Der grüne Vizekanzler über die Zusammenarbeit in der Regierung bei Klimaschutzthemen, über einen möglichen FPÖ-Kanzler Herbert Kickl und sein Verhältnis zu Andreas Babler.
KURIER: Herr Vizekanzler, derzeit findet in Dubai die Weltklimakonferenz statt. Von dort hört man nicht viel Gutes. Der Vorsitzende arbeitet auch für einen Ölkonzern, die Lobbyisten dominieren die Konferenz. Wie sehen Sie diese Weltklimakonferenz?
Werner Kogler: Die Weltklimakonferenz findet nicht erst seit diesem Jahr statt und hat viele wichtige Ergebnisse in der Vergangenheit gebracht. Denken wir nur an die Einigung darüber, wie wir das Erreichen der Klimaziele messen. Entscheidend ist, ob die Ergebnisse und Ziele einer Konferenz dann eingehalten werden. Ich sehe es wie der Bundespräsident: Es ist gut, wenn alle an einem gemeinsamen Tisch für Klimaschutz zusammenkommen. Ich verstehe aber all jene, die hinterfragen, ob der Riesenaufwand gerechtfertigt ist. Der Austragungsort Dubai und die auffällig starke Vertretung von Fossil-Lobbyisten mutet tatsächlich ein wenig schräg an.
Wie sieht es bei uns aus? Die Grünen sind seit vier Jahren in der Regierung. Ist im Hinblick auf den Klimaschutz genug passiert?
Seit wir Grüne in der Regierung gestalten, ist viel mehr im Klimaschutz passiert als die vergangenen 35 Jahre davor. Wir sind vom Rückschritt, vom Stillstand, von der Bremsspur mit Hochgeschwindigkeit auf die Beschleunigungsspur gekommen. Wir sehen: Die Grünen machen den Unterschied. Natürlich muss es genau in dem Tempo weitergehen.
In diesem Interview mit Werner Kogler erfahren Sie unter anderem ...
... was der Vizekanzler bis zur Nationalratswahl noch unbedingt umsetzen will
... wie er über Herbert Kickl und FPÖ-Wähler denkt
... warum er eine gute Gesprächsbasis mit Andreas Babler hat
Was sind Beispiele dafür, dass man auf der Beschleunigungsspur ist?
Wir haben an den großen und kleinen Schrauben gedreht. Mit dem Ziel: Klimafreundliches Verhalten wird begünstigt, klimaschädliches wird teurer. Das Klimaticket, der CO2-Preis mit dem Klimabonus – da beneidet uns halb Europa. Auf die Überholspur sind wir beim Ausbau der Erneuerbaren gekommen. Wir verzehnfachen den Photovoltaikausbau über die Privaten. Bei den Firmen ist es ähnlich. Den Turbo zünden wir auch gerade mit der Industrie: Dass wir in Österreich als eines der ersten Länder der Welt auf dem Weg zum grünen Stahl sind, ist riesig. Oder auch der Fortschritt bei den Kesseltauschprogrammen, die alle großzügig gefördert werden und deshalb wieder sozial vertretbar sind.
Für das letzte Regierungsjahr haben sich die Grünen das Thema Bodenschutz vorgenommen. Das haben Sie gesagt, das hat auch Ministerin Leonore Gewessler gesagt. Sind da angesichts des Widerstands der Länder und Gemeinden überhaupt Maßnahmen möglich?
Mehrere Meinungsumfragen zeigen, dass eine große Mehrheit der Österreicher einfordert, dass nicht in dieser Geschwindigkeit weiter verbetoniert wird. Das ist ein Auftrag etwas dagegen zu tun, dass die Ortskerne aussterben und gleichzeitig an jedem Ortsende ein weiteres Einkaufszentrum hingepflastert wird.
Unsere Verfassung verteilt die Kompetenz in dieser Frage an die Länder, die Gemeinden und die Städte. Wie kommen wir da dennoch voran? Indem wir über die öffentliche Debatte den Druck erhöhen und ähnlich wie beim Recht auf Informationsfreiheit die Bremser vor den Vorhang holen. Und ja wir können auch Anreize für einen positiven Wettbewerb schaffen, damit es mehr gesunde Böden gibt. In der Koalition sind wir uns einig: Wir brauchen verbindliche Ziele für das ganze Bundesgebiet. Aber das muss auch gesagt werden: Die Länder und Gemeinden sind jeden Tag angehalten, unsere Böden zu schützen. Wenn wir beim Bodenverbrauch in dieser Geschwindigkeit weitermachen, dann verlieren wir die fruchtbaren Bodenflächen. Wir sind dabei, unsere Ernährungssicherheit zu verspielen. Deshalb brauchen wir für den Bodenschutz verbindliche Ziele.
Wenn es um Klimathemen geht, ist der Koalitionspartner ÖVP da eher ein Bremser oder kann man mit ihm etwas umsetzen?
Gemeinsam ist viel weitergegangen im Klimaschutz, wir Grüne sind da die treibende Kraft. Weil sonst würde es das alles nicht geben. 2030 werden wir es zum Beispiel geschafft haben, Strom nur noch aus Erneuerbaren Energien zu produzieren. Da gehören wir zu den ersten Ländern weltweit, denen das gelingt. All das ist auch deshalb erreicht worden, weil wir auf der Baustelle, wenn es schwierig geworden ist, das Werkzeug dennoch nicht weggelegt haben. Und weil wir das Bohren harter Bretter gewohnt sind.
Also wird es im letzten Jahr dieser türkis-grünen Regierung auch das Klimaschutzgesetz geben?
Ich bin zuversichtlich, dass auch das gelingt. Denn ganz viele Unternehmer und Betriebe sehen die Zeichen der Zeit und setzen auf Klimaschutz, brauchen aber Planungssicherheit. Ähnlich ist es bei den Volkswirtschaften: Jene, die vorne dabei sind, werden große Vorteile haben. Diejenigen, die hinten dran sind, haben die Kosten. Nicht alle Vertreter in der Wirtschaftskammer scheinen das bis jetzt begriffen zu haben.
Seit Langem gibt es wieder eine Bundesregierung, die die volle Legislaturperiode durchgedient hat. Was war das Rezept dafür? Nur, dass Sie sich mit Kanzler Karl Nehammer sehr gut verstehen?
2019 haben wir nach einem hart erkämpften Wahlerfolg uns dazu entschlossen, Verantwortung zu übernehmen. Sonst hätte es wohl wieder Türkis-Blau gegeben. Wir sind aber auch in Verantwortung gegangen, weil wir wussten: Es kann uns viel gelingen. Und es ist auch viel gelungen. Die Ergebnisse – neben den Erfolgen im Klimaschutz etwa auch die Stärkung der unabhängigen Justiz – sprechen für sich. Sonst wären wir nicht in der Regierung.
Das war aber nicht immer so einfach.
Es hat schon Situationen gegeben, wo wir gesagt haben, bis hierher und keinen Schritt weiter. Als wir nämlich festgestellt haben, dass Steuergelder für manipulierte Umfragen zugunsten von Sebastian Kurz verwendet werden. Da haben wir uns hingestellt und ehrlich gesagt, entweder die ÖVP ist in der Lage jemanden für die Regierungsspitze vorzuschlagen, der dem Amt nicht schadet oder es geht nicht weiter. So lange wir in sozialen, ökologischen und auch demokratischen Fragen etwas weiterbringen, arbeiten wir weiter in der Regierung.
Was halten Sie eigentlich von den beiden U-Ausschüssen im kommenden Jahr?
Das ist Angelegenheit des Parlaments. Es steht mir nicht zu als Regierungsmitglied, die unmittelbaren Verlangen zu kommentieren. Grundsätzlich: Dass es die U-Ausschüsse als Minderheitsrecht überhaupt gibt, ist das Ergebnis unseres Grünen Kampfes. Deshalb erwarte ich mir – speziell in einem Wahljahr –, dass in diesen Untersuchungsausschüssen so gearbeitet wird, dass aufrichtige Untersuchungen im Mittelpunkt stehen, damit sich nicht wieder ein Teil der Bevölkerung abwendet. Es müssen sich schon alle zusammenreißen.
Sie gehen im September wieder in eine Nationalratswahl. Eine Zeitlang war vermutet worden, dass Sie das nicht mehr tun. Was hat Sie umgestimmt?
Für mich ist es sonnenklar, dass ich wieder antrete. Die vergangenen Jahre haben wir im Grünen Regierungsteam erfolgreich für mehr Klimaschutz, für ein besseres Gesundheitssystem und für eine unabhängige Justiz gearbeitet. Wenn es darum ging, die Folgen der Krisen wie Pandemie, Ukrainekrieg oder Energieknappheit, die daraus resultierende Teuerung zu lösen, waren und sind wir zur Stelle. Ich trete auch deshalb als Teamspieler an, ich bin kein Einzelkämpfer.
Sie haben jetzt erklärt, dass in der Regierung viel gelungen ist. Warum aber liegt dann Herbert Kickl mit seiner FPÖ seit Monaten in den Umfragen an der Spitze?
Die Tendenz geht wohl in diese Richtung. Wir haben in ganz Europa ähnliche Entwicklungen. Die vorhin aufgezählten Krisen haben zu Ängsten und zu Unsicherheit geführt. Und da haben die, die einfache Parolen plärren, offenkundig einen gewissen Erfolg. Die sind aber an keinen Lösungen interessiert, sondern an der Bewirtschaftung der Probleme. Lügenpropaganda ist ihr Instrument, damit überschwemmen sie die sozialen Medien. In diesem Fall eher „unsozialen“ Medien. Aber wir können etwas gegen diese Entwicklung tun, wir sind dem nicht hilflos ausgeliefert. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Wir können uns neue Perspektiven erarbeiten.
Wir müssen klar sagen, was Sache ist. Herbert Kickl sagt, der ungarische Regierungschef Viktor Orbán ist sein Vorbild. Wohin führt das? Nach Orbánistan. Kommt Kickl, kommt Orbánistan. In Ungarn gibt es keinen wirtschaftlichen Aufschwung durch Klimaschutz, stattdessen eine massive Abwanderung der jüngeren Generation und oben drauf keine Meinungsfreiheit. In Ungarn werden Lehrerinnen und Lehrer aus dem Schuldienst entfernt, weil sie eine kritische Meinung geäußert haben. So weit ist es dort. Noch nicht so weit wie bei Putin, aber sie werden gleich einmal ihres Jobs beraubt.
Man wird also Ungarn als abschreckendes Beispiel heranziehen?
Ja, am stärksten sehen wir das an der ungarischen Volkswirtschaft, die herunter gewirtschaftet wurde und nur Bestand hat, weil unser Steuergeld – jetzt sage ich es absichtlich so, wie es der Herr Kickl sagen würde – in solche Länder gesteckt wird. Ungarn hat eine Inflation, die drei- bis viermal so hoch war und ist wie in Österreich. Trotzdem gibt es Engpässe bei Treibstoffen. Das wird verschleiert, weil Orbán über seine Hawara die Medien kontrolliert. Und die Korruption hat ein Ausmaß, dass es einem graust. Das sollen unsere Vorbilder sein? Bei den Blauen in Österreich war es bisher übrigens ähnlich. Da haben wir immer den gleichen Kreislauf: Oppositionsbank, Regierungsbank, Anklagebank.
Das wollen die Grünen im Wahlkampf aufzeigen?
Wir wollen, dass sich alle konstruktiven Kräfte zusammenschließen und sich um Lösungen bemühen. Nicht nur politische Parteien, auch Unternehmer, Gewerkschaften, Vereine und Organisationen, die Vertreterinnen und Vertreter der Religionsgemeinschaften – mit ihnen wollen wir uns zusammentun und alle können sagen, was wir für Österreichs Zukunft wollen. Wenn wir ausschildern, dass der Weg des Ober-Blauen nach Orbánistan führt, dann wird sich die Debatte schon einmal ändern. Dazu kommt, dass diese blaue Truppe im Parlament der verlängerte Arm der Verschwörungstheoretiker ist. Auf dieser Basis bauen sie ihre Propaganda auf.
Ich meine damit die Spitzenfunktionäre der FPÖ. Ich sage gerade nicht, dass das auf alle Wählerinnen und Wähler der FPÖ zutrifft. Im Gegenteil. Auch die wollen längst nicht alle, dass wir in Orbánistan landen. Aber man muss sie einmal aufmerksam machen, wohin das alles führt. Das wird eine der großen Herausforderungen im kommenden Jahr werden.
Wenn es schon um alle Kräfte geht: Wie ist eigentlich die Gesprächsbasis mit dem neuen SPÖ-Obmann Andreas Babler?
Wir haben eine gute Gesprächsbasis. Seine Energien werden derzeit vor allem dafür verwendet, die eigene Gruppe zu konsolidieren. Und bei Themen wie dem Klimaschutz oder Fragen der Arbeitszeitverkürzung wird er selber immer wieder zurückgepfiffen. Da soll sich die Sozialdemokratie eben noch weiter konsolidieren, damit wir wissen, woran wir sind. Grundsätzlich empfinde ich den Andreas Babler aber schon als interessante Bereicherung. Die eigenen Leute fangen ihn aber eben immer wieder ab. Der Linzer Bürgermeister hat ihm ja alle ökologischen Ideen abgeräumt und offensichtlich ist Linz da wichtiger als Traiskirchen.
Der 62-jährige Steirer ist in der türkis-grünen Bundesregierung Vizekanzler und Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport. Kogler saß ab 1999 im Nationalrat, bis die Grünen 2017 den Einzug verpassten. Im Oktober 2017 wurde er grüner Bundessprecher. Er führte die Partei 2019 als Spitzenkandidat zuerst in die EU-, dann in die Nationalratswahl. Dort schafften die Grünen ihr historisch bestes Ergebnis (13,9 Prozent) und gehören seit Jänner 2020 erstmals einer Bundesregierung an.
Kommentare