Tanner: „Sehen die Gefahr eines Atomangriffs nicht“
In Europa herrscht Sorge wegen eines möglichen Atomangriffs durch Russland. Österreichs Verteidigungsministerin Klaudia Tanner will im KURIER-Talk den Menschen diese Angst nehmen. Ungeachtet dessen befürwortet sie Aufrüstung.
KURIER: Müssen jetzt auch andere Länder Angriffe durch Russland fürchten?
Klaudia Tanner: Wir befinden uns in einer Zeitenwende. Seit dem 24. Februar, als Putin seinen Angriffskrieg auf die Ukraine gestartet hat, ist nichts mehr gleich. Wir und unsere Experten sehen aber, dass Putins Ziel die Ukraine ist. Wir sehen kein Übergreifen auf andere Staaten.
Im Falle des Falles: Sind wir in Europa überhaupt vor einem Atomangriff geschützt?
Bis dato war so etwas unvorstellbar. Auch einen Panzerkrieg auf unserem Kontinent hätte keiner für möglich gehalten. Die Lage ändert sich stündlich. Und niemand kann in Putins Kopf hineinsehen. Aber man muss den Menschen die Sorge nehmen. Was würde es bedeuten, so etwas bewusst zu tun? Ein erster Schlag würde einen zweiten bedingen – und davon hat ja niemand etwas. Das ist das Pfand, das wir in der Hand halten.
Schützt uns die NATO? Es hat ja geheißen, in Polen wurde eine Art Schutzschild aufgebaut. Wie gefährdet ist Österreich im Falle des Falles?
Natürlich haben NATO-Staaten Vorbereitungen getroffen. Aber wir sehen diese Gefahr nicht. Und womit Putin sicher nicht gerechnet hat, ist die Wehrhaftigkeit und den Mut der Ukrainer.
2019 hat Ex-Kanzler Sebastian Kurz mehr Geld fürs Heer abgelehnt mit dem Hinweis, es werde keinen Panzerangriff im Weinviertel geben. Die Lage hat sich geändert. Müssen wir aufrüsten?
Wir müssen jetzt die richtigen Schlüsse aus dem Krieg ziehen. Selbstverständlich muss sich Europas Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur ändern – das betrifft auch die Verteidigungsbudgets.
Deutschland will das Verteidigungsbudget auf 100 Milliarden Euro aufrüsten. Umgelegt auf Österreich wären das 10 Milliarden Euro. Aktuell beläuft es sich auf 2,7 Milliarden Euro. Wie viel braucht es?
Der Vergleich ist schwierig. Die NATO-Länder haben eine Hürde von zwei Prozent des BIP. Aber es ist ganz klar, dass wir investieren müssen. Wir müssen den Investitionsrückstau der vergangenen Jahrzehnte aufholen. Man hat geglaubt, die soziale Sicherheit ist die wichtigste Frage und hat die militärische Sicherheit hintangehalten. Seit meinem Amtsantritt haben wir das Budget dreimal erhöht. Dieser Angriffskrieg wird dazu führen, dass die Ausgaben für die Verteidigung steigen.
Sie haben vor Kurzem gesagt, dass Sie in Infrastruktur investieren wollen. Was genau brauchen wir?
Bis 2025 werden wir 100 Kasernen energieautark machen. Wir müssen in die Schutzausrüstung, in die Bewaffnung, in die Mobilität, speziell auch in die Miliz investieren. In Panzer wurde in Wahrheit seit den 90er-Jahren nicht investiert. Daher haben wir schon begonnen, in schweres Gerät zu investieren. Das müssen wir auch weiter tun. Und wir brauchen die Manpower, um die Geräte dann bedienen zu können.
Braucht es eine europäische Eingreiftruppe?
Wir sind beim Neubau der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur. Die sieht auch eine schnelle Eingreiftruppe vor. Das wurde auch beim Verteidigungsminister-Treffen besprochen. Wahrscheinlich bedarf es noch viel mehr. Und das in einer größeren Geschwindigkeit.
Müssen wir Österreichs Neutralität neu definieren?
Die Neutralität ist schon beim EU-Beitritt definiert worden. Wir sind militärisch, aber nicht politisch neutral. Seit dem Zeitpunkt des Beitritts haben wir intensiv auch am Aufbau der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik mitgearbeitet. Das tun wie nach wie vor.
Transkription: Diana Dauer
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