der FIS. Und die haben ihn mit Sicherheit gelesen.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie ernst genommen werden, oder wird Ihr Engagement womöglich da und dort als Spinnerei abgetan?
Als Spinnerei sicher nicht. Ich denke schon, dass die FIS-Verantwortlichen verstanden haben, worum es uns geht. Es stehen ja auch sehr viele Athleten dahinter, das ist ein Zeichen, dass es uns ernst ist. Und zugleich ist das auch ein Signal, dass sich die FIS Gedanken machen muss. In der Kommunikation ist die FIS aber im Moment noch eher auf Verteidigungsmodus.
Welche konkreten Hoffnungen haben Sie?
Beim FIS-Kongress im Mai stehen wichtige Entscheidungen an – was die Rennplanungen und die Wettkampfkalender für die nächsten Saisonen angeht. Ich hoffe, dass endlich Entscheidungen auf Basis von Nachhaltigkeit getroffen werden.
Julian Schütter (* 14. März 1998) stammt aus dem Ennstal. Er lebt aktuell in Innsbruck, ernährt sich vegetarisch und studiert Wirtschaftsingenieurswesen mit Schwerpunkt erneuerbare Energien an einer Fernhochschule in Stuttgart.
13 Weltcuppunkte holte der Speed-Spezialist im Dezember mit Rang 18 im Super-G von Beaver Creek (USA). Es war seine bisher beste Platzierung im Weltcup. Aktuell gehört Schütter dem B-Kader im ÖSV an. Im Jahr 2019 gewann er Silber in der Abfahrt bei der Junioren-WM.
Zum Beispiel?
Dass man nicht wie heuer in einer Saison zweimal nach Nordamerika fliegt. Aber am wichtigsten ist die mittelfristige Strategie bis 2030.
Dem gegenüber stehen die Ambitionen von FIS-Präsident Eliasch, der neue Märkte wie China erobern will.
Ich stelle mich jetzt nicht hin und sage: Der Skisport darf nicht expandieren und er darf keine neuen Märkte erobern. Ich als Europäer kann ja den Chinesen schwer vorschreiben, ob sie Skifahren oder Rennen veranstalten dürfen. Das ist das bevölkerungsreichste Land der Welt. Es geht einfach darum, dass wir einen Plan haben, wie wir in den nächsten Jahren unsere Emissionen reduzieren.
Wie fallen die Reaktionen aus? Glauben Sie, dass sie einigen auf die Nerven gehen?
Ich gehe mit Sicherheit einigen ziemlich auf die Nerven. Wahrscheinlich hat sich auch der eine oder andere Sportler durch mich gestresst gefühlt, weil er nicht sicher war, ob er den offenen Brief unterschreiben soll. Ich kann mir vorstellen, dass es einigen nicht gepasst hat, dass sie sich plötzlich über dieses Thema Gedanken machen müssen.
Warum glauben Sie das?
Die gängige Meinung ist ja eher die, dass man als Einzelner sowieso nichts verändern kann und dass es auch nicht die Aufgabe von Sportlern ist, über solche Themen zu reden. Ich kann das durchaus nachvollziehen, wenn jemand andere Sachen im Kopf hat.
Ihnen hingegen scheint das Umweltthema aber sehr zuzusetzen.
Weil mir halt auch schon länger bewusst ist, welche Katastrophe da auf uns zukommt. Und das macht mir ehrlicherweise große Sorgen. Und es hat mich zusätzlich gestresst, dass ich überdurchschnittlich viel zu diesem Problem beitrage.
Weil Sie Skifahrer sind?
Genau. Das hat mich mental manchmal richtig fertiggemacht. Ich war schon ein paar Mal an dem Punkt, an dem ich deshalb alles hinschmeißen wollte. Ich habe mir die Frage gestellt: Warum tu’ ich mir das alles überhaupt an, wenn ich eh so viel Schaden anrichte? Warum stecke ich so viel Arbeit in etwas, das eh nur schlecht ist?
Aber Sie fahren immer noch.
Weil ich irgendwann erkannt habe, dass ich den Skisport als Bühne nutzen kann. Das war in den letzten Jahren meine größte Motivation als Skifahrer. Ich habe im Moment den Eindruck, dass ich wirklich etwas bewegen kann. Es hat sich noch nie so sinnvoll angefühlt wie jetzt.
Warum gibt es eigentlich so wenige Sportler, die sich zu gesellschaftspolitischen Themen zu Wort melden?
Ich glaube, dass es vielerorts einfach nicht erwünscht ist. Diesen Vorwurf habe ich jedenfalls schon öfter zu hören bekommen. Es heißt immer: Der Sport muss unpolitisch sein, es geht einzig und allein um den fairen Wettkampf. Gesellschaftliche Probleme haben da nichts verloren. Dieses Bild vom Sport ist leider weit verbreitet. Und die meisten Athleten halten sich auch daran.
Finden Sie das schade?
Für mich als Konsumenten hat der reine Sport nicht mehr so den Reiz. Mich faszinieren Sportler, die sich gesellschaftspolitisch äußern und versuchen, etwas voranzubringen, wie Sebastian Vettel. Oder Fußballer Marcus Rashford, der sich dafür eingesetzt hat, dass englische Kinder in Schulen weiter Gratis-Mahlzeiten bekommen.
Zugleich ist dann oft auch sehr schnell von Doppelmoral die Rede?
Ein normaler Reflex. Ich habe auch zu lesen gekriegt: Der sollte doch nicht mit dem Lift fahren, sondern seine Ski lieber selbst rauf auf den Start tragen.
Wie geht’s Ihnen dabei?
Für mich ist das ein Zeichen, dass ich den Nerv getroffen habe. Und das werte ich als Erfolg. Wenn man was bewegt, gehört Gegenwind dazu. Gäbe es diese negativen Kommentare nicht, dann würde das bedeuten, dass es jedem wurscht wäre. Ich bin stolz darauf, dass ich so viele Hater habe.
Wie steht die ÖSV-Führung zu Ihren Aktionen?
Mir ist klar, dass ich manche nerve. Aber gerade Präsidentin Stadlober hat mich in dem Projekt sehr unterstützt. Sie hat geholfen beim Unterschriftensammeln, sie hat sogar einen Vorschlag gebracht, was man dem Brief hinzufügen könnte.
Peter Schröcksnadel hätte wohl anders reagiert.
Der Herr Schröcksnadel hat ja vor einigen Jahren auch noch den Klimawandel geleugnet. Frühere Funktionäre des ÖSV haben mir mitgeteilt: Unter ihrer Führung hätten sie das nicht zugelassen. Ich habe also ziemlich Glück mit dem Zeitpunkt und dass die Frau Stadlober sich auf die Fahne geschrieben hat, dass sie den ÖSV nachhaltiger machen will.
Würden Sie Sich als Klimaaktivist denn irgendwo festkleben?
Ich würde mich nirgends hinkleben. Nicht in der Position, in der ich jetzt bin. Ob es diese Aktionen braucht, oder nicht, sei dahingestellt. Aber ich finde gut, dass es Aktionen gibt. Wir wissen seit über 30 Jahren Bescheid, dass wir etwas verändern müssen. Seit über 30 Jahren machen Klimaaktivisten darauf aufmerksam. Mit allen möglichen Formen des Protests: Und trotzdem steuern wir auf die Katastrophe zu. Ich verstehe es, dass sich die Aktivsten Gedanken machen, was sie sonst noch machen können. Sie sind dann eben auf die Idee gekommen, sich auf Straßen zu kleben. Ich verstehe das als letzten Hilfeschrei.
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