Velkommen im "Getto": Wie die Dänen gegen Parallelgesellschaften vorgehen
Vier Wohnblocks, Backstein, begrünte Innenhöfe, Fußballplatz. Willkommen im Getto. Zumindest auf dem Papier ist Mjølnerparken, eine Wohnsiedlung in Kopenhagen, noch eines. Mehr als die Hälfte der Bewohner wurde deshalb zwangsabgesiedelt. Baugerüste, Arbeiter und Maschinen prägen jetzt das Bild.
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Das "Papier" ist eine "Getto-Liste", die seit 2010 in Dänemark erstellt wird. Mjølnerparken kam auf die Liste, weil 80 Prozent der rund 1.200 Bewohner "nicht-westlichen" Migrationshintergrund (ja, die Dänen unterscheiden so), 70 Prozent maximal einen Pflichtschulabschluss und ein niedriges Einkommen hatten, 40 Prozent arbeitslos und 2,4 Prozent vorbestraft waren.
Zwangsdurchmischung
Bis 2030 sollen alle "Gettos" in Dänemark aufgelöst sein. Dieses Ziel hat sich die frühere Regierung gesetzt, die jetzige, sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hat es übernommen. Einzig: "Getto" sagt man nicht mehr, sondern "unterentwickelte Gegend". Klingt netter, bedeutet dasselbe.
In einer Parlamentsrede sagte Frederiksen: "Sollen wir akzeptieren, dass es in Dänemark Orte gibt, wo Menschen Furcht haben, sich aufzuhalten? Niemals. Wir müssen und wir können es ändern."
Worte, die genauso gut von Integrationsministerin Susanne Raab stammen könnten. Die ÖVP-Politikerin prangert seit Jahren an, dass durch die hohe Zahl an Zuwanderern "Parallelgesellschaften" entstanden seien – gerade in Wien. Diese Woche war sie in Dänemark, um sich inspirieren zu lassen. Und was sie da hörte, war zunächst schwer zu verdauen.
Sprache und Werte lernen ab dem 1. Lebensjahr
Per Gesetz, das 2018 in Kraft trat, können bestimmte Straftaten, die in diesen Gegenden begangen werden, von den Gerichten doppelt so hart bestraft werden. Eltern sind verpflichtet, ihre Kinder ab dem 1. Lebensjahr in den Kindergarten zu geben, damit sie Sprache und Werte lernen.
Der breite politische Konsens in Dänemark lautet, dass Integration nur dann gelingen kann, wenn Migranten möglichst viel Kontakt zur dänischen Gesellschaft haben. Und auch die dänische Gesellschaft soll möglichst bunt durchmischt sein.
Das wird staatlich verordnet – und in letzter Konsequenz erzwungen. Sozialbauten werden privatisiert, saniert oder abgerissen. In früheren Glasscherbenvierteln stehen dann plötzlich neue, teurere Wohnungen, Einfamilienhäuser und Studentenheime.
Straftäter bekamen Geld, um wegzuziehen
Einige Städte taten so einiges, um gar nicht erst auf die Liste zu kommen. In Odense – Heimat von Märchen-Schriftsteller Hans Christian Andersen – gab man verurteilten Straftätern rund 2.000 Euro, damit sie freiwillig wegziehen. In Aarhus bekamen Arbeitslose sogar bis zu 6.700 Euro.
In Mjølnerparken wurden 60 Prozent der Sozialwohnungen privatisiert. 250 Familien mussten ausziehen, weil eine Wohnbaugesellschaft jetzt generalsaniert. Es gab heftige Proteste, einige Bewohner haben das dänische Innenministerium wegen Verletzung ihrer Menschenrechte geklagt.
"Notwendiges Übel"
Für die Stadtentwicklung in Kopenhagen zuständig ist ein Mann namens Rune. Er gibt sich Mühe, die harten Maßnahmen vor seinen österreichischen Gästen zu legitimieren – sie scheinen ihn auch persönlich zu schmerzen.
Aber (und das ist wohl der berühmte dänische „Pragmatismus mit Herz“) die Absiedlung und Neuaufstellung war ein "notwendiges Übel", betont Rune. 2015 erschütterte ein Terroranschlag das Land. Mjølnerparken ist besonders belastetes Terrain: Der Attentäter lebte hier.
Die Regierung habe viel in Sozialarbeit investiert, aber nicht in die Parallelgesellschaften durchdringen können. Irgendwann sei eben der Geduldsfaden gerissen. Sozialarbeit gibt es weiterhin – aber nur zusätzlich zu den strukturellen Maßnahmen.
Worauf Rune wert legt: "In Kopenhagen wurde kein einziges Gebäude abgerissen. Wir wollen nicht, dass jemand zuschauen muss, wie das Zuhause seiner Kindheit dem Erdboden gleichgemacht wird." Die "unterentwickelten Gegenden" werden eben jetzt entwickelt. Bis 2024 – also sechs Jahre vor dem nationalen Ziel – soll das Projekt abgeschlossen sein. Mjølnerparken ist das letzte "Getto" der Stadt, 2018 waren es noch acht.
Den abgesiedelten Familien wurden von der Stadt Ersatzwohnungen angeboten, Umzug und Möbel finanziert. Und: Sie konnten voranmelden, dass sie zurückkehren wollen, sagt Rune. "Aber kaum jemand wollte das."
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