Umgekehrt bekamen jene die Macht der Mächtigen zu spüren, die nicht spurten. Etwa Deutschland-Legionär und Regimekritiker Ali Daei, der kurz nach einem 1:2 gegen Erzfeind Saudi-Arabien 2009 auf Geheiß des Präsidenten entlassen wurde.
Frauen ausgesperrt
Leidtragende der islamistischen Politik sind auch weibliche Fußballfans. Seit 1981 dürfen sie keine Männer-Matches mehr in Stadien besuchen. Aktivistinnen, unter anderem die Organisation OpenStadiums, kämpfen seit Jahren um dieses Recht. Viele Frauen haben Fußballspiele immer wieder als Männer verkleidet angesehen. Darunter auch Sahar Khodajari, die 2019 – als Mann verkleidet, in den blauen Vereinsfarben ihres Teheraner Herzensklubs Esteghlal – erwischt wurde. Aus Protest und Angst vor der ihr drohenden Haft, zündete sie sich an und starb.
Der Fall ging um die Welt und erhöhte den Druck auf die Regierung. Die FIFA drohte unter anderem mit dem Ausschluss von der WM-Qualifikation. Das zeigte Wirkung: Seit Oktober 2019 ist es Frauen erlaubt, ohne staatliche Vorauswahl auf Fußballspiele zu gehen – in eigenen, umzäunten Sektoren.
Der Iran qualifizierte sich heuer im Frühjahr für die WM, doch wieder war die Rede von Ausschluss: Weil beim letzten Qualispiel gegen den Libanon im März in der konservativen Stadt Mashhad im Nordostiran Hunderten Frauen mit Ticket der Zutritt zum Stadion verwehrt wurde. Die FIFA zeigte sich „besorgt“, doch der Iran wurde nicht ausgeschlossen (und Italien, das die Quali verpasst hatte, rückte nicht nach).
Am Freitag wandten sich die Aktivistinnen von Open-Stadiums mit einem offenen Brief an die FIFA. „Schweren Herzens“ verlange man den Ausschluss des Iran von der WM. Dieser Staat lehne es ab, Grundrechte und Menschenwürde zu respektieren, foltere und töte sein eigenes Volk, heißt es in dem Schreiben. Die FIFA reagierte zunächst nicht. Ein Ausschluss war aber unwahrscheinlich.
Stürmer Sardar Azmoun kann noch auf sein WM-Ticket hoffen. Er ist bis dato nicht aus dem Team geflogen. Nach seinem Post wurde er am Dienstag in der Südstadt beim Testspiel gegen Senegal eingewechselt und köpfelte das 1:1. Der portugiesische Teamchef Carlos Queiroz wollte offenbar keine weitere Eskalation riskieren.
Vor dem Spiel hatten sich Azmouns Kollegen zwar noch nicht öffentlich geäußert, doch sie hatten mit ihm gemeinsam ein Zeichen gesetzt: Bei der Hymne deckten sie ihre Iran-Wappen auf den Dressen mit schwarzen Jacken ab. Viele von ihnen sangen nicht mit und senkten ihre Köpfe. „Bleib ewig beständig, Islamische Republik Iran“ – der Text ging ihnen dieser Tage einfach nicht von den Lippen. Denn während sie hier Fußball spielen, werden in ihrer Heimat Regimegegnerinnen zu Hunderten oder Tausenden verhaftet, zu Dutzenden getötet. Im Namen dieses Regimes spielen diese Männer Fußball, aber zumindest der Symbole wie Hymne und Wappen wollte man nicht huldigen.
Nach dem Trainingslager schlossen sich etliche Teamkollegen Azmoun an. Darunter Kapitän Alireza Jahanbakhsh: „Wir sind immer auf der Seite des Volkes, das in diesen Tagen nichts anderes fordert als seine grundsätzlichen Rechte“, schrieb er am Donnerstag. Der Feyenoord-Legionär habe sich zu den Protesten nicht äußern können, weil ihm der Internetzugang während des Trainingslagers nicht erlaubt war.
Für die Spitzensportler galt Internetsperre und Rund-um-die-Uhr-Beobachtung in Österreich, erzählt Amir Tavassoti dem KURIER, der die Proteste vor dem Stadion in der Südstadt mitorganisiert hat und auch am Samstagnachmittag zur Demonstration in der Wiener Innenstadt aufruft. „Mehrere Personen von der Botschaft waren ihnen ständig auf den Fersen“, erzählt er. „Man aß mit ihnen Frühstück, Mittag- und Abendessen!“
Wie gefährlich es auch für Sportler ist, sich gegen das Regime zu wenden, zeigt das Beispiel Hossein Mahini. Der frühere Nationalspieler wurde am Donnerstag nach Kritik am Regime verhaftet. Seine Kollegen fordern seine Freilassung – und die von Tausenden anderen.
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