PRO
Kriege, Konflikte, Unruhen an fast jeder EU-Außengrenze, die USA, die ihren Fokus immer mehr auf den Pazifikraum legen – und Europa muss tatenlos zusehen. Während Russland und die USA ihren Ton verschärfen, kommen aus Brüssel Androhungen von Sanktionen gegen Moskau, die den europäischen Staaten selbst gehörigen, wirtschaftlichen Schaden zufügen dürften. Wie anders hätte die Situation wohl ausgehen, hätte man sich um die Jahrtausendwende auf die rasche EU-Eingreiftruppe in der Stärke von bis zu 60.000 Mann geeinigt? Nicht um Kriege zu führen, sondern um den außenpolitischen Botschaften ein stärkeres Gewicht zu verleihen. Man ist kein Militarist, weil man die Notwendigkeit einer Armee erkennt. Man ist Militarist, wenn man davon ausgeht, dass Probleme nur durch den Einsatz militärischer Stärke zu lösen sind.
Militaristen gibt es einige auf der Welt – jener Welt, der das Friedensprojekt EU seine Werte vermitteln will. Doch sowohl Russland als auch die USA – von China ganz zu schweigen – belächeln den „asiatischen Subkontinent Europa“, machen (noch) gute Geschäfte mit den reichen Ländern. Zumindest solange sie von Sanktionen absehen (China) oder sich militärisch und außenpolitisch so verhalten, wie man es wünscht (USA). Und wer wird nächster US-Präsident? Nach der Wahl des Letzten wurde der Ruf nach „strategischer Autonomie“ in der EU laut. Es gibt Initiativen in diese Richtung, die bei aller Ambition zeigen, wie schwierig es ist, die außen- und wehrpolitischen Vorstellungen aller Mitgliedsländer zu vereinen. Die EU-Battlegroups etwa können nach bald zwei Jahrzehnten ohne Einsatz als Totgeburt bezeichnet werden. Dennoch ist es höchste Zeit, den politischen Willen ernsthaft auf dieses Thema zu lenken, will man ernsthaft geopolitisch autonom und für die eigene Sicherheit verantwortlich sein.
Armin Arbeiter ist Außenpolitik-Redakteur des KURIER.
CONTRA
Aus heutiger Sicht wird die Menschheit eher den Mars begrünen, bevor sich Europa auf eine gemeinsame EU-Armee einigt. Die Frage, ob wir eine EU-Armee brauchen, ist obsolet, denn es wird sie schlicht und einfach nicht geben, zumindest nicht in absehbarer Zeit. Es fehlt so ziemlich an allen Grundvoraussetzungen: An Geld, an einer geschlossenen europäischen Außenpolitik und vor allem am politischen Willen.
Da hat Frankreich leicht fordern, dass sich Europa mit einer eigenen Armee sicherheits- und verteidigungstechnisch endlich auf die eigenen Beine stellen muss. Aber dass ausgerechnet die selbstbewussteste Militärmacht und noch dazu die einzige Atommacht in der EU freiwillig Souveränität an solch eine gemeinsame Armee abgibt, glaubt man nicht einmal in Paris selbst. Und das ist schließlich die Kernfrage: Welcher Staat ist bereit, seine nationale Armee aufzugeben und in eine große, gemeinsame europäische einzugliedern?
Und was wäre dann mit Österreich? Könnten wir draußen bleiben oder müssten wir dann unsere Neutralität über Bord werfen?
Vergessen sollte man auch nicht: Es gibt schon ein gewaltiges westliches Militärbündnis namens NATO. In dem sind 21 der 27 EU-Staaten Mitglieder. Das macht die NATO, in der freilich die USA den Ton angeben, ohnehin fast zu einer europäischen Streitmacht. Eine parallele Konkurrenz-Armee dazu aufzubauen, ergibt überhaupt keinen Sinn. Abgesehen davon vertrauen die meisten osteuropäischen Staaten bei der Frage, wer sie im Zweifelsfall verteidigt, noch immer auf die USA. Denn so uneinig, wie die EU-Staaten oft bei Krisen reagieren, mag man sich gar nicht vorstellen, wie lange es im Ernstfall dauern würde, bis sich so eine gemeinsame europäische Armee in Bewegung setzt.
Ingrid Steiner-Gashi ist die EU-Korrespondentin des KURIER in Brüssel
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