Tanner über Battlegroups: "Für einen Einsatz fehlte bisher der politische Wille"
Eine eskalierende Lage in der Ostukraine, Abzug der französischen Truppen aus Mali, wo Österreich derzeit eine Mission leitet – um nur zwei aktuelle Konflikte zu nennen. Verteidigungspolitisch steckt die Europäische Union in einer Krise, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) drängt auf raschere Prozesse.
KURIER: Frau Bundesministerin, womit rechnen Sie in den kommenden Tagen in der Ostukraine und wie wird sich Österreich verhalten?
Tanner: Wir beobachten in den letzten Tagen und Stunden eine Zuspitzung der Lage, die durch Desinformationsstrategien noch verschärft wird. Das Eskalationsniveau hat deutlich zugenommen. Österreich hat sich bereits klar positioniert und wir werden in enger Abstimmung mit unseren europäischen Partnern vorgehen.
Ein Thema bei der Russland-Ukraine-Krise ist und bleibt die Energieversorgung, die, wenn sich alles verschlechtert, zu einem Blackout führen könnte. Hält der Zeitplan, bis 2025 100 Kasernen autark zu machen?
Ja, nach einem genauen Priorisierungskonzept. Wir gehen davon aus, dass dieser Plan halten wird. Das einzige Problem, das zu einer Verzögerung führen könnte, wären Lieferengpässe aufgrund der Covid-Krise. Derzeit läuft aber alles nach Plan.
Mit dem Ende der Missionen „Barkhane“ und „Takuba“ in Mali wackelt auch die EUTM-Mali, die ja derzeit von Österreich geführt wird. Auch Deutschland ist skeptisch. Wie wahrscheinlich ist ein Ende der Mission bis Juni?
Die französische Entscheidung ist zu respektieren. Im Umgang mit der malischen Regierung muss es rote Linien geben, vor allem im Umgang mit der Söldnergruppe Wagner. Die Frage ist, wenn sich die EU aus der Sahelzone zurückzieht – was würde das dann heißen? Jede Entscheidung in puncto Mali hat Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Daher ist es wichtig, dass die EU hier mit einer Stimme spricht.
Ist es für Sie denkbar, dass die EUTM-Mali in anderen Ländern wie Niger und Burkina Faso verlegt werden? Das wäre ja auch Mandatsgebiet der Mission.
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Thema. Derzeit wird für die EUTM Mali ein Optionenpapier über die künftige Ausrichtung erstellt.
Sie waren Anfang der Woche in Griechenland und Zypern, haben sich dort mit Ihren Pendants getroffen – was wurde dort besprochen?
Wir haben uns über die aktuelle Sicherheitslage ausgetauscht, die ja derzeit sehr mannigfaltig ist: Von der Situation in Osteuropa über die nach wie vor heikle Lage im östlichen Mittelmeer bis hin zu den Entwicklungen in Westafrika. Ein wichtiger Punkt war deshalb auch der Strategische Kompass, sowie die Migrationslage.
Im März soll dieser „Strategische Kompass“ – ein Grundlagendokument – ratifiziert werden. Was kann man sich darunter vorstellen?
Dieses Dokument soll uns als EU in die Lage bringen, rascher und gemeinsam auf Krisensituationen zu reagieren. Dass diese Notwendigkeit besteht, haben wir ja in den vergangenen Monaten und Jahren gesehen. Wir sehen gerade jetzt anhand der Russland-Ukraine-Krise, wie wichtig es ist, den Prozess des Strategischen Kompasses intensiv voranzutreiben. Das bedingt auch eine schnelle Eingreiftruppe, „Rapid Deployment Capacity“ genannt, die im März im Rahmen des Beschlusses des Strategischen Kompasses geschaffen werden soll.
Von welcher Mannstärke gehen Sie dabei aus?
Es soll eine Truppe in der Dimension bis zu 5.000 Soldatinnen und Soldaten gebildet werden. Bereits 2023 soll mit militärischen Übungen begonnen werden. Aufbauend auf den Erfahrungswerten der EU-Battlegroups.
Wo ist ein solcher Einsatz vorstellbar?
Die Rapid Deployment Capacity wäre aus meiner Sicht und aus der Sicht Österreichs ein wichtiger Schritt zur Verbesserung des Krisenreaktionsinstrumentariums der EU. Eine solche Truppe könnte beispielsweise erforderlich sein, um die Konfliktverhütung zu unterstützen, um humanitäre Hilfe zu leisten und um zeitlich begrenzte Operationen wie Evakuierungsmaßnahmen durchzuführen. In diesem Bereich müssen wir schneller und besser werden.
Aber die EU-Battlegroups wurden doch für Einsätze dieser Art ins Leben gerufen und waren seit ihrer Gründung nicht einmal eingesetzt. Was unterscheidet die neue Einheit bis auf die vergrößerte Mannstärke davon?
Für einen Einsatz fehlte bisher der politische Wille. Nichtsdestotrotz haben die 2005 gegründeten Battlegroups wesentlich zur Steigerung der Interoperabilität unserer Streitkräfte durch gemeinsames Training und zur Herausbildung einer europäischen strategischen Kultur beigetragen. Nur weil etwas nicht zum Einsatz gebracht wird, heißt es nicht, dass die Vorbereitungsarbeiten nicht passiert sind. Dass Beschlüsse für einen Einsatz das Einstimmigkeitsprinzip erfordern, stellt uns in der EU immer wieder vor Herausforderungen. Da müssen wir uns bemühen, diese Einstimmigkeit herzustellen.
In der Krise zwischen Russland und der Ukraine wurde wieder einmal offensichtlich, dass die EU die NATO als militärische Schutzmacht sieht. Und dort sind nun einmal mit Abstand die USA die stärkste Kraft. Ist so strategische Autonomie möglich?
Da sieht man, dass es wichtig ist, dass der Strategische Kompass nicht nur ein Papier bleibt, sondern dass er auch genutzt wird. Dass die Fähigkeiten, die wir grundsätzlich haben, auch genutzt werden. Es sollte keinesfalls ein Papiertiger daraus werden.
Kommentare