Verordnete Vielfalt: Wie die EU das Internet bändigen will
Wäre Jan Penfrat ein Facebook-Manager, er wäre „sauer“. Die EU-Institutionen haben sich jüngst auf den „Digital Services Act“ (kurz: DSA) geeinigt. Der DSA schreibt für Internetplattformen eine Reihe von Regeln vor, deren Ziel es ist, Desinformation und Hass im Netz zu vermeiden, und die „Blase“, in der sich viele im Netz bewegen, aufzubrechen.
Weniger Emotion, mehr Fakten – so das Credo, wenn die EU-Verordnung Ende des Jahres beschlossen wird.
Jan Penfrat ist nicht von Facebook, sondern Experte bei der Organisation European Digital Rights (EDRi), und hat das Paket im Sinne der Nutzer mitbegleitet. Als solcher sagt er: „Es ist besser als nichts.“
Der KURIER hat mit ihm die wichtigsten Punkte besprochen.
Illegale Inhalte werden gelöscht – mit Erklärung
In Österreich gilt bereits seit April 2021: Inhalte, die gegen das Strafrecht verstoßen, müssen binnen 24 Stunden (bzw. sieben Tagen bei schwierigeren Fällen) gelöscht werden, wenn sie der Plattform gemeldet werden. Laut DSA muss die Löschung „unverzüglich“ stattfinden. Derjenige, der das Posting gemeldet hat, muss darüber informiert werden, ob gelöscht wurde – und wenn nicht, warum.
Dieselbe Information erhält derjenige, der den Beitrag gepostet hat, und der kann sich gegen die Löschung wehren. Das sogenannte „Overblocking“, also dass Plattformen im Zweifelsfall zu viel löschen, soll dadurch vermieden werden.
„Geheime“ Algorithmen werden transparent
Plattformen gestalten eigene Algorithmen für die Art und Weise, in der ihren Nutzern Inhalte angezeigt werden. Ziel ist, dass die Nutzer möglichst lange auf der Seite bleiben und nebenbei möglichst viel Werbung sehen – so verdienen die Plattformen Geld.
Nun erzeugen emotionale Beiträge mehr Interaktionen (Klicks, Likes und Kommentare), werden daher vom Algorithmus weiter oben gereiht und häufiger angezeigt. Das ist problematisch, weil so auch Beiträge, die wenig Wahrheitsgehalt haben, aber die Menschen aufregen, mehr Bühne bekommen. Und: Dem jeweiligen Nutzer werden immer wieder ähnliche Inhalte angezeigt – es entsteht eine sogenannte Filterblase.
Die Organisation EDRi hatte angestrebt, dass die Nutzer eine Wahl bekommen, welche Inhalte angezeigt werden – sie sollten sich den Algorithmus aussuchen können. „Das ist in den Verhandlungen gescheitert“, sagt Penfrat.
„Geeinigt hat man sich nur darauf, dass die Algorithmen zu einem gewissen Grad offengelegt werden. So können Wissenschafter besser forschen und die Öffentlichkeit kann verstehen, wie sie funktionieren.“Transparenz bei sonst „geheimen“ Algorithmen könnte im besten Fall dazu führen, dass die Plattformen sie verbessern.
Werbung nicht mehr nach privaten Merkmalen
Eine Änderung gibt es bei der personalisierten Werbung: Sehr sensible private Daten beispielsweise zu Gesundheit, Religion, sexueller Orientierung oder politischer Ausrichtung dürfen von den Plattformen nicht mehr genutzt werden, um Werbeanzeigen darauf abzustimmen.
Das heißt: Wenn jemand der FPÖ folgt und regelmäßig FPÖ-Postings liket, dürfen ihm nicht nur FPÖ-Anzeigen offeriert werden. So soll ein „level playing field“, also mehr Vielfalt und Breite auf einer Ebene, sichergestellt – und die Filterblase aufgebrochen werden, erklärt Penfrat.
Das gilt aber nur für soziale Netzwerke wie Facebook, nicht für Werbenetzwerke wie Google, die ja auch Informationen von ihren Nutzern sammeln und Werbung bei Dritten schalten. Ein Grund, wieso Facebook „sauer“ sein dürfte, wie Penfrat sagt.
In Krisen gibt die EU vor, was oben angezeigt wird
Der DSA enthält einen Mechanismus, den die EU bei Krisen wie Krieg oder Pandemie auslösen kann: Die Kommission tritt dann an die Plattformen heran und kann sie etwa dazu verpflichten, ihre Algorithmen dahingehend zu ändern, dass offizielle Regierungsinformationen ganz oben angezeigt und potenzielle Fake News zurückgedrängt werden. Dafür muss die Kommission aber die Zustimmung der zuständigen Aufsichtsbehörden der EU-Staaten einholen.
Penfrat sieht das kritisch: „Die Definition, was eine Krise ist, ist sehr breit. Ich hoffe, dass wir diesen Mechanismus nie benutzen werden, weil er natürlich von den Mächtigen missbraucht werden kann.“
Diese Funktion gilt gleichermaßen für Facebook wie für Google und andere sehr große Onlineplattformen.
Sanktionen reichen bis hin zu kompletter Sperre
Je nach Größe der Plattform gelten beim DSA unterschiedlich strenge Regeln. Bei Verstößen werden Geldstrafen von bis zu sechs Prozent des weltweiten Umsatzes fällig.
Was Facebook und Google aber mehr schmerzt als Geldstrafen, wäre, wenn ihr Geschäftsmodell angegriffen wird, sagt Penfrat: die Werbung. Die EU könnte Unternehmen verbieten, Werbegeschäfte mit der jeweiligen Plattform zu machen.
Die Plattform selbst bzw. ihre Angebote zu sperren, wenn sie den DSA nicht einhält, wäre das schärfste Mittel. Mit derlei „russischen oder nordkoreanischen Verhältnissen“ rechnet Penfrat aber nicht.
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