Vor wenigen Wochen dröhnte noch laute Musik aus den Fitnessstudios in Kabul, der Hauptstadt Afghanistans. An den Wänden hingen Poster von Arnold Schwarzenegger aus seiner Zeit als Bodybuilder. "Viele wollten so sein wie er", sagt S. Fazel zum KURIER. Seinem besten Freund gehörte eine dieser "Muckibuden", in der sie regelmäßig trainierten.
Heute hängt dort kein Arnie-Poster mehr. Bilder von Athleten in knappen Hosen sind unter der Taliban-Herrschaft verboten – ebenso Musik, sogar auf Hochzeiten. Tausende verloren ihren Job, Athleten sind regelmäßig mit neuen Einschränkungen konfrontiert.
Zuletzt schrieb die Regierung Sportlern vor, ihre Muskeln mit locker sitzender Kleidung zu bedecken. Afghanische Männer mussten Sixpack, Bizeps und selbst den Quadrizeps verhüllen. Junge Athleten unter 18 Jahren durften nicht mit Älteren trainieren. Dann änderte die Regierung plötzlich ihre Meinung.
Das ist eine Katastrophe für einen Sport, der vom Muskelzeigen lebt. Man kann heute nicht wie vor 2.000 Jahren leben.
von S. Fazel - Afghane, Athlet und Reiseleiter
Mawlawi Gulabuddin, Leiter der Abteilung für Leibeserziehung und Sport in der Provinz Herat, erklärte, dass die Vorschriften für Athleten falsch übersetzt und jetzt angepasst wurden.
In Afghanistan wird vorwiegend Persisch gesprochen, die Taliban-Regierung verwendet jedoch Paschto als offizielle Sprache, deshalb übersetzten die afghanischen Medien angeblich die Vorschriften falsch. Gulabuddin klärte das "Missverständnis" auf: Männer müssen ihren Körper ab jetzt "nur" zwischen Bauchnabel und Knie bedecken, die Alterstrennung wurde aufgehoben.
Flucht ins Ausland
Doch Bodybuilding, wie Afghanen es einst kannten, gibt es nicht mehr. Selbst wenn sie bei nationalen oder internationalen Wettkämpfen teilnehmen, bleibt die Bekleidungsvorschrift ein großes Problem. Wenn Oberschenkel und der halbe Bauch bedeckt sind, können Wertungsrichter dafür keine Punkte vergeben.
"Das ist eine Katastrophe für einen Sport, der vom Muskelzeigen lebt", sagt Fazel, der seit 2014 in Österreich ist. "Männer dürfen keine Kleidung im westlichen Stil tragen und Beamte müssen ihren Bart wachsen lassen." Frauen dürfen weder Sport machen, noch in die Schule gehen. Sie können nur heimlich in den eigenen vier Wänden trainieren und sich weiterbilden. Unterstützung für Athleten gibt es kaum. Die, die trotzdem an Bewerben teilnehmen, leben bereits im Ausland.
Wie Fazels bester Freund. "Früher hat er viel mit den amerikanischen Soldaten zusammengearbeitet, nun konnte er endlich nach Amerika flüchten", sagt der 30-Jährige und freut sich, dass letzte Woche auch seine eigene Familie Afghanistan verlassen konnte. "Sie werden in die Türkei gehen und dort leben. Mein Vater hat ein Haus gekauft. Das hat lange gedauert."
Fazel erzählte, dass er im Alter von fünf Jahren mit Karate angefangen hat. "Ich kenne nichts anderes". Von 1996 bis 2001 beherrschten die Taliban schon einmal Teile des Landes. Nach ihrem Fall wurde Sport und vor allem Bodybuilding sehr beliebt. "Fitnessstudios sind aus der Erde geschossen, es gab viele professionelle und gute Bodybuilder, wie Yasin Qaderi." In Kabul seien die Bodybuilding-Studios damals schon viel schöner und moderner gewesen als in Österreich. "Wir hatten so viele gute Sportler. Das war einmal ein reiches Land, aber seit über 40 Jahren: Krieg. Ich will nicht mehr", sagt Fazel.
Zweite Heimat
Der Sportler spricht lieber über Österreich: „Kennst du Zell am See in Salzburg? Ich wohne hier. Es ist so schön, wie im Paradies.“ Durch seine Arbeit als Reiseleiter kennt er ganz Österreich und liebt es, „mit Urlaubern eine Runde durch meine zweite Heimat zu machen“. Hier hat er bereits die Ausbildung zum Karate-Trainer und Schiedsrichter absolviert. „Ich bin dreifacher österreichischer Meister und wollte mit Karate zu den Olympischen Spielen nach Tokio, hab’ aber leider noch nicht die Staatsbürgerschaft bekommen.“
Wie die Zukunft Afghanistans aussehen soll oder kann, weiß Fazel nicht. Nur, dass „man nicht mehr so leben kann, wie vor 2.000 Jahren. Jetzt ist alles modern, man kann den Leuten nicht alles wieder verbieten. Keine Ahnung, wie lang das gut gehen wird.“
Das fragt sich auch ein afghanischer Journalist, der im Ausland lebt und anonym bleiben muss. „In den 90ern durfte man auch keine Musik hören. Es war verrückt. Frauen mussten sogar die Augen verdecken. Als Kind hab ich einmal das Gewand meiner Mutter anprobiert, ich konnte darin nicht atmen“, sagte der junge Mann. Seine Familie lebt noch in Afghanistan. „Ich versuche schon lange, meine Frau und mein Kind rauszuholen, aber sie dürfen nicht ohne männliche Begleitung reisen.“
Leidenschaft ist weg
Zurückzukommen wäre für ihn zu gefährlich. „Mehr als zehn meiner Kollegen wurden durch unbekannte Bewaffnete getötet. Wer nicht gut über die Taliban schreibt, bekommt Probleme. Du musst sogar aufpassen, wie du auf Social Media agierst.“ Früher arbeitete er für den größten Sender des Landes. Als das Geld knapp wurde, musste das Sport-Programm eingestellt werden. „Wir stehen vor großen Problemen. Es gibt kaum Sponsoren. Keiner kann mehr über Sport berichten.“ Fußball und Cricket sind die beliebtesten Sportarten. Turniere finden noch statt, aber „die Liebe und Leidenschaft, die die Menschen dafür hatten, sind weg.“
Er hofft, dass es eines Tages wieder besser wird. „Afghanen wollen ihre Rechte zurück.“
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