Geräderte Helden der Landstraße: Kaider siegt vor Kaufmann beim RAAM

Die Falten um die Augen von Philipp Kaider sind tief, die Haut in seinem Gesicht wirkt ledrig und beschlagen wie eine Windschutzscheibe nach einer langen Autofahrt. Der 39-Jährige aus Wolkersdorf ist endlich am Ziel.
Als Erster erreichte er beim Race Across America (RAAM) Atlantic City an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Acht Tage, 22 Stunden und 32 Minuten zuvor war er in Kalifornien gestartet. Er feierte beim wohl härtesten Radrennen der Welt einen Start-Ziel-Sieg. Mit Lukas Kaufmann kam ein weiterer Österreicher als Zweiter ins Ziel.
„So müde“
Das Lächeln von Philipp Kaider bei der Siegerehrung vor dem Strand der Glücksspielmetropole lässt die Strapazen der vergangenen Tage nur erahnen. Mit einer Finisher-Medaille und vier Pokalen wird der Sieger geehrt. „Ich kann noch gar nicht sagen, was ich fühle, weil ich so müde bin“, sagte Kaider in einer ersten Stellungnahme.
Dazu muss man wissen, dass beim RAAM nicht in Etappen gefahren wird, sondern die Strecke von 4.932,64 Kilometern am Stück zu bewältigen ist. Wer als Erster in Atlantic City ankommt, hat gewonnen. Die Erholungspausen beschränkten sich auf kurze Einheiten.

Philipp Kaider mit seinen Trophäen
Die Motivation
Nach der letzten Schlafpause vor dem Ziel stand Kaider selbst auf, zog sich an und verließ das Wohnmobil, um die letzten Kilometer zu absolvieren. Betreuer Christian Vogt beschreibt: „Er beißt und kämpft bis zur totalen Erschöpfung.“
Auf den letzten Kilometern der knapp neuntägigen Tortur wurde der Niederösterreicher immer wieder von seinem Team am Straßenrand angefeuert und aufgemuntert. Beim Surf Stadium in Atlantic City wurde die Zeit offiziell gestoppt – Kaider und sein elfköpfiges Team durften feiern.
Für Kaider ging mit dem Sieg ein sportlicher Lebenstraum in Erfüllung. Der Krankenpfleger zählt längst zur Weltspitze im Ultraradsport: zweimaliger 24-Stunden-Zeitfahr-Weltmeister, österreichischer Meister (Race Around Niederösterreich), Sieger des Race Around Austria, Vizeweltmeister beim Race Around Poland (3.600 km). Und doch war dies sein RAAM-Debüt.
Rad statt Rauch
Begonnen hatte alles vor 13 Jahren, als der Krankenpfleger noch eine Packung Zigaretten am Tag rauchte. Er bekam ein Fahrrad geschenkt – die Zigaretten legte er zur Seite.
Die letzten Tage vor dem Start in Oceanside an der Westküste verliefen nicht ideal. Eine Woche vor dem Start bekam Kaider Zahnschmerzen und musste in San Diego einen Arzt aufsuchen. „Eine Wurzel bei einem Zahn ist gebrochen, und darunter hat sich ein Abszess gebildet“, erzählte Kaider. Eine Operation hätte das Rennaus bedeutet – also wurde die Entzündung mit Medikamenten behandelt.

Lukas Kaufmann mit seinem Team
Ankunft um 5 Uhr
Auch für Lukas Kaufmann verlief das Rennen turbulent. Der Oberösterreicher erreichte das Ziel kurz vor 5 Uhr Früh – als starker Zweiter.
Gleich zweimal musste er in der Schlussphase heikle Situationen meistern, als Autofahrer Stopptafeln missachteten. „Es war ein verrückter Rennverlauf“, so Kaufmann. „Nach den ersten fünf Stunden mussten wir unser Konzept komplett über den Haufen werfen. In der Wüste ging’s mir richtig schlecht, ich konnte nichts essen. Ich bin froh, dass ich mich ins Ziel gekämpft habe.“ In den ersten Tagen sei er näher am Aufgeben gewesen als am Weiterfahren. Doch das Team stellte die Schlafphasen von drei auf nur eineinhalb Stunden um – das brachte ihn zurück ins Rennen.
Wie lange die beiden nach der Zielankunft schlafen werden, weiß momentan noch niemand. Verdient hätten sie Wochen.
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