ÖVP-Minister Hattmannsdorfer: "Das ist kein ruhmreicher Titel für Österreich"
 
            
            KURIER: Bei Ihrem Antrittsinterview sprachen Sie davon, die Deindustrialisierung stoppen zu wollen. Weit sind Sie mit Blick auf KTM, Lenzing und die Zahlen nicht gekommen.
Wolfgang Hattmannsdorfer: Das sehe ich anders. Die Deindustrialisierung ist die größte standortpolitische Herausforderung, die wir haben, denn: Ohne Industrie gibt es keine Jobs und keinen Wohlstand. Wir haben deshalb Sofortmaßnahmen gesetzt wie den Industriestrombonus, um vor allem die energieintensive Industrie zu unterstützen. Auf EU-Ebene werden wir gerade zum Taktgeber, beispielsweise beim Verbrenner-Aus oder dem Ende der Gratis-Zertifikate.
Jüngst wies der Selektiv-Newsletter der IV aus, dass der CO₂-Preis pro Tonne in der EU bei 67 Euro liegt, in den USA bei 28 und in China bei knapp über 10 Euro. Wollen Sie an der CO₂-Bepreisung schrauben?
Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Prioritätensetzung der EU. Alle Regularien – von CO₂-Preis über CBAM bis Gratis-Zertifikaten und ETS-Handel – kommen aus einer anderen Zeitrechnung.
Sie kommen vom Green Deal vor fünf Jahren.
Wir haben das Ende des uns bisher bekannten regelbasierten Handels erlebt mit einer immer protektionistischer werdenden USA und China, das auf die Subventionierung der Industrie setzt. Man kann unsere Industrie nicht länger mit administrativen und finanziellen Bürden belasten. Was zu viel ist, das ist zu viel.
 
            
            
            Wirtschaftsminister Wolgang Hattmannsdorfer
Der Linzer (Jg. 1979) studiert Wirtschaft an der Johannes Kepler Universität, absolviert Auslandssemester u.a. in Taipei u. Jakarta, wird Mitglied im Cartellverband
OÖ-Landtag: Ab 2003 arbeitet er im Landtagsklub der ÖVP, wird später stv. Landesgeschäftsführer. 2021 wird er Landesrat für Soziales, Integration und Jugend in der Landesregierung von Thomas Stelzer.
WKO: 2024 wird bekannt, dass Hattmannsdorfer 2025 Karlheinz Kopf als Generalsekretär der WKO folgt. Seit 3. März ist er Wirtschaftsminister
Privat: Hattmannsdorfer ist verheiratet und Vater von zwei Kindern
Was heißt das konkret für die CO₂-Bepreisung?
Die Priorität auf EU-Ebene muss die Wettbewerbsfähigkeit sein. Die Summe aller Auflagen führt dazu, dass Industriebetriebe zunehmend aus Europa abwandern, und das müssen wir verhindern.
Mit welchen Maßnahmen wollen Sie die Deindustrialisierung verhindern?
Das beginnt beim Aussetzen der Gratis-Zertifikate oder CBAM, das nichts anderes ist als ein Mechanismus, der Umweltvorgaben bei Produktionskosten berücksichtigt – nicht aber die Wettbewerbsfähigkeit. Wir können nicht in Schönheit sterben, während uns andere Teile der Welt wie China und die USA links und recht überholen. Wir müssen aufwachen und: Wir müssen verstehen, dass Wirtschafts- und Standortpolitik auch Gesellschaftspolitik ist.
 
            
            
            Weltmächte - Trump und Jinpin
Was meinen Sie damit?
Es geht um Fleiß, Internationalität und den Erfindergeist, der dieses Land groß gemacht hat und der uns auch in Zukunft stärken wird.
Dieses Land hat besonders hohe Energiepreise. APG-Chef Gerhard Christiner spricht vom „Österreich-Aufschlag“ bei der Energie. Wir sind um 8 Euro pro Megawattstunde pro Jahr teurer als Deutschland und zwar selbstverschuldet, weil wir die Netze nicht ausbauen.
Neben dem Industriestrombonus haben wir bei den Netzkosten im Strombereich Veränderungen herbeigeführt. Die Netztarife stiegen von 2024 auf 2025 um 23 Prozent, heuer im Schnitt nur um 1,1 Prozent. Das Elektrizitätswirtschaftsgesetz stellt die größte Strommarktreform der letzten 20 Jahre dar. Wir bekommen damit nicht nur mehr Effizienz im Netz, sondern auch eine Reduktion der Kosten zustande.
 
            
            
            Sepp Schellhorn, Wolfgang Hattmannsdorfer, Markus Marterbauer
Das Energiegesetz hängt noch immer in der Koordinierung.
Es handelt sich um ein Gesetz mit 140 Seiten und 180 Paragrafen, weil es um die Schlüsselfragen unseres Energiesystems von morgen geht. Die Begutachtung ist vorbei, die Gespräche laufen auf Hochtouren und wir werden das Gesetz noch heuer ins Parlament bringen.
Legen Sie auch heuer noch die Industriestrategie vor?
Die Industriestrategie wird heuer jedenfalls inhaltlich abgeschlossen sein. Ziel ist es diese Anfang 2026 zu präsentieren.
Sie stehen wie ÖVP-Chef und Kanzler Christian Stocker für weniger Markteingriffe ein. Widerspricht das nicht einer vom Staat vorgegebene Industriestrategie?
Ganz im Gegenteil. Es geht darum, dass wir Rahmenbedingungen für die Industrie vereinfachen. Ich glaube, dass eine Industrienation wie Österreich ein Bild davon haben muss, wie die Industrie 2035 in diesem Land ausschaut. Auf welche Stärken setzen wir, welche Schlüsseltechnologien wollen wir und welche Forschungsförderungslandschaft brauchen wir.
 
            
            
            IFO-Chef Clemens Fuest
Sie skizzieren ein Bild in 10 Jahren. IFO-Experte Clemens Fuest spricht heute schon vom Niedergang der deutschen Industrie, an der Österreich hängt und rät uns, die Ausgaben zu reduzieren.
In der Politik wie bei den Unternehmen gilt es zu unterscheiden: was sind sofort notwendige Maßnahmen, was mittelfristige und was ist das langfristige Bild. Die Industriestrategie hat die Aufgabe ein langfristiges Bild und einen Weg zu zeichnen, dass Österreich auch in zehn Jahren noch Industrieland ist. Was wir jetzt schaffen müssen, das sind Anreize für Investitionen und für Leistung. Genau deshalb haben wir ein Leistungspaket verabschiedet, die Bildungskarenz abgeschafft und die Zuverdienstmöglichkeiten in der Arbeitslosigkeit eingeschränkt, damit mehr Arbeitsstunden und auch Arbeiten im Alter belohnt werden.
Die Abschaffung der Bildungskarenz löst nicht das Problem des Arbeitgebers, der mit die höchsten Lohnnebenkosten in der EU bezahlen muss.
Sie haben Recht. Wir haben uns aus dem Markt gepreist, weil die Lohnstückkosten in den letzten zwei Jahren um 20 Prozent gestiegen sind – im EU-Schnitt aber nur um 11 Prozent. Die Regierung hat nachhaltig gehandelt, indem der Gehaltsabschluss des öffentlichen Dienstes nochmals aufgemacht wurde, die Pensionen nicht um 2,7 sondern um 2,2 Prozent erhöht wurden. Ich glaube, dass auch die Metaller sehr verantwortungsvoll bei ihrem Abschluss umgegangen sind. Damit hoffe ich, dass wichtige Preissignale für die noch offenen KV-Verhandlungen gesendet wurden. Abseits davon erwarte ich mir eine ehrliche Debatte, was die Gründe für das verhaltene Wachstum und die hohe Inflation sind. Zur Hälfte sind sie europäisch, aber zur anderen Hälfte sind sie hausgemacht.
 
            
            
            SPORRER/BABLER/STOCKER/MEINL-REISINGER/HATTMANNSDORFER
Wer ist unehrlich und wann kommt das Thema der Lohnnebenkostensenkung wieder auf den Tisch?
Die Senkung der Lohnnebenkosten ist im Regierungsprogramm verankert und für 2027 avisiert, wenn es das Budget erlaubt. Die Grundsatzfrage ist: Wie bekommen wir die Lohnstückkosten wieder in den Griff? Denn das ist der Grund, warum wir im Wachstum so weit hinten und bei der Inflation so weit vorne sind. Meine Aufgabe wird es weiterhin sein, in diesen Fragen schmerzbefreit zu sein und die Dinge klar zu benennen. Man ist der Buhmann der Nation, wenn man die Probleme offen anspricht. Aber: Wir schaffen, dass das Glas wieder halb voll wird, wenn sich alle anstrengen.
Also, wer ist in der Debatte nicht schmerzbefreit oder unehrlich? Der Koalitionspartner?
Es geht mir um den allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs, dass derzeit leider nicht alle bereit sind, Probleme klar und unmissverständlich zu benennen. Die Lohnstückkosten sind wesentlich für Wirtschaftswachstum.
Sie könnten auch „ehrlich und schmerzbefreit“ das Pensionssystem reformieren wollen, das Arbeitslosengeldmodell oder das Gesundheitswesen.
In meinem Zuständigkeitsbereich tue ich das auch. Es ist kein ruhmreicher Titel für Österreich, dass wir das Land sind, in dem die Wochenarbeitszeit am meisten zurückgeht. In der Koalition habe ich, denke ich, für genug Sensibilisierung in dem Bereich gesorgt. Deshalb wurden auch die Geringfügigkeitsgrenzen eingefroren. Ich habe auch eine klare Erwartungshaltung, was die Reform der Sozialhilfe betrifft.
Kommendes Jahr soll die Flat-Tax für Pensionisten kommen. Ist es fair, dass jemand, der einen Vollzeitjob hat und einer Zusatzbeschäftigung nachgeht, keine Flat-Tax bekommt?
Es ist fair, dass diejenigen, die das Pensionsantrittsalter erreicht haben und bereit sind auch weiterzuarbeiten, steuerlich begünstigt werden. Es ist fair, gerecht und vor allem dringend notwendig, weil der demografische Wandel die Schicksalsfrage unserer Gesellschaft ist. Wenn in den nächsten 10 Jahren alle Babyboomer in Pension gehen – 1,4 Millionen Menschen – und nur 900.000 nachkommen, müssen wir alles tun, um das Arbeitspotenzial im Binnenmarkt zu heben. Zusätzlich müssen wir dafür sorgen, dass nur die Menschen zu uns einwandern, die hier arbeiten und nicht nur vom Sozialsystem profitieren wollen.
 
            
            
            Kommen wir nochmals auf die EU-Ebene. Sie wollen den „Österreich-Aufschlag“ bei den Lebensmitteln innerhalb der EU lösen. Was ist der Status Quo?
Wir haben sieben Länder überzeugt – Belgien, Niederlande, Luxemburg, Tschechien, Slowenien, Griechenland, Kroatien – unserer Allianz beizutreten. Das zeigt, dass man auch als kleines Land in Europa eine Chance hat, Dinge zu verändern. Stéphane Séjourné, Exekutiv-Vizepräsident der EU-Kommission, hat angekündigt, uns in den nächsten Monaten Maßnahmen präsentieren zu können.
Ganz Europa rüstet auf oder nach. In Österreich wird man das Gefühl nicht los, be- oder verhindern die Neutralität und die negativen Erfahrungen der Vergangenheit mit Gegengeschäften, dass wir an ReArm Europe partizipieren. In Bulgarien entsteht gerade eine Munitionsfabrik, die 1.000 Arbeitsplätze schaffen soll, in Österreich hört man von alle dem nichts.
Die Sicherheits- und Verteidigungsstrategie der EU hat ein enormes Wachstumspotenzial für Österreich, vor allem weil wir eine enorm hohe Forschungsquote im High-Tech-Bereich von 7,5 Prozent haben. Das ist deutlich über dem Industrieschnitt. Der Unterschied zu anderen Ländern ist, dass all diese Geschäfte und Gegengeschäfte im Rahmen des Neutralitätsgesetzes stattfinden. Sie haben Recht: Wir müssen schneller und unkomplizierter werden bei der Exportkontrolle und im Dual-Use-Bereich. Und: Von mir gibt es ein klares Bekenntnis zu rechtskonformen Gegengeschäften.
 
            
            
            Edith Hlawati
Andere Regierungsmitglieder nennen die Gegengeschäfte lieber Industriekooperationen, weil sich viele beim dem Wort „Gegengeschäft“ an den Eurofighter-Deal erinnert fühlen.
Rechtskonforme Gegengeschäfte sind eine Frage der Intelligenz. Der Sicherheits- und Verteidigungssektor beschäftigt heute bereits direkt 11.000 und indirekt weitere 20.000 Menschen in der Zulieferindustrie, setzt 3,3 Milliarden Euro um.
Sie sind auch für die Industrieholding ÖBAG zuständig. Zuletzt gab es Gerüchte, wonach Sie die ÖBAG-Spitze vorzeitig neu besetzen wollen. Das Mandat von Edith Hlawati geht bis 2027. Denken Sie darüber nach, dass es künftig auch eine Zweierspitze geben könnte?
Frau Hlawati macht einen ausgezeichneten Job, warum sollte ich den Vertrag vorzeitig auflösen? Nachdenken kann man über vieles, aber das derzeitige Modell hat sich bewährt.
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