Warum die Klimarettung so schwierig ist
Irgendwann im Juni 2019 muss in kleiner Runde rund um Sebastian Kurz die Entscheidung gefallen sein. „Dann machen wir eben Österreich zur Wasserstoff-Nation Nummer 1 in der Welt.“ 50 Millionen Euro will der ÖVP-Chef und chancenreichste Kanzlerkandidat bis 2030 jährlich in das CO2-schonende Projekt stecken, eine Summe, die weltweit wohl täglich in die Erforschung von Wasserstoff als Energieträger fließt.
Anfang Juli wurde die türkise Parole für den nahenden Wahlkampf ausgegeben. Nicht mehr wie 2017 sollen die Flüchtlingsrouten geschlossen, sondern nun das Klima gerettet werden. Der Klimaschutz ist schon lange eines der Top-Themen der jungen Wähler, inzwischen ist die Sorge über die Klimakrise bei breiten Teilen der Bevölkerung angekommen und Parteien wären schlecht beraten, sich dem Thema nicht ausführlich zu widmen.
Die Volkspartei war die erste, die einen, wenn auch unzureichenden, Klimaschutzplan vorgelegt hat. Alle anderen blieben lange vage in ihren Forderungen: Die SPÖ will ein stark verbilligtes Ticket für alle öffentlichen Verkehrsmittel.
Die Grünen als auch die Neos wollen eine CO2-Steuer bzw. Abgabe, die klimaschonendes Verhalten belohnt und wo die Einnahmen wieder an die Bevölkerung ausgeschüttet wird. Nur bei der FPÖ blieb es bisher bei der Ankündigung von FPÖ-Chef Norbert Hofer am Weltumwelttag (5. Juni), die Blauen grüner machen zu wollen.
Dass alle diese Ansagen vage sind und bisher nicht einmal die Grünen einschneidende Maßnahmen fordern, hat Gründe, sehr gute Gründe sogar. Doch dazu später.
Viele Klimakonferenzen
Eigentlich ist der Klimaschutz als Thema seit 1979 präsent. Damals tagte in Genf die erste Weltklima-Konferenz mit unverbindlichen Zusagen, minus 20 Prozent Treibhausgase bis 2005 (die nirgendwo eingehalten wurden). Seither folgten bis heute 24 Klimaschutzkonferenzen, die kommende, im Dezember 2019, wird in Santiago de Chile stattfinden.
Soll heißen: Sehr überraschend kann das Klimathema für die Politik nicht sein, und doch zeigen sich erst jetzt die Tragweite und die Probleme, welche konkreten Maßnahmen es nun braucht.
Denn 2050, vielleicht schon 2045, also in 25 bis 30 Jahren, sollen die Industrienationen keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre blasen. Keine Ölheizung, keine Gasheizung, kein Benzin- oder Dieseltreibstoff, und auch an Flug- oder Seehäfen sollen dann weder Kerosin noch Schiffsdiesel noch das an Schwermetallen reiche Schweröl für die Ozeanriesen mehr verkauft werden.
In Österreich gibt es keinen Spitzenpolitiker, der das große Klimaschutz-Ziel infrage stellt. Es geht also in der Diskussion nicht mehr um die Frage, ob es einen Stopp und ein Verbot für alle fossilen Energieträger wie Öl, Gas und Kohle geben wird. Sondern nur mehr um die Frage, wann – und wie.
Zwei Drittel Fossilenergie
Derzeit stammt die in Österreich verbrauchte Energie zu zwei Drittel aus fossilen Quellen, vor allem Öl. Allein mit erneuerbaren Energieträgern wie Wasserkraft, Windkraft, Sonnenstrom (Fotovoltaik), Erdwärme (Geothermie), Biomasse und Biogas wird Österreich das große Ziel nicht erreichen, sind sich Österreichs Forscher einig. Zwar haben alle diese erneuerbaren Energieträger noch Ausbaupotenzial, der Rest müsse aber durch Energieeffizienz vulgo Sparen erreicht werden.
Tatsächlich geht’s jetzt ums Eingemachte, und das ist auch der Grund, warum bisher nur zaghafte Ansagen aus den Parteizentralen gekommen sind.
Das Umweltbundesamt stellte kürzlich 50 mögliche Klimaschutz-Maßnahmen im Verkehrsbereich vor, und ließ die Hauptaussagen von den Meinungsforschern des GfK-Instituts bei den Österreichern abtesten: „Ich könnte mir vorstellen, häufiger zu Fuß zu gehen“, bejahten noch 80 Prozent der Befragten „unter bestimmten Bedingungen“.
Einem allgemeinen Tempolimit für Diesel- oder Benzin-Pkw – etwa maximal 100 km/h auf Autobahnen und 80 auf Landstraßen – stimmten schon nur mehr acht Prozent „voll zu“, eine klare Zweidrittel-Mehrheit ist dagegen.
Nicht anders beim Vorschlag, ab 2035 keine Verbrenner-Autos mehr zuzulassen: Nur zwölf Prozent stimmten zu, 58 Prozent stimmten „überwiegend“ oder überhaupt nicht zu. Da müssen sich Politiker gar nicht erst fragen, wie die Bevölkerung reagieren würde, sollte die Pendler-Pauschale für 750.000 Österreicher ökologisiert, sprich: für Verbrenner-Pkw reduziert oder gestrichen werden.
Wissenschafter-Plan
Zwar ist Österreich nur für rund ein bis zwei Promille des weltweiten Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich, dennoch ist die Republik mehrere völkerrechtliche Verträge eingegangen, Emissionen zu reduzieren. Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sorgte bei vielen Politikern wohl für Schaudern, als sie erklärte, die EU müsse bis 2030 „fünfzig, vielleicht sogar 55 Prozent“ der CO2-Emissionen einsparen.
Derzeit lautet unser mit Brüssel fixiertes Ziel nur minus 36 Prozent. Und Österreichs 2030-Klimaschutzplan, wie wir das erreichen wollen, hat Brüssel gerade als ungenügend zurückgeworfen. Bis Jahresende muss die Regierung nachbessern.
Also was muss passieren?
Hilfe für die Spitzenpolitik kommt von ungewöhnlicher Seite: von der Wissenschaft. Seit Jahrzehnten bemühen sich die Forscher um eine sinnvolle Klimaschutzpolitik, sie sprechen Empfehlungen aus, üben sanft Kritik und geben ihre Einschätzungen bekannt. Ergebnis bisher: Österreich gehört im EU-Vergleich zu den absoluten Schlusslichtern, die Emissionen stiegen 2015, 2016 und 2017 sogar an.
Das war auch der Grund, warum sich noch vor dem Sommer zahlreiche Wissenschafter unterschiedlichster Fakultäten zusammengesetzt haben, um einen ersten Entwurf zu erstellen, was jetzt konkret passieren muss. Klimaforscher, Geophysiker, Politologen, Wirtschaftswissenschafter. Der Entwurf – ein 140-seitiges Dokument – wurde allen Parteichefs bereits übermittelt. Zu einer echten Diskussion hat er bisher nicht geführt.
„Wir versuchen einerseits zu definieren, welche Maßnahmen es sofort und unbedingt braucht und zeigen auch unterschiedliche Möglichkeiten, Schwerpunkte zu setzen, je nachdem, welche Koalition nach der Wahl das Ruder übernimmt“, erklärt eine der beim Klimaplan maßgeblichen Forscherinnen, die Wirtschaftswissenschafterin Sigrid Stagl von der Wirtschaftsuni Wien.
Der Weg zum Ziel
Mehr Wasserstoff wie Kurz oder billigere Öffi-Tickets wie Rendi-Wagner oder CO2-Steuer wie die Grünen und Neos – was ist der richtige Weg? „Das Wort ‚oder‘ müssen wir leider vergessen, wir brauchen das alles und noch viel mehr. Eine kluge Kombination von ganz vielen Maßnahmen, die ineinandergreifen, sonst kommen wir nicht zum Ziel“, erklärt Stagl. Natürlich brauche einen stetig steigenden Preis, der von den Verursachern bezahlt werden müsse.
Derzeit würden den alle bezahlen, es brauche eine Steuerreform, ein Ende klimaschädlicher Subventionen, auch bei der Pendlerpauschale, die ökologisches Verhalten derzeit nicht belohnt, und massive Investitionen in die Infrastruktur. Und ein sofortiges Aus für alle Ölheizungen. Und es müsse Bevölkerung und Unternehmen klar kommuniziert werden, wohin der Weg geht.
Nach Berechnungen des UN-Weltklimarats bleiben uns nur mehr elf Jahre, bis der Ausstoß von Treibhausgasen unumkehrbare Kettenreaktionen auslösen wird, die jede menschliche Kontrolle übersteigen. Das heißt auch, dass jetzt die Weichen gestellt werden müssen. Von jeder neuen Bundesregierung.
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