Davor und danach seien die Regime noch härter gegen die Opposition vorgegangen als zuvor; in Argentinien folterte und mordete die Militärjunta vor den Spielen systematisch in den Gastgeberstädten. Der deutsche Fußballstar Berti Vogts sprach später dennoch lobend davon, dass in dem Land „Ordnung herrscht“. Er habe schließlich „keinen einzigen politischen Gefangenen“ gesehen.
Diese Blindheit findet man überall bei den großen Verbänden, von der FIFA bis zum IOC. Der Anteil autoritärer Gastgeber ist nämlich seit 1990 noch gestiegen, von acht auf 37 Prozent. Wenn also im staubtrockenen Pekinger Industriegebiet Snowboarder zwischen Betonbauten auf Kunstschnee brettern, die teuersten Winterspiele aller Zeiten den Badeort Sotschi in ein Schlammloch verwandeln oder die Stadien in der Wüste von Katar im Winter gekühlt werden, wird klar: Um die perfekten Bedingungen geht es schon lange nicht mehr.
Der UN-Sicherheitsrat im Stadion
Worum geht es dann? „Viele Diktatoren haben ein Interesse, ihr oftmals ramponiertes Image aufzupolieren“, sagt Gläßel. Dafür seien solche Events perfekt geeignet. „Sie stellen Weltöffentlichkeit her und verleihen dem Regime eine große Legitimität.“ Die internationale Polit-Elite reist nämlich oft persönlich an, um ihre Sportler anzufeuern. „Das sind genau die Bilder, die man haben möchte. Dass sich sozusagen der UN-Sicherheitsrat im Stadion trifft“, sagt Gläßel.
In Katar kämen noch Sicherheitsinteressen hinzu: 2010, als die WM vergeben wurde, fürchtete man einen Angriff des zehnmal größeren Nachbarn Saudi-Arabien. „Vor dem Hintergrund, dass man dem militärisch wenig entgegensetzen könnte, ist es ein effektiver Schutz, sich prominent auf der Weltkarte zu platzieren.“
Dass die Opposition im Land das Event als Bühne nutzt, sei hingegen „das absolute Schreckensszenario für jeden Diktator“, sagt Gläßel. In Russland etwa besetzten Oppositionelle vom Regime eingerichtete WM-Fanzonen. Das sorgte ebenso wie die Meldungen über tote Arbeiter in Katar oder Russland – dort karrte man Nordkoreaner heran, um Stadien zu errichten –, für Medienecho.
Angst vor westlichen Journalisten
Für die Herrscher ist es aber oft ein Grund mehr, mit Unterdrückung zu reagieren: Die Ankündigungen westlicher Medien, „jeden Stein umzudrehen“, würden oft zu einer „noch viel drastischeren Anwendung präventiver Gewalt“ führen, sagt Gläßel.
Inzwischen sei vielen im Westen bewusst, dass der Mix aus Repression und bizarren Spielbedingungen nicht gerade ideal ist. „Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat vielen Leuten die Augen geöffnet, dass mit autoritären Regimen nicht zu spaßen ist. Bisher hat man da bequem die Augen verschlossen, denn das Gas war ja so schön billig“, sagt der Wissenschaftler .
Ob die Welt des Sports darum künftig einen Bogen um Diktaturen machen wird? Die Hoffnung dürfte eher gering sein: Auch die Funktionäre und Vorsitzenden internationaler Sportkomitees kommen nämlich selbst immer öfter aus Diktaturen.
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