Das Abenteuer seines Lebens: ÖSV-Star Benjamin Karl auf Abwegen

„Wo bin ich? Bin ich etwa im Garten Eden.“ Benjamin Karl ist richtig aufgedreht, als er am Samstag zu morgendlicher Stunde diese Videobotschaft versendet.
Seine Anfangseuphorie wird noch verfliegen, auch die Glücksgefühle werden irgendwann in Frustmomente umschlagen.
Karriere
Benjamin Karl (*16. 10. 1985) zählt zu den erfolgreichsten Alpin-Snowboardern der Geschichte. 2022 in Peking wurde der Niederösterreicher Olympiasieger. Dazu kommen noch eine olympische Silbermedaille 2010 in Vancouver und Bronze 2014 in Sotschi.
Erfolge
Karl ist fünffacher Weltmeister, er gewann drei Mal den Gesamtweltcup und hält bei 27 Weltcupsiegen.
Familie
Der 39-Jährige lebt in Lienz und ist mit Nina Grissmann, der Tochter des früheren Abfahrers Werner Grissmann verheiratet. Das Paar hat zwei Töchter.
Benjamin Karl steht gerade erst am Beginn einer beschwerlichen Reise, die ihn in den nächsten Tagen an seine Grenzen bringen lässt. Der Snowboard-Olympiasieger wird nicht immer so gut drauf sein wie noch am Samstag bei seiner Botschaft vom Ahornboden im Tiroler Karwendel.

Benjamin Karl auf dem ersten Checkpoint im Karwendel
Alleinunterhalter
1.581 Kilometer, mehr als 30.670 Höhenmeter, 23 Alpenpässe und Bergwertungen – das sind die abschreckenden Kennzahlen des Extremradrennens, das Benjamin Karl am Samstag um 5:13 Uhr in Angriff genommen hat.
Beim Monaco di Baviera Classic, das von München aus bis zum Gardasee und mit einem Abstecher nach Österreich (u.a. Großglocker) wieder retour nach Bayern führt, sind die Fahrer völlig auf sich alleine gestellt.
Große Begleitteams mit Ärzten, Masseuren und Köchen, wie es sie etwa beim Race Across America gibt, sind bei diesem Ultramarathon auf zwei Rädern verboten. Die Fahrer haben weder Verpflegungsstellen noch Unterkünfte zum Schlafen.
„Es gibt heute keine echten Abenteuer mehr“, meint Benjamin Karl. „Ich will etwas spüren – da draußen, allein, auf mich gestellt. Ich will wissen, wie sich Ultracycling anfühlt.“

Der 39-Jährige hat sich mit schlichtem Gepäck auf den Weg gemacht, in die drei kleinen Taschen, die er an seinem Rennrad fixiert hat, passt nur das Allernotwendigste.
„Ein Erste-Hilfe-Paket, eine Wärmedecke, Werkzeug, um das Radl zu reparieren. Ersatzgewand und Proviant. Es muss ja aerodynamisch sein“, erzählt der Niederösterreicher.
Grenzgänger
Benjamin Karl sieht sich wie die anderen 97 Grenzgänger beim Monaco di Baviera Classic mit mehreren Herausforderungen im Extrembereich konfrontiert.
Es sind ja nicht nur die lange Distanz und die vielen Höhenmeter, allein das Thema Verpflegung hat den Snowboardstar in der Vorbereitung lange beschäftigt.
Weil man mit herkömmlichem Essen gar nicht so viele Kalorien zu sich führen kann, wie der Körper braucht, greift Benjamin Karl wie die Radprofis zu Powergels. „Ich benötige jede Stunde ein 50-Gramm-Gel. Aber ich kann nicht tagelang nur solche Gels essen. Außerdem habe ich im Gepäck keinen Platz für 120 Packungen.“

Benjamin Karl schlug unterwegs in einem Supermarkt zu. Auch Essiggurken stehen auf seinem Speiseplan
Benjamin Karl wird daher unterwegs immer wieder Supermärkte ansteuern und sich anderweitig helfen. „Beliebt sind zum Beispiel Tuben mit Honig. Die kann man sich dann in den Mund drücken“, weiß der passionierte Radfahrer.
Kurze Nickerchen
Ein anderes Problem ist der Schlaf. Laut Regulativ stünde es den Teilnehmern frei, sich zwischendurch ein feines Hotelzimmer zu nehmen. Aber das macht natürlich keiner, zumindest nicht Benjamin Karl.
Der 39-Jährige ist sehr kreativ, wenn es um ein kurzes Nickerchen geht. „Ich stelle mir einfach zwei Stühle zusammen, die vor einer Bar stehen. Oder vielleicht im Foyer einer Bank.“

Zwischendurch gönnte sich Benjamin Karl auch ein Eis
Aber Benjamin Karl hat ohnehin nicht vor, allzu viel zu schlafen. Den Plan, sich jede Nacht vier, fünf Stunden aufs Ohr zu hauen, hat er rasch beiseite geschoben.
3 x 20 Minuten Schlaf
„Der Sieger war im letzten Jahr drei Tage und zwei Stunden unterwegs und hat drei Mal 20 Minuten geschlafen.“ Seine Taktik: „Ich fahre jetzt einmal so lange, bis ich mir denke, dass es gefährlich wird für einen Sekundenschlaf. Ich habe keine Erfahrung, wie's mir geht ohne Schlaf.“
Benjamin Karl ist sich bewusst, dass irgendwann der Moment kommen wird, an dem er in ein Loch fällt und er sich die Sinnfrage stellt. „Davor habe ich echt Respekt.“
In dieser Phase ist Ablenkung wichtig. Karl hört unterwegs Musik, seine Freunde haben ihm eine eigene Playlist mit auf die Reise gegeben. "Ich hab' auch eine Playlist mit Austropop."
Sein Handyakku wird durch den Strom aufgeladen, den er mit jeder Pedalumdrehung selbst produziert. „Jede Kurbelumdrehung bringt mich vorwärts. Das ist mein Mantra“, sagt er.
In Führung nach 200 km
In spätestens fünf Tagen will Benjamin Karl wieder zurück in München sein. Insgeheim hofft er auf eine Fahrzeit von drei Tagen. "Jeder, der mich kennt, weiß: Wenn ich eine Startnummer anhabe, dann packt mich der Ehrgeiz."
Nach den ersten 200 Kilometern lag der Niederösterreicher jedenfalls in Führung.
Er wolle die Fahrt genießen, meinte Benjamin Karl vor dem Start im KURIER-Gespräch. "Die Ruhe der Nacht. Die Natur." An die Torturen und Strapazen wollte er keine Gedanken verschwenden.
Wie sagte er doch gleich: „Ich muss eigentlich nur Radlfahren, Essen und Trinken. Ich habe den ganzen Tag nichts anderes zu tun.“
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