Matthias Walkner und sein Leidensweg: "Irgendwann bricht dich der Schmerz"

Matthias Walkner bei der Rallye Dakar
Vor 13 Monaten verletzte sich der Dakar-Sieger von 2018 schwer. Ein Gespräch über seinen leidvollen Weg zurück, seine Pläne und seinen Freund Marcel Hirscher.

Seit dem 5. Dezember 2023 ist im Leben des Matthias Walkner (38) nichts mehr, wie es davor war. Bei der Vorbereitung auf die Rallye Dakar, die er 2018 gewonnen hatte, stürzte er in Kalifornien schwer. An den Folgen des Unfalls leidet er immer noch.

KURIER: Der Unfall am 5. Dezember 2023 hat alles verändert. Wie geht es Ihnen? Wie schaut Ihr Alltag aus?

Wenn man die Schwere der Verletzung berücksichtigt, geht es mir gut. Ich bin extrem happy, dass der Fuß drangeblieben ist. Aber diese Reha-Phase ist noch nicht abgeschlossen, das wird sich noch über ein Jahr lang ziehen. Im Jänner gibt es noch ein CT, da wird man sehen, wie weit der Knochen schon durchbaut ist. Denn ich habe einen sechs Zentimeter langen Knochendefekt gehabt, wo nur noch Knochenstücke waren, die man zwischen Metallplatten gesteckt hat. Aber seit zwei, drei Wochen bin ich wieder zuversichtlich. Im April habe ich die nächste OP.

Ein Bein war ja komplett zerstört ...

Schien und Wadenbein waren je zweifach gebrochen. Dazu war da der offene Trümmerbruch des Sprunggelenks. Das Gelenk ist seitlich aus dem Knöchel rausgekommen. Dazu hat es das Wadenbeinköpfchen beim Knie oben rausgeschoben. Der Fuß ist so schief dagestanden, dass ich zwei von drei Arterien verloren habe. Mittlerweile habe ich sechs Operationen hinter mir mit 35 Stunden reiner Operationszeit. In Summe sind 30 Schrauben und Platten drinnen.

Sie hatten Glück im Unglück?

Vor ein paar Wochen war ich bei einer Ärztin wegen der Versicherung. Die hat sich den Befund und die Röntgenbilder angesehen. Dann hat sie mich mit großen Augen angeschaut und gesagt: „Herr Walkner, in meinen 37 Berufsjahren habe ich noch nie einen Fuß gesehen, der nach so einer Verletzung erhalten geblieben ist.“

Der Leidensweg war aber lang und schmerzhaft.

Ich habe schon viele Verletzungen gehabt. Ich habe mir einmal in der offenen Wüste den Oberschenkel gebrochen, wo es dann zwölf Stunden gedauert hat, bis ich im Krankenhaus war. Ich bin die Dakar 2019 sechs Tage mit einem gebrochenen Sprunggelenk gefahren und Zweiter geworden. Aber ...

Aber?

Diese Verletzung war eine ganz andere Liga. Ich habe zwei Monate fast nicht schlafen können. Jeden Abend Morphium, Schlafmittel und Psychopax. Am Wochenende habe ich mir ein kleines Bier gegönnt, um diese Wirkung zu verstärken. Ich habe jede Nacht probiert, ohne Morphium zu schlafen. Ich habe mir gesagt: „Du bist so stark im Kopf, du hältst das aus!“ Aber dann liegst du da um 3 in der Früh. Und nimmst wieder das Morphium. Dann ein Darmkeim, wo man nicht mehr aufs Klo gehen kann, drei, vier Wochen gar nicht aufstehen ... Dieser Nervenschmerz ist wie ein Elektroschock alle zehn Sekunden.

Wie geht man mit solchen Schmerzen um?

Ich war so verzweifelt und habe mir gedacht, wenn das so weitergeht, bin ich in einer Woche ein anderer Mensch. Irgendwann bricht dich der Schmerz und man sagt: „Ich will nicht mehr.“ Dieser Nervenschmerz ist nicht zu bändigen. Ich habe vor meiner Verletzung 40 bis 45 Ruhepuls gehabt und dann im Spital 110 im Liegen, weil ich so zu kämpfen gehabt habe, dass ich das irgendwie überstehe. Das Schlimmste war Weihnachten 2023. Irgendwann habe ich es mit Krücken probiert. Aber die Struktur hält diese Belastung nicht aus. Die ersten Schritte ohne Krücken waren 239 Tage nach dem Unfall.

Gehen können Sie wieder?

Auf meinem Stepper daheim bin ich schon 1.000 Höhenmeter gegangen, ohne dass es massiv weh tut. Am Wochenende war ich am Christkindlmarkt. Ich habe das Auto extra weit weg geparkt und bin dann zweieinhalb Kilometer auf einem schneebedeckten Weg gegangen. Ich muss mich herantasten ans Schmerzlimit. Die Muskeln und Faszien müssen sich an die Belastung wieder gewöhnen.

Sie haben noch Schmerzen?

Es gibt so einen Anlaufschmerz, der wird mich mein ganzes Leben verfolgen. Aber das steht in keiner Relation mehr. Ich kann auch wieder gut schlafen. Ich brauche nur in der Früh ein bisschen, bis alles in Schwung kommt. Ich kann auch wieder Motorrad fahren, aber nur kommod. So, wie wenn ein Skifahrer wie der Max Franz die ersten Schwünge zieht. Ich muss höllisch aufpassen, weil da so viele Schrauben und Teile drinnen sind.

Werden Sie wieder Rennen fahren können? Und wollen Sie das überhaupt?

Wie es mit dem Motorradlfahren ausschaut, muss man abwarten. Ich habe schon Tests im Buggy gehabt. Seit einem halben Jahr arbeite ich an einem Projekt. Ich hatte auch schon vielversprechende Gespräche mit guten Partner. Vielleicht kann ich im Jänner, Februar etwas verkünden. Das ganze Drumherum würde ein bisschen in die Marcel-Hirscher-Richtung gehen, der mit einem eigenen Ski unterwegs war.

Apropos Marcel Hirscher: Ihr Freund wäre doch ein guter Partner für die Rallye Dakar.

Ich habe lange diese Idee gehabt und habe ihm das auch vorgeschlagen. Er war lange Zeit auch nicht abgeneigt. Ich habe ihm dann schmähhalber gesagt: „Das Blöde ist, dass ich besser Auto fahren und besser navigieren kann.“ Er ist dann aber von der Idee wieder abgekommen.

Und was wäre mit einer gemeinsamen Motorrad-Fahrt bei der Dakar?

Nein. Ich glaube, das ist ihm zu gefährlich. Das tut er sich nicht an. Man kann eine Dakar nicht vorsichtig fahren. Wenn man etwas übersieht, kann das ganz schnell gehen.

Wie verbringen Sie heuer Weihnachten?

Daheim, mit der Familie. Und ohne Schmerzen. Auch Silvester bin ich endlich einmal daheim, weil ich war ja immer bei der Dakar.

Verfolgen Sie den Sport noch?

Vollgas. Mir gefällt, dass der Daniel Sanders das letzte Rennen in Marokko gewonnen hat und unverletzt und gut vorbereitet in die Dakar geht. Die Chancen sind groß, dass er vorne dabei ist.

Bereuen Sie etwas nach dieser Verletzung und dem Leidensweg?

Was ich erlebt habe, macht mich als Mensch aus. Diese Emotionen, diese Erinnerungen, diese Geschichten, die ich erzählen darf. Wenn ich mich erinnere an die 23er-Dakar, wo wir am zweiten Tag durch eine Landschaft wie in Herr der Ringe gefahren sind. Da waren diese saftigen Wiesen und dann fährt man in ein finsteres Tal mit dunklen Wolken. Das Gestein wechselt zu tiefrotem Sand, daneben die Felsen mit diesen Korallen-Einschlüssen ... Das waren Momente, die ich nie vergessen werde. Nur die letzten eineinhalb Jahre würde ich gerne streichen. Aber wenn man etwas erleben will, kann es auch gefährlich sein.

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