Wien Energie: Wettlauf mit der Zeit
Als Manager Michael Strebl am Sonntag zu einem Krisengespräch ins Kanzleramt kam, da hatte der Chef der „Wien Energie“ eine Powerpoint-Präsentation im Gepäck, die sich, wie man in Wien bisweilen zu sagen pflegt, „gewaschen hat“: In der 19 Seiten zählenden Unterlage, die vom Kanzler, Regierungsmitgliedern und Spitzenvertretern der Energiebranche über Stunden erörtert wurde, beklagte der Wiener Energiekonzern eine „unvorhersehbare“ und „historische Eskalation“, die am Ende dazu führt, dass die Wien Energie gut sechs Milliarden Euro benötigen könnte.
Sechs Milliarden Euro? Wie konnte das geschehen?
Vereinfacht gesagt, muss der Konzern Sicherheiten bereitstellen, die sich innerhalb von nur wenigen Tagen vervielfacht haben – so wollen es die Gesetze der Energiebörsen. Was die Lage noch verschlimmert: Nicht nur die Höhe der am Ende nötigen Summe ist enorm; zudem drängt die Zeit. Denn schon gestern, Montag, waren mit Schlag 9 Uhr Vormittag rund 1,77 Milliarden Euro an Geld nötig, damit die Wien Energie weiter agieren kann.
Für gewöhnlich sind Zahlungen in mehrstelliger Millionenhöhe kein existenzgefährdendes Problem. Die Wien Energie gilt als solid und kann sich beträchtliche Summen leihen – ihr Jahresumsatz beträgt rund drei Milliarden Euro.
Im konkreten Fall war die Sache aber anders, ganz anders.
Sechs Milliarden Euro
Denn die Stadt konnte für die erwähnten 1,77 Milliarden Euro zwar noch einmal aufkommen. Mehr ging dann aber nicht.
Ein wesentlicher Grund: Schon zuvor hatte man zwei Sonderkredite a 700 Millionen bereitgestellt und weitere 700 Millionen an Hilfen beantragt. Und: Auch die Wien Holding hat dreimal 500 Millionen Euro bereitgestellt.
Damit war und ist es aber nicht getan. Denn insgesamt rechnet das Finanzministerium – Stand Montag – tatsächlich mit gut sechs Milliarden Euro die nötig sind, damit die Wien Energie im Spiel bleibt.
„Im Spiel bleiben“ bedeutet: Wenn die Wien Energie die erwähnten Sicherheiten, also das Geld, nicht bereitstellen kann, droht ihr der Ausschluss vom Börse- und vom Energie-Handel. Das würde bedeuten, dass Geschäfte rückabgewickelt werden müssten. Und dies hätte zur Folge, dass die Lieferverträge von rund zwei Millionen Kunden, also von privaten Haushalten und Unternehmen gekündigt werden müssten. Und genau das schrieb der Konzern genau so in seine Präsentation.
Die gute Nachricht ist an dieser Stelle: Auch wenn die Bundesregierung erst vergleichsweise spät von der Milliarden-Misere erfahren hat, will man dem Energieversorger grundsätzlich helfen. „Wir haben die Hilfe beim Krisengipfel selbstverständlich zugesagt“, erklärte Energieministerin Leonore Gewessler am Montag.
Finanzminister Magnus Brunner muss und wird mit seinem Haus zwar noch klären, wie konkret der Bund dem Unternehmen helfen darf (laut KURIER-Informationen könnte auch ein Gesetz vonnöten sein). Prinzipiell ließ man aber durchblicken, dass dem Konzern geholfen werden müsse – allein aufgrund der hohen Anzahl an Kunden, die von der Wien Energie abhängig sind.
Ob und wie sich der Wiener Mega-Konzern verspekuliert hat, das werden voraussichtlich erst die nächsten Tage und Wochen zeigen.
Sicher ist: Die Energie-Versorger in den anderen Bundesländern haben vorerst keine vergleichbaren Probleme.
Und sicher scheint auch: Was die Kommunikation nach außen angeht, haben die politisch Hauptzuständigen, nämlich Bürgermeister Michael Ludwig und Finanzstadtrat Hanke, ein Problem.
Bis Montagnachmittag gab es von beiden kein offizielles Statement zu der Causa.
Das liegt vermutlich auch daran, dass man zwar gegenüber dem Bund gehörig Druck machte, nach außen aber kalmierte: Die Lage sei ernst, letztlich stünden aber alle Energieversorger vor ähnlichen Herausforderungen, hieß es aus Rathaus-Kreisen. Umso wichtiger sei ein bundesweiter Rettungsschirm und Maßnahmen auf EU-Ebene, um die Koppelung von Gas- und Strompreis aufzuheben.
In der Tonart ging es weiter: Selbst als sich längst abzeichnete, dass die Dimension des Finanzierungsproblems durchaus dramatische Ausmaße annimmt, beklagte man in Rathaus-Kreisen noch die „üblichen Angriffe“ des Bundes auf die Stadt und kritisierte das „unangebrachte parteipolitische Hickhack“. Als Beleg führte man ins Feld, dass die ersten Infos über die Kalamitäten der Wien Energie Sonntagabend ohne Abstimmung mit der Stadt und direkt aus der Krisensitzung an einzelne Medien weitergegeben wurden. Das Ergebnis: Es wurde in fetten Lettern die angeblich bevorstehende Pleite der Wien Energie prophezeit – die so tatsächlich nie im Raum stand.
Keine Verluste
Montag Nachmittag äußerte sich Finanzstadtrat Peter Hanke schließlich dann doch.
Zum einen bekräftigte er als Eigentümer-Vertreter, dass es sich bei der Wien Energie um ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen handle, das keine Verluste schreibe. Man habe im Sinne aller Energieversorger von der Politik einen (bis zu zehn Milliarden Euro umfassenden) Schutzschirm gefordert, weil an den Energiebörsen mittlerweile „Mondpreise“ verlangt würden, die a la longue alle Versorger und am Ende damit auch die Kunden und Bürger träfen, betonte der Stadtrat.
Die laut Finanzministerium wahrscheinlichste Hilfsvariante ist diese: Die Österreichische Bundesfinanzierungsagentur gewährt der Stadt bzw. dem Unternehmen einen Kredit in Milliardenhöhe. Wie dieser im Detail aussehen kann, das wurde in Krisensitzungen zwischen Ministerium, Finanzprokuratur, Wien Energie und Stadt am Montag erarbeitet.
Die Zeit drängt. Denn laut dem KURIER vorliegenden Informationen sind die nächsten zwei Milliarden Euro, die die Wien Energie zur Besicherung ihrer Geschäfte bereitstellen muss, schon heute, Dienstag, fällig. Von Bürgermeister Michael Ludwig liegt bis dato keine Stellungnahme vor.
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