Radsport-WM in Ruanda: Zwischen Begeisterung und Bedenken

Seit 1921 wird im Radsport um WM-Medaillen gefahren. Bis zur Premiere auf afrikanischem Boden dauerte es 104 Jahre. In der ruandischen Hauptstadt Kigali geht es bis 28. September in 13 Entscheidungen um die Titel.
Warum gibt es eine Rad-WM in Ruanda?
2018 ließ der Weltverband UCI erstmals seine Bereitschaft erkennen, eine WM in Afrika auszurichten. 2023 erhielt Ruanda den Zuschlag. Für die Ausrichtung fließen einige Millionen Euro aus Ruanda in die Kassen der UCI. Der Weltverband wiederum will sich als globaler Player inszenieren und erhofft sich eine noch breitere Basis für den Sport.
Hat Ruanda eine Radsport-Tradition?
Absolut! Die Radsportbegeisterung in der Bevölkerung ist groß, seit 2001 wird jedes Jahr die Tour du Rwanda ausgerichtet. Die meisten Sportler zeigten sich nach den Zeitfahr-Bewerben am Sonntag jedenfalls begeistert von der Stimmung an der Strecke.
Was ist vom Vorwurf des Sportswashing zu halten?
Die ruandische Regierung unterstützte die Rebellengruppe M23 im Ostkongo, bei deren Aktionen es zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sein soll. In der Folge hatte das EU-Parlament Sanktionen gegen Ruanda beschlossen und eine Absage der WM gefordert. UCI-Präsident David Lappartient reagierte darauf trotzig, es gebe keinen Plan B.
Kritiker werfen dem Land mit dem umstrittenen Staatspräsidenten Paul Kagame nun vor, mit Sportereignissen sein Image aufzupolieren zu wollen. Sogar als Gastgeber für ein Formel-1-Rennen bringt sich Ruanda ins Gespräch. Der Slogan der Tourismus- und Imagekampagne „Visit Rwanda“ prangt auf den Trikots von Fußballklubs wie Arsenal, Paris Saint-Germain und Atlético Madrid. „Wenn man strenge Maßstäbe anlegt, wird es irgendwann eng, ein Ausrichterland für eine WM zu finden“, sagte der deutsche Rad-Teamchef Jens Zemke. „Überall auf der Welt gibt es Konfliktherde.“
Ist Ruanda sicher?
Vor 31 Jahren geriet das Land durch einen grausamen Völkermord in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Damals hatten in nur 100 Tagen radikale Milizen der Volksgruppe der Hutu 800.000 Angehörige der Tutsi-Minderheit ermordet. Nach Ansicht seiner Anhänger hat der seit 25 Jahren autoritär regierende Präsident Kagame das Land wirtschaftlich stabilisiert und vereint. Ruanda gilt heute als eines der stabilsten und sichersten Länder Afrikas. Menschenrechtsorganisationen stellten allerdings fest, dass freie Presse und Opposition in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt werden.
Warum haben so viele Fahrer für die WM abgesagt?
Die Athleten sollten sich vor der WM gegen Gelbfieber und Hepatitis impfen lassen. Sogar Vorsorge-Tabletten gegen Malaria wurden empfohlen. Das schreckte viele Athleten ab, deren höchstes Gut der eigene Körper ist. Noch größer als die Angst vor (Virus-)Erkrankungen war aber der Ärger über die absurd hohen Hotelpreise in Kigali während der WM. Vuelta-Sieger Jonas Vingegaard hat ebenso abgesagt wie dessen dänischer Landsmann Mads Pedersen (Weltmeister 2019), Wout van Aert, Joao Almeida oder Mathieu van der Poel.
Und warum ist Superstar Tadej Pogačar dabei?
Sicher auch, weil der vierfache Tour-de-France-Sieger seinen WM-Titel beim anspruchsvollen Elite-Rennen (5.475 Höhenmeter) am 28. September verteidigen will. Für sein Antreten wird Tadej Pogačar vermutlich aber auch entsprechend abgegolten. Es wäre nämlich schon ziemlich peinlich für den Weltverband, würde die prestigeträchtige erste WM in Afrika ohne den Superstar stattfinden.
Welche Österreicher sind dabei?
Der ÖRV schickte sieben Athleten zur WM. Olympiasiegerin Anna Kiesenhofer wurde am Sonntag 17. im Zeitfahren. Das Straßenrennen (27. 9.) bestreitet die Steirerin Carina Schrempf. Bei den Herren ist kein Österreicher am Start.
Als die Formel 1 das letzte Mal auf dem afrikanischen Kontinent Halt machte (1993 in Kyalami), war Weltmeister Max Verstappen noch nicht geboren. Es sollte aber nicht mehr lange dauern, bis der Niederländer und seine Rennfahrerkollegen in Afrika wieder hochoffiziell die Motoren aufheulen lassen. Südafrika und Ruanda bekunden großes Interesse an einem Formel-1-Grand-Prix ab der Saison 2028.
Dass die Jahresabschlussgala des Automobil-Weltverbandes FIA 2024 in Kigali stattfand und Max Verstappen seinen WM-Pokal aus den Händen von Ruandas Machthaber Paul Kagame überreicht bekam, darf durchaus als Zeichen verstanden werden, dass sich das kleine Land in der Poleposition befindet.
Afrika ist sonst eher ein weißer Fleck auf der Sportweltkarte. Die großen Sportverbände machten in der Vergangenheit einen weiten Bogen um den Kontinent. Zu unsicher sei in vielen Regionen Afrikas die politische Lage, zu schlecht in manchen Teilen die Infrastruktur, zu groß die Gefahr vor Krankheiten wie Gelbfieber, Malaria oder Ebola – diese Argumente waren dabei immer wieder zu hören.
Die Rugby-WM in Südafrika (1995), die Handball-WM-Turniere in Ägypten (1999, 2021) und die Fußball-WM 2010 in Südafrika waren bisher die größten globalen Veranstaltungen. Am nachhaltigsten waren die Vuvuzelas der afrikanischen Fußballfans, die viele heute noch im Ohr haben, die meisten WM-Stadien sind indes verwaist.
Trotz mehrfacher Bewerbungen ist Afrika der einzige Kontinent, auf dem noch keine Olympischen Spiele stattgefunden haben. Das könnte sich in Zukunft ändern: Mit Kirsty Coventry, einer Ex-Schwimmerin aus Zimbabwe, steht seit heuer erstmals eine Frau und Afrikanerin an der Spitze des IOC.
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