Ex-Fußballer Hitzlsperger: "Verstecken kann nicht die Lösung sein"
Thomas Hitzlsperger ist nach wie vor der einzige geoutete homosexuelle (Ex-)Weltklassefußballer. Wovor er vor dem Coming-out Angst hatte und was er über homophobe Fangesänge denkt.
Thomas Hitzlsperger hat als Fußballer, als TV-Experte und generell als Person im öffentlichen Leben bewiesen, dass er zu vielen Themen Sinnvolles beitragen kann. Sehr oft wird er aber zu Rate gezogen, wenn es um Homosexualität im Fußball geht. Ein Thema, in dem zwar Fortschritte gemacht wurden, das aber noch lange nicht abgehandelt ist – wie auch zuletzt homophobe Gesänge nach dem Wiener Derby gezeigt haben.
Hitzlsperger wird nicht müde, darüber zu sprechen. In Kürze veröffentlicht er auch ein Buch („Mutproben“, KiWi-Verlag) über seine Karriere und sein Coming-Out.
Geduldig stellt er sich den Fragen auch im KURIER-Gespräch.
Sie haben in der Premier League und in der Bundesliga gespielt, können auf 52 Länderspiele im Dress der deutschen Nationalmannschaft zurückblicken, haben 2007 jenes Tor geschossen, das dem VfB Stuttgart 2007 den Meistertitel gesichert hat. Aber die halbe Welt kennt sie als „den geouteten Ex-Fußballer“. Wollten Sie das so?
Naja, das wusste ich ja vorher nicht, als was mich dann die (Fußball-)Welt in Erinnerung behält. Im Alltag sprechen mich schon viele Menschen auf Fußball an. Aber viele sagen auch: „Danke, dass du dich geoutet hast, danke, dass du dich so einsetzt für die Community.“ Und ehrlich gesagt ist es für mich ein großes Glück, dass ich damit auch so in Verbindung gebracht werde und Leuten helfen konnte.
Es war der 8. Jänner 2014, als das Interview in der „Zeit“ erschienen ist, in dem sie sich outeten. Nehmen Sie uns kurz mit in Ihre Gefühlswelt vor Veröffentlichung ...
Ich war schon angespannt, aber auch positiv gestimmt. Ich war sehr gut vorbereitet. Mir war schon klar, dass es ein großes Interesse geben würde. Ich wollte die Art und Weise, wie darüber gesprochen wird, ein Stück weit verändern, wollte neue Argumente in die Diskussion bringen und dem Ganzen ein Gesicht geben. Und manchmal war ich auch genervt von den üblichen Plattitüden, die damit in Verbindung gebracht wurden. Und hoffentlich habe ich in den letzten zehn Jahren die Diskussion bereichert.
Sie wollten den Schritt schon als Aktiver wagen. Warum haben Sie das dann doch nicht gemacht?
Die meisten, mit denen ich gesprochen habe, meinten: „Das hältst du nicht aus“. Auch ein Medienanwalt hat mir klar abgeraten. Er meinte: „Dieser mediale Druck, lassen Sie das bleiben!“ Und dann bin ich eingeknickt.
Aber erzeugt dieses Verstecken und Verschleiern nicht auch Druck?
Genau zu der Erkenntnis bin ich ja gekommen. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich gemerkt habe, das ist ja noch viel unangenehmer, für den Rest meines Lebens so zu tun, als wäre ich heterosexuell und mich zu verstecken. Das kann nicht die Lösung sein! Dieser Moment oder diese Phase, wo sich Leute vielleicht darüber auslassen, kann nicht so schlimm sein, wie den Rest meines Lebens mit so einer Lüge rumzulaufen! Die Sorgen und Ängste, die ich damals hatte, die sind gar nicht Wahrheit geworden.
Welche Sorgen hatten Sie denn?
Sorge vor Ausgrenzung, vor Diskriminierung, vor Beleidigungen – was ja heute noch passiert. In meinem Fall ist das ausgeblieben, da kann ich von Glück sprechen. Meine Familie ist großartig, mein Freundeskreis auch. Und in der Öffentlichkeit habe ich da wenig bis keine Probleme.
Ja, aber das Wichtigste war, im Vorfeld mit der Familie zu sprechen. Das war für mich die größte Erleichterung.
Was wollten Sie bewirken?
Ich wollte Vorbild sein, aber auch klarmachen, dass Vorurteile, mit denen homosexuelle Menschen in Verbindung gebracht werden, nicht immer zutreffen. Ich wollte klar machen, dass man auch ein sehr guter Fußballspieler sein kann.
Warum ist Ihrem Beispiel dennoch niemand gefolgt im Spitzenfußball?
Es ist gar nicht so leicht, das zu beantworten. Man müsste die Leute fragen, die sich noch nicht getraut haben – und die sagen ja nichts. Ich kann nur über meine Geschichte berichten, über meine damaligen Sorgen und Ängste, aber das ist halt nur eine Sicht auf die Dinge.
Vergangenes Wochenende haben sich nach dem Wiener Derby mehrere Spieler gemeinsam mit Fans zu homophoben Gesängen hinreißen lassen. Ein Argument ist ja, dass im Männerfußball eine gewisse Kultur herrscht, die es LGBTQ-Personen schwer macht, offen zu zeigen, wie sie wirklich sind.
Ja, wobei ich denke, dass es kein exklusives Problem des Männerfußballs ist, sondern dass sich Männer auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen immer noch schwertun, offen darüber zu sprechen, wie sie empfinden. Weil es in Wien jetzt neulich der Fall war, dass sich Spieler oder auch Fans dazu hinreißen lassen, einfach unbedachte Äußerungen zu tätigen: Das zeigt, dass es immer noch so selbstverständlich ist. Ich habe auch gehört, dass sich der eine oder andere entschuldigt hat. Zumindest ist die Erkenntnis da, dass es falsch war. Das ist ja schon mal ganz gut! Das zeigt aber auch, wie wichtig es ist, dass man immer wieder appelliert, dass die Sprache so wichtig ist. Dass man nicht einfach irgendwas so weiterplappert, weil man das immer so gemacht hat. Wenn das verletzend ist, dann muss man das ansprechen! Nicht jeder, der so etwas sagt, ist per se homophob und grenzt Menschen aus, manche denken schlicht und ergreifend nicht nach, bevor sie reden! Das Gute ist, wenn Sie es hinterher erkennen und um Entschuldigung bitten.
Sie erwähnen die Sprache. „Schwul“ war lange – teils immer noch – im Fußball ein abwertendes Adjektiv. Haben Sie das Wort früher vielleicht selbst mal auf diese Weise verwendet?
Ich weiß es nicht, kann es aber nicht ausschließen, weil ich ja auch die Gruppendynamik verstehe. Als ich aufgewachsen bin, habe ich es genauso miterlebt. Es wurde negativ konnotiert und wenn man dazugehören will, dann plappert man das nach. Heute bin ich an einem anderen Punkt in meinem Leben und versuche, Leute daran zu erinnern, dass es eben verletzend sein kann. Nicht jeder hört darauf, aber man braucht Geduld und Ausdauer, um die Dinge zum Positiven zu verändern. Und das ist auch ein Teil meiner Aufgabe.
Haben Sie Hoffnung, dass das Thema Homosexualität im Fußball, im Sport, in der Gesellschaft eines Tages „egal“ wird?
Einerseits glaube ich, dass es zusehends uninteressanter wird, ob jemand hetero- oder homosexuell ist. Aber was nie uninteressant wird, ist, was es bedeutet, Teil einer Minderheit zu sein. Dass, wenn sich die Dinge (politisch) so weiterentwickeln, Minderheiten diskriminiert werden und das vielleicht keine Konsequenzen mehr hat. Davor müssen wir Acht geben.
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