Wie eine Lobby-Armada einem EU-Gesetz die Zähne zog

Wie eine Lobby-Armada einem EU-Gesetz die Zähne zog
Das gelante Gesetz für Digitale Dienste nimmt die IT-Riesen an die Kandare. Personalisierte Online-Werbung wird aber nicht verboten

Jeder kennt es: Wer einmal auf der Suche nach einem Rucksack im Internet nach dem passenden Modell gesurft hat, wird noch Wochen danach mit Rucksack-Werbungen geflutet. Diese personalisierte Werbung, basierend auf dem Surfverhalten und den gesammelten Daten des jeweiligen Nutzers, sollten verboten werden, forderte eine Reihe von EU-Abgeordneten.

Festgezurrt sollte dieses Verbot im Rahmen des sogenannten Gesetzes für Digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) werden. Darüber stimmte am Donnerstag das Europäische Parlament ab.

Doch von einem allgemeinen Verbot für die personalisierte Werbung, wie sie anfangs Sozialdemokraten, Grüne und Linke gefordert hatten, war dann nichts mehr zu lesen. Lediglich personalisierte Werbung für Minderjährige darf es in der EU nicht mehr geben.

Die neuen Regeln, die ab 2023 in Kraft treten könnten, nehmen die digitalen Riesen Facebook, Google, Amazon, Apple und Co. strenger an die Kandare. So etwa müssen die Konzerne künftig auf illegale Inhalte hinweisen, Hassparolen entfernen und Falschinformationen aufzeigen. Sie sind aber auch ein Lehrbeispiel dafür, wie viel Einfluss die großen Lobbygruppen in Brüssel tatsächlich haben.

Denn mit dem Verzicht auf personenbezogene Online-Werbung wäre den IT-Riesen ein Milliardengeschäft entgangen. Und so entsandten die Digitalkonzerne im Vorjahr eine Lobby-Armada, wie sie selbst im lobbying-gewohnten Brüssel noch nie gesehen wurde.

Großmacht

97 Millionen Euro gab Big Tech allein 2021 für Lobbyarbeit im Herzen der europäischen Gesetzgebungsmaschine aus, hat eine Studie von Corporate Europe Observatory und LobbyControl errechnet. Damit haben die Digitalkonzerne die bisher alles dominierende Finanzbranche, die Öl-, die Auto- und die Pharmaindustrie weit hinter sich gelassen. Bisher hatten sie das Lobbying-Geschehen in Brüssel dominiert.

Nicht alle Regeln des geplanten Gesetzes konnte der Druck der Digitalindustrie verwässern. Doch beim Thema personalisierte Werbung „haben wir dem gewaltigen Widerstand nicht standhalten können“, schildert ein deutscher EU-Abgeordneter dem KURIER.

Treffen mit EU-Abgeordneten, Diplomaten und der Kommission wurden in riesiger Zahl vereinbart. Eine Armee von Anwälten wurde losgeschickt, Think Tanks verfassten angeblich neutrale Studien, die warnten:

Mindestens 20.000 Arbeitsplätze würden verloren gehen, China würde zu viel Einfluss gewinnen, kleine Digitalunternehmen können nicht mehr durchstarten und die Freiheit im Internet sei in Gefahr.

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