Das türkis-grüne Theater um offene Posten
Langsam drängt die Zeit: Nur noch zweieinhalb Monate bleiben der türkis-grünen Koalition bis zur Nationalratswahl – und in der Regierungsmannschaft macht sich langsam Unruhe breit: Schließlich gilt es noch, einige wichtige Posten zu besetzen. Dazu gehören zuvorderst die Entscheidung, wer für Österreich in die EU-Kommission geht; aber auch die Spitze der Nationalbank (OeNB), die Führung der Finanzmarktaufsicht (FMA) sowie ein Richterposten am Europäischen Gerichtshof (EuGH) sind zu bestellen.
Am vergangenen Freitag soll es laut KURIER-Informationen ein Gespräch zwischen Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) gegeben haben, um diese Fragen zu besprechen.
Dem Vernehmen nach gehen die Vorstellungen über den weiteren Fahrplan auseinander: Von Nehammer wird überliefert, er habe sich für ein „Paket“ stark gemacht, in dem alle Entscheidungen enthalten sind; Grünen-Chef Kogler soll sich dagegen ausgesprochen haben. Jobs und Bestellungsmodalitäten seien zu verschieden, man müsse nicht alles auf einmal, sondern die dringendsten prioritär behandeln.
In einem Punkt sind sich Kanzler und Vizekanzler offenbar einig: Martin Kocher, derzeit Arbeits- und Wirtschaftsminister, soll neuer Gouverneur der Österreichischen Nationalbank (OeNB) werden. Immerhin habe er beim Hearing überzeugt.
Als Bedingung wird intern gehandelt, dass Josef Meichenitsch Kochers Stellvertreter wird. Als Budget-Experte hat er die Grünen in den Koalitionsverhandlungen vertreten, er war in der Finanzmarktaufsicht tätig und ist derzeit Abteilungsleiter in der OeNB.
Damit ist es aber nicht getan. Für die ÖVP hat absolute Priorität, die Entscheidung über den EU-Kommissar festzuzurren. Als Favorit gilt Magnus Brunner, derzeit Finanzminister – auch, wenn sich Nehammer noch nicht öffentlich zu ihm bekannt hat.
Kommende Woche soll Ursula von der Leyen im EU-Parlament für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin bestätigt werden. Danach beginnt das Gerangel um die besten Ressorts. Je länger sich Österreich Zeit lässt, desto schlechter stehen die Chancen, dass der oder die Kommissarin ein attraktives Portefeuille bekommen kann (siehe unten).
Aus Brunners Umfeld ist zu hören, dass er aus diesem Grund auch langsam das Interesse an dem Job verliert.
Der eine EU-Kommissar – wie etwa Österreichs Johannes Hahn – liebt das Segeln. Die andere Kommissarin – wie etwa Margrethe Vestager – hatte schon auf einen anderen Job gehofft (als Chefin der Europäischen Investitionsbank): Doch so schnell können weder Hahn noch die anderen EU-Kommissarinnen und Kommissare das Gremium verlassen. Erst muss das nach den EU-Wahlen neu zu erstellende Gremium vollständig beisammen sein, ehe die alte Kommission abtreten darf. Und das kann dauern, ein klares Datum dafür gibt es nicht. Letztes Mal startete die Kommission sechs Monate nach der Wahl.
Österreichs Regierung hat ihren Kandidaten noch nicht endgültig nominiert – im Gespräch soll ja etwa Finanzminister Brunner sein. So manch anderer Staat war da schon schneller. Frankreich etwa schickt sicher wieder Kommissar Thierry Breton ins Rennen. Von einigen anderen Staaten heißt es wiederum, sie hätten bereits Namen nach Brüssel geschickt – und auch schon deponiert, welches Ressort man für sich wünsche.
Budget, Wirtschaft, Wettbewerb, Handel, Landwirtschaft – das sind die mächtigsten Bereiche der EU-Kommission. Dort werden die Weichen in der EU gestellt, dort wird viel Geld verteilt – entsprechend groß ist das Griss der nationalen Regierungen um diese Ressorts. Traditionell kommen dort die mächtigsten Staaten zum Zug, Frankreich, Italien, Spanien, aber auch die Niederlande und Dänemark. Dass EU-Kommissar Hahn zuletzt das Budget-Ressort erhalten hatte, lag an seiner langen Erfahrung als EU-Kommissar.
Generell gilt: Wer seinen Kommissar früh nominiert, hat bessere Chancen, ein mächtiges Ressort zu erhalten. Erst muss nun aber EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nächste Woche vom EU-Parlament in ihrem Amt bestätigt werden. Dann geht die Kommissarssuche auch offiziell los.
„Beamtenlösung“?
In dieser durchaus sensiblen Situation war es für die ÖVP nachgerade eine Provokation, dass die Grünen vergangene Woche den Namen Othmar Karas ins Rennen warfen und im Infrastrukturressort mit Cornelia Breuß noch schnell einen wichtigen Sektionschefinnen-Posten besetzt haben.
Der langjährige EU-Parlamentarier Karas ist hoch angesehen und bestens vernetzt. Allerdings ist er in der Führungsriege der ÖVP ein rotes Tuch – er gilt als illoyal. Die Chancen, dass ihn Nehammer als Kommissionsmitglied vorschlägt, gehen gegen null.
Da sei, so heißt es in der Regierung, sogar eine „Beamtenlösung“ mit der SPÖ noch wahrscheinlicher. Soll heißen: Ein Spitzenbeamter mit konservativem Weltbild, der über die fachliche Qualifikation verfügt.
Sideletter obsolet
Generell gilt: Die Grünen haben bei der Personaldebatte deutlich weniger zu „verlieren“. Laut einer schriftlichen Nebenabsprache („Sideletter“), die Kogler nunmehr ohnehin für obsolet erklärt hat, stünde den Grünen die Besetzung eines Richters des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu, wenn die ÖVP im Gegenzug über den EU-Kommissar entscheiden darf.
Nur gibt es in grünen Kreisen ohnehin niemanden, der die hohen Formalkriterien für den EuGH-Job erfüllen würde. Aktuell vertritt Andreas Kumin Österreich im Gerichtshof – und er würde den Job gerne weiter machen.
"Nichts liegen lassen"
Auf grüner Seite wäre noch die längst überfällige Neubesetzung des Weisungsrates im Justizministerium offen. Diese Posten haben aber, wie man hört, zu wenig Gewicht, als dass man die Grünen damit locken könnte.
In puncto EuGH drängt einmal mehr die Zeit: Die aktuelle Periode läuft am 5. Oktober aus. Beim Direktorium der OeNB und bei der Finanzmarktaufsicht (FMA) steht erst im Sommer 2025 ein Wechsel an. Am häufigsten genannt wird Mariana Kühnel, derzeit stv. Generalsekretärin der Wirtschaftskammer.
Von grüner Seite ist zu hören, dass man „nichts liegen lassen“ und sich bei den größeren (und kleineren) Personalentscheidungen, die fällig sind, in den nächsten Wochen noch einigen will. Wohl per Umlaufbeschluss, denn ein Sommerministerrat ist vorerst nicht geplant.
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