Dortmund-Fans trotzen dem Terror
Ein Spiel unter Ausnahmebedingungen. Keine 24 Stunden nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund wurde das neu angesetzte Champions-League-Viertelfinal-Hinspiel gegen AS Monaco angepfiffen. Für Spieler, Fans und die Polizei eine große Herausforderung.
Lange Schlangen gab es vor dem Signal Iduna Park, die Sicherheitsvorkehrungen rund um das Stadion wurden erhöht. "Wir sprechen von einem Großeinsatz", sagte ein Polizeisprecher. Zur Zahl der eingesetzten Beamten sagte er nur: "Was wir zur Verfügung haben, haben wir auch hier."
Die Stimmung der Fans ist aber insgesamt als trotzig-positiv zu bezeichnen. Bei der Ankunft des BVB-Mannschaftsbusses kurz nach 17 Uhr gab es begeisterten Applaus. Die Teambusse wurden heute über eine andere Zufahrt als üblich ins Stadion geleitet.
Am Dienstag waren kurz vor dem ursprünglich angesetzten Spiel drei Sprengsätze nahe dem BVB-Bus gezündet worden. Dortmunds Abwehrspieler Marc Bartra wurde schwer an Hand und Arm verletzt und operiert. Ein Polizist erlitt ein Knalltrauma und einen Schock. Die Ermittler gehen von einem gezielten Angriff aus.
"You’ll never walk alone"
Vor dem Anpfiff wurde wie vor jedem Spiel die vom FC Liverpool übernommene Fanhymne "You’ll never walk alone“ angestimmt. Diesmal bekam das Lied, das in der ursprünglichen Musical-Version Hoffnung nach einem Schicksalsschlag geben sollte, eine besondere Bedeutung. "Wenn du durch einen Sturm gehst, geh erhobenen Hauptes, am Ende des Sturms gibt es einen goldenen Himmel", heißt es darin. Und: "Geh weiter, mit Hoffnung in deinem Herzen. Du wirst niemals alleine gehen."
De Maiziere im Stadion: "Terror nicht weichen"
Als "Zeichen der Unterstützung" ist der deutsche Innenminister Thomas de Maizière nach Dortmund gereist. "Wir wollen, dass solche Spiele stattfinden, wir wollen dem Terror nicht weichen", sagte der CDU-Politiker dem TV-Sender Sky. Dass die Dortmunder Mannschaft spielen wolle, sei ein "Zeichen der Freiheit und des Stolzes" gewesen.
"Der Fußball hat eine große Faszination. Deswegen übt er auch eine große Versuchung für Terroristen aus, die öffentliche Wirkung zu missbrauchen", ergänzte de Maizière. Man werde sich an Unbequemlichkeiten auf Dauer gewöhnen müssen, "aber nicht an der Abschaffung der Freiheit, die wir aufgeben würden, wenn wir alles absagen", betonte der Innenminister.
Trainer kritisiert schnelle Wiederansetzung
Dortmund-Trainer
Thomas Tuchel hat die schnelle Wiederansetzung des Champions-League-Spiels gegen den AS Monaco nur einen Tag nach der Terrorattacke auf den BVB-Mannschaftsbus kritisiert. „Wir hätten uns mehr Zeit gewünscht, damit umzugehen“, sagte der Coach kurz vor dem Anpfiff im TV-Sender Sky.
Tuchel kritisierte die UEFA. In Nyon sei entschieden worden, "ohne dass das Ausmaß irgendwie klar war". Es sei "ein etwas ohnmächtiges Gefühl", meinte der 43-Jährige. Man müsse vor allem den Spielern zugestehen, "mit einem mulmigen Gefühl in den
Bus zu steigen". Mit der frühen Anstoßzeit (18.45 Uhr) und der Vorgeschichte fühle sich der Mittwoch nicht wie ein Champions-League-Feiertag an.
Die UEFA hatte am Dienstagabend von einer gemeinsamen Entscheidung mit den Clubs und Behörden gesprochen. "Die Anstoßzeit wurde aus logistischen Gründen gewählt, auch damit der AS Monaco noch am selben Abend nach Hause reisen kann, um die Vorbereitung auf sein Ligaspiel am Wochenende nicht zu beeinträchtigen", sagte ein Sprecher am Mittwoch der Rheinischen Post als Reaktion auf Tuchels Kritik.
Auch für den früheren BVB-Profi Torsten Frings ist die Wiederansetzung nicht einmal 24 Stunden danach "eine absolute Frechheit". "Ich hätte nicht gern gespielt", sagte der Ex-Nationalspieler und nunmehrige Trainer des Bundesliga-Konkurenten SV Darmstadt 98 gegenüber Bild.de.
Dortmund bewies bei 2:3 spielerische Moral
Das Spiel begann für Dortmund nicht gerade glücklich. Zwar vergab der AS Monaco nach wenigen Minuten einen Elfmeter, aber in der 19. Spielminute gingen die Monegassen durch ein Tor von Mbappé in Führung. In der 35. Minute fiel noch dazu das 0:2 durch ein Eigentor von Sven Bender. Ausgerechnet jener Abwehrspieler, der den beim Bombenanschlag verletzten Marc Bartra in der Startaufstellung ersetzt hatte.
Nach Seitenwechsel fand sich Dortmund - angetrieben von 65.000 sehr disziplinierten Zuschauern - besser zurecht. Dembélé traf nach einer sehenswerten Kombination in der 57. Minute aus kurzer Distanz. Die Dortmunder dominierten, es war aber Mbappé, der mit seinem zweiten Tor in der 79. Minute alles klar zu machen schien. Aber die Dortmunder steckten auch dann nicht auf - und dürfen durch den erneuten Anschlusstreffer durch Kagawa (84.) weiter auf den Aufstieg hoffen.
Intensive Kontrollen auch in München
Vor dem Viertelfinal-Hinspiel des FC Bayern in der Champions League gegen Real Madrid gibt es intensive Kontrollen. Stunden vor dem Anpfiff der Partie am Mittwochabend in der Allianz Arena wurden die Unterböden der Autos bei der Einfahrt ins Parkhaus mit Spiegeln kontrolliert. An den Zuschauereingängen bildeten sich schon Stunden vor dem Anpfiff im Münchner Stadion Schlangen, beim Einlass wurden gründliche Personenkontrollen vorgenommen.
Die Münchner Polizei hatte nach dem Angriff auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund ihr Sicherheitskonzept überprüft. Statt der geplanten 370 Polizisten sollten am Mittwochabend 450 im Einsatz sein - und das vor allem rund um die Mannschaftshotels. Die Begegnung in der Münchner Arena ist mit 70 000 Zuschauern ausverkauft.
Genaue Kontrollen sind in den deutschen Stadien üblich. Nach der Anschlagsserie von Paris und der Terrorwarnung beim Länderspiel in Hannover im November 2015 waren die Sicherheitsvorkehrungen verschärft worden.
Hintergrund: Von München bis Paris - Terror bei großen Sportereignissen
Bartra erfolgreich operiert
Kurz vor dem Champions-League-Spiel gegen den AS Monaco waren am Dienstagabend gegen 19.15 Uhr drei Sprengsätze in der Nähe des Mannschaftsbusses des BVB explodiert, als dieser vom Hotel im Dortmunder Stadtteil Höchsten zum Stadion abfuhr. BVB-Innenverteidiger Marc Bartra (26) wurde am rechten Handgelenk verletzt und musste operiert werden. Nach Informationen von BVB-Boss Watzke verlief die Operation auch erfolgreich, für Bartra dürfte die Saison jedoch gelaufen sein. Dass er 2017 noch einmal zum Einsatz kommt, gilt als unwahrscheinlich (mehr Informationen dazu finden Sie hier).
Zudem wurde ein Polizist, der auf einem Motorrad vor dem BVB-Bus fuhr, verletzt. Er erlitt ein Knalltrauma und einen Schock und ist deshalb nicht dienstfähig. Die Dortmunder Polizei geht nach Angaben von Polizeipräsident Gregor Lange von einem gezielten Angriff auf die Mannschaft des BVB aus, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts auf ein Tötungsdelikt.
"Spielen heute nicht nur für uns"
Sportlich war man am Mittwoch um Normalität bemüht, schließlich musste man sich auf das wichtige Champions-League-Viertelfinalspiel gegen AS Monaco vorbereiten. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke besuchte am Vormittag das Fußball-Team von Borussia Dortmund. "Ich habe gerade in der Kabine an die Mannschaft appelliert, der Gesellschaft zu zeigen, dass wir vor dem Terror nicht einknicken", teilte er in einem Tweet mit - im Anschluss fand auch schon das nächste Training der Mannschaft statt.
Watzke betonte in seinem Statement auch die Tragweite des heutigen Spiels. "Wir spielen heute nicht nur für uns. Wir spielen für alle. Egal, ob Borusse, Bayer oder Schalker. Wir wollen zeigen, dass Terror und Hass unser Handeln niemals bestimmen dürfen. Und wir spielen natürlich für Marc Bartra, der sein Team siegen sehen will", sagte der BVB-Geschäftsführer.
Sportpsychologe: "Das Geschehene wird Dortmund zusamenschweißen"
Spieler durften selbst entscheiden
Den BVB-Profis wurde es vom Verein freigestellt, ob sie heute Abend spielen wollen. "Die Jungs sind gefragt worden, wie sie sich fühlen. Und wenn einer sagen kann, er fühlt sich absolut nicht in der Lage zu spielen, dann ist es ihm auch freigestellt", sagte BVB-Torhütertrainer Wolfgang "Teddy" de Beer der Rheinischen Post.
De Beer schilderte auch seine Eindrücke von den Momenten am Dienstagabend, als neben dem Bus drei Sprengsätze detoniert waren. "Ich war mit im Bus. Ich habe erstmal nur einen lauten Knall gehört, dann war die Scheibe kaputt. Die Jungs haben sich erschrocken. Und dann war alles auch schon wieder vorbei. Marc Bartra ist direkt versorgt worden, wir hatten ja auch unsere Physios dabei. Das ist perfekt gelaufen", sagte de Beer über die Versorgung des Verletzten.
Der Spanier meldete sich nach seiner Operation via Instagram zu Wort. Ihm gehe es nun "deutlich besser", schrieb der 26-Jährige neben einem Foto mit Gipsarm.
15.15 Uhr: Vor dem Signal-Iduna-Park stehen schon Stunden vor dem Anpfiff die ersten Polizisten mit Maschinenpistolen. „Das ist schon ein anderes Gefühl“, sagt Frank Keil. Viele Polizisten seien bei Spielen ja immer dabei - „aber nicht mit Maschinenpistolen“. Der 30-jährige war auch am Dienstagabend im Stadion, als die Champions-League-Partie abgesagt wurde. „Sicher, aber auch etwas unwohl“, fühle er sich angesichts der starken Polizeipräsenz, sagt Keil, bevor er sich wieder unter die noch geschlossenen Stadiontoren wartenden Fans mischt.
15.45 Uhr: Noch drei Stunden bis zum Anpfiff. Unter den Fans, die schon so früh auf den Tribünen warten, sind zahlreiche Anhänger des AS Monaco. Einige von ihnen sind bereits seit Montagabend in der Ruhrgebietsstadt. So wie Martin. Er ist mit drei Freunden aus Le Mans angereist. Sie haben im Hotel übernachtet. Eine Nacht länger als geplant. Andere Anhänger der Gästemannschaft waren bei Dortmundern untergekommen, kostenlos über das Angebot #bedforawayfans im Internet. Unsicher fühlt er sich nicht, sagt der 30-Jährige. „Hoffentlich geht es heute los.“ Er muss am Donnerstag wieder zur Arbeit.
16.15 Uhr: „Wir sprechen von einem Großeinsatz“, sagt Polizeisprecher Marco Bischoff. Zur Zahl der eingesetzten Beamten macht er keine Angaben. Nur so viel: „Was wir zur Verfügung haben, haben wir auch hier.“ Mit Sprengstoffspürhunden hat die Polizei alle Tribünen und auch die Umgegend abgesucht. Verdächtiges tauchte nicht auf.
16.45 Uhr: Die Stadiontore sind geöffnet. Der Andrang nimmt zu, lange Schlangen gibt es an den Kontrollen zunächst nicht. Polizei und Verein hatten dazu aufgerufen, keine Rucksäcke mitzubringen. Sie durften nicht mit ins Stadion. Es haben sich wohl fast alle daran gehalten, sagt ein Ordner. An den Wagen mit Fanartikeln herrscht Leere. Die extra für die Begegnung Dortmund gegen Monaco produzierten Schals waren schon am Dienstag ausverkauft, sagt eine Verkäuferin.
17:15 Uhr: Die Mannschaften kommen an. Die Teambusse werden über eine andere Zufahrt als üblich ins Stadion geleitet. „Wir tun alles erdenklich Mögliche, um die Sicherheit von Spielern und Zuschauern zu gewährleisten“, sagt Polizeisprecherin Cornelia Weigand. „Die Mannschaft@AS_Monaco hat das Stadion sicher erreicht“, twittert die Polizei. Vor den Toren zur Nordtribüne stellen sich Fans von Dortmund und Monaco zu Gruppenfotos auf. Dutzende Fernsehteams berichten vom Vorplatz des Stadions.
18.00 Uhr: Die Dortmunder Spieler kommen zum Warmmachen auf den Rasen. Trainer Thomas Tuchel sagt im Sky-Interview, er habe allen Spielern frei gestellt, nicht zu spielen. Keiner sei mit diesem Wunsch zu ihm gekommen. Tuchel kann seine derzeit beste Elf auf den Platz schicken. „Die Mannschaft steht noch immer wahnsinnig unter Druck“,, sagt BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Die Fans singen „You'll never walk alone“ - vielleicht noch inbrünstiger als sonst. Auf der Tribüne applaudiert Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.
18.45 Uhr: Das Spiel wird angepfiffen.
Die Bilder von den Terroranschlägen von Paris haben sich in der Erinnerung festgebrannt. Damals, am 13. November 2015, begann die Bombenserie, die mit insgesamt 130 Toten und mehr als 350 Verletzten eine Schreckensbilanz brachte, beim freundschaftlichen Länderspiel Frankreich gegen Deutschland im Stade de France in St-Denis. Im Stadion waren mehrere Detonationen zu hören gewesen. Das Positive: Die Attentäter konnten am Zutritt in die Arena gehindert werden.
Münchner Tragik
Auch zuvor waren Sportveranstaltungen und ihre Zuschauermassen Zielpunkt für Anschläge mit terroristischem Hintergrund. 1972 begannen die traurigen Kapitel der Sportgeschichte mit dem Anschlag radikaler Palästinenser in München, die die mediale Bühne der Olympischen Spiele nutzten. Die Unterkunft der israelischen Sportler wurde überfallen, elf Menschen wurden als Geiseln genommen. Zwei starben bei einem Schusswechsel. Ein Befreiungsversuch endete für alle anderen Geiseln ebenfalls tödlich, auch ein Polizist und fünf Terroristen starben. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden seither für Sportveranstaltungen erhöht. An der gewachsenen Gefahr änderte dies nichts.
1996 legte ein Einzeltäter während der Olympischen Spielen in Atlanta in einem Park eine Bombe. Zwei Menschen starben.
1997 wurden 60.000 Zuschauer kurz vor dem Start des Grand National in Liverpool wegen einer Bombendrohung evakuiert. Das berühmte Pferderennen wurde um zwei Tage verschoben.
2002 war wieder der Fußball im Visier. Vor dem Champions-League-Spiel zwischen Real Madrid und Barcelona explodierte vor dem Bernabéu-Stadion eine Autobombe. Die baskische Terrororganisation ETA zeichnete dafür verantwortlich. 17 Menschen wurden verletzt.
Gar nicht durchgeführt wurde im Jahr 2008 die 30. Rallye Dakar. Eine Terrororganisation hatte mit Anschlägen gedroht.
Drei Tote in Boston
2010 griff eine angolanische Terrorgruppe während des Afrika-Cups den Bus Togos an. Drei Menschen kamen dabei ums Leben.
Ziel eines Anschlags wurde vor vier Jahren auch der Boston-Marathon. Zwei an der Zielgeraden versteckte Sprengsätze explodierten, es wurden drei Menschen getötet und weitere 264 verletzt.
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