Rüstungsdirektor: "Wir haben mittlerweile täglich Angriffe auf Server"

Harald Vodosek, Generalleutnant und oberster Einkäufer im Bundesheer, über Transparenz bei Waffenkäufen, Gegengeschäfte und warum er glaubt, dass die Österreicher wehrwilliger sind, als Studien gemeinhin annehmen lassen.
KURIER: Herr Generalleutnant, eine eher grundsätzliche Frage zum Einstieg: Was macht eigentlich ein Rüstungsdirektor?
Harald Vodosek: Unser tägliches Aufgabengebiet besteht darin, die äußere Sicherheit Österreichs sicherzustellen. Das tun wir mit unseren Soldaten und mit deren Fähigkeiten bzw. dem Material. Als Rüstungsdirektor besteht meine Aufgabe prinzipiell darin, das „Material“, also Ausrüstung wie Waffensysteme, sicherzustellen. Ein Drittel des Budgets im Bundesheer entfällt auf Investitionen, und hier gibt es verschiedene Dimensionen, in denen wir tätig sind: Dazu gehören der „Space“, also Weltraum, der „Cyber War“, dann die „Information Operation“ und die Dimensionen Luft und Land.
Welche Rolle spielt bei all dem die Neutralität? Ist sie hinderlich?
1955 wurde von verantwortungsvollen Politikern die Entscheidung getroffen, dass Österreich nicht geteilt wird, sondern unter der Voraussetzung der Neutralität geeint bleibt. Von dieser Neutralität zehren wir heute noch, sie ist ein Mehrwert und bringt uns derzeit militärisch keinen Nachteil. Wir sind voll integriert in das Tun und Handeln der Europäischen Union, und wir sind Partner im Rahmen der NATO-Strukturen.
Ist es nicht paradox zu behaupten, Aufrüsten – wie es jetzt in Europa passiert – führe zu mehr Frieden?
Gestatten Sie mir einen Vergleich: Jeder von uns wohnt in einer Wohnung oder in einem Haus. Und auch wenn Österreich ein sehr, sehr sicheres Land ist, so haben die meisten Menschen Schlösser an den Türen, Alarmanlagen oder Rollläden. Dieser Individualschutz im Kleinen ist das, was der Staat im Großen leisten will. Rüstung ist nichts anderes als der Zaun, den man um sein Haus baut. Die Raketen, die Panzer und die Drohnen sind dazu da, um den Staat und dessen Bürger universell zu schützen.
Bleiben wir in Ihrem Bild: Sind die Nachbarn aggressiver geworden?
Die Europäische Union und die europäischen Unionsstaaten, die in der NATO sind, können einem Gegner ebenbürtig entgegentreten. Vielleicht waren Ausrüstung und Fähigkeiten nicht ausreichend vorhanden, um so wahrgenommen zu werden – aber deshalb werden die Services ja jetzt hochgefahren. NATO-Generalsekretär Mark Rutte hat das klar definiert: Es geht um Verteidigung durch Abschreckung. Es geht darum zu demonstrieren, dass man in der Lage ist, sich im Bedarfsfall zu verteidigen.

Wobei es nicht allein um Panzer oder Kampfjets geht, richtig?
Es geht – auch – um die Auseinandersetzung zwischen einer Autokratie oder der liberalen Demokratie. Seit dem Georgien-Konflikt 2008 sehen wir, dass Grenzverschiebungen brachial durchgeführt werden. Gleichzeitig sehen wir, dass solche Konflikte immer mit der erwähnten „Information Operation“, also mit Destabilisierung, mit der Einflussnahme auf Wahlen, etc. verbunden sind. Ich würde die genaue Zahl nicht gerne öffentlich nennen, aber wir haben mittlerweile täglich Angriffe auf Server. Und diese Attacken zielen darauf ab, das Land zu destabilisieren. Da geht es beispielsweise um Server, die bei der Energieversorgung eine Rolle spielen, aber etwa auch Server von Medien. All das läuft bereits. Am Ende geht es den Angreifern darum, die liberale Demokratie herauszufordern.
Das bedeutet: Unser Lebensmodell ist in Gefahr?
Bei der Verteidigung geht es nicht allein um die Thematik des Waffenkaufs, sondern darum, ob unsere Gesellschaft resilient ist. Resilienz hat etwas damit zu tun, dass ich verstehe, welchen Wert das Gesellschaftssystem hat, in dem ich lebe. Die liberale Demokratie mit ihrer Meinungsfreiheit, mit dem „Rule of Law“, mit der Freiheit der Kunst und der Selbstverwirklichung ist etwas, von dem ich glaube, dass die Österreicherinnen und Österreicher und alle Europäer bereit sind, es zu verteidigen. Das klingt martialisch, meint aber auch: Bin ich bereit, für mein System einzustehen und dafür zu argumentieren?
Was sagen Sie: Sind genug Menschen in Österreich bereit, für die Demokratie einzustehen? Der Wehrwille ist laut Studien überhaupt nicht ausgeprägt…
Ich kenne die Zahlen der letzten Jahre. Und da sind wir bei der Frage, ob jemand bereit wäre, das Land mit der Waffe zu verteidigen, bei unter 30 Prozent. Aber vielleicht ist die Frage nicht richtiggestellt. Österreich ist das Land der Freiwilligen. Das Rote Kreuz, der Arbeiter-Samariter-Bund, die Feuerwehr: Wenn man schaut, wie viele Menschen ehrenamtlich arbeiten, sieht man: In Katastrophen sind sehr viele bereit zu helfen. Wenn es also zu Konflikten bewaffneter Natur kommt, gehe ich davon aus, dass sich die Bewusstseinslage verändern würde.
Hat die Gesellschaft die richtigen Schlüsse aus dem russischen Angriffskrieg gezogen?
Ich würde sagen Ja. Im Regierungsprogramm steht, dass die geistige Landesverteidigung wieder in die Schulen kommt. Wie alle Nationen haben wir die letzten 30 Jahre gedacht, dass die liberale Demokratie im globalen Wettkampf der Gewinner sein wird. Mittlerweile stellen wir fest, dass dem nicht so ist und, dass wir im Sinne der geistigen Landesverteidigung auch im Bildungssystem ein Problembewusstsein schaffen müssen.
Von Noricum bis Eurofighter haben Rüstungsgeschäfte seit jeher ein negatives Image. Können solche Geschäfte wirklich korrekt erledigt werden?
Meine 550 Mitarbeiter und ich wickeln jedes Jahr 4.500 Beschaffungsverfahren ab. Das geht von der einfachen Socke über Serviceleistungen für den Eurofighter bis hin zur Beschaffung eines Lufttransportsystems für 20 Tonnen. Wir haben in unserem Beschaffungsablauf ein 66-Augen-Prinzip. Niemand entscheidet alleine, die Beschaffungen werden von Institutionen wie dem Rechnungshof, der internen Revision und der Beschaffungsprüfungskommission geprüft. Wenn wir als Käufer am Markt agieren, dann treten wir in Teams auf, unsere Verwaltungsbeamten sind allein dem Staat verpflichtet. Wir haben in den letzten drei Jahren Verträge um etwa 10 Milliarden Euro abgewickelt. Was wir tun, ist transparent und wird von vielen Stellen geprüft.
Gilt das auch für die Eurofighter und die Gegengeschäfte?
In diesem Verfahren hat es Untersuchungsausschüsse und Gerichtsverfahren gegeben und mir ist kein einziger Beamter erinnerlich, der angeklagt worden wäre.
Das heißt, Sie sind ein Fan von Gegengeschäften?
Ich bin ein Fan von Industrie-Kooperationen, weil es uns im europäischen und im österreichischen Kontext weiterbringt, was die Stärkung der Technologiebasis betrifft. Aber lassen Sie mich das vielleicht auch noch sagen: Es ist Zeit, wieder optimistisch in die Zukunft zu blicken. Wir sind eine widerstandsfähige Gesellschaft, wir sind eine extrem gut ausgebildete Gesellschaft, und wir haben uns etwas geschaffen. Jetzt geht es um die Frage: Wie viele Mittel setzen wir ein, um diese Errungenschaften der liberalen Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg entsprechend zu stärken. Jede Generation hat ihre Herausforderungen. Wir haben den Vorteil, dass wir uns aus einer stabilen, gesicherten Basis überlegen können, wie wir uns schützen wollen. Und daher kann ich pessimistische Ansagen nach dem Motto „Es wird alles schlechter“ nicht mittragen. Die Herausforderungen, die die Generationen nach 1945 hatten, waren welche, die sie gestemmt haben. Ich glaube, wir leben jetzt in einer liberalen Demokratie und haben die Möglichkeit, die Dinge weiterzuentwickeln. Auf diese Stärken müssen wir uns besinnen.
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