ÖVP ortet "Einheitspartei Kickl-Zadic-Babler gegen die Terrorbekämpfung"
Es war eine Blamage, die die Kanzlerpartei ÖVP Dienstagabend spätabends hinnehmen musste. Alle Parteien, inklusive des grünen Koalitionspartners, stimmten bei der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats gegen das Sicherheitspaket, das die Türkisen eingebracht hatten. Die Sitzung war nach dem vereitelten mutmaßlichen Terroranschlag auf eines der Taylor-Swift-Konzerte in Wien einberufen worden.
Geht es nach der ÖVP, soll unter anderem die Messenger-Überwachung ermöglicht sowie das Vereins- und Parteiengesetz verschärft werden, um islamistischem Terror vorzubeugen. Die anderen Parteien haben Bedenken – unter anderem wegen möglicher überschießender Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte.
Die ÖVP reagierte empört. Eilig lud Generalsekretär Christian Stocker am Mittwoch zu einer Pressekonferenz. Titel: „Einheitspartei Kickl-Zadic-Babler gegen die Terrorbekämpfung“.
"Feiertag für Terrorismus"
„Gestern war ein Feiertag für Terrorismus und organisierte Kriminalität“, ging er mit den anderen Parlamentsparteien hart ins Gericht. Die Lehren der ÖVP aus der vergangenen Woche seien gewesen, die Sicherheit weiter zu verbessern, auch wenn die Behörden im konkreten sehr gut gearbeitet hätten.
„Wir müssen aber den Nachrichtendiensten die Möglichkeit geben, die international Standard sind.“ Und dies sei eben der Überwachung der Chat-Nachrichten am Handy von mutmaßlichen Terroristen. „Das ist eine unabdingbare Notwendigkeit, um Terroranschläge zu verhindern", sagte Stocker.
Wobei dies laut Stocker nur im Einzelfall bei bestimmten schweren Delikten und unter strengen Rechtsschutz-Auflagen erfolgen soll.
Für das Verhalten der anderen Parteien findet Stocker harsche Worte: „Es geht auch um die Frage, wie es nach der Wahl weitergeht: Offensichtlich haben Grün und Rot mit Blau kein Problem“, ortet der ÖVP-General neue Anti-ÖVP-Allianzen.
"Vernunft-Restbestände bei SPÖ"
Immerhin: „Bei der SPÖ gibt es Restbestände von Vernunft und Hausverstand, zum Beispiel bei Wiens Bürgermeister Michael Ludwig und der Vorarlbergs-SPÖ Chef Mario Leiter, die unsere Ansichten teilen.“ Wie berichtet, hatte sich Dienstag Ludwig für die Chat-Überwachung ausgesprochen, während die Parteispitze um Andreas Babler bei diesem Thema bisher sehr zurückhaltend war.
Bei seiner Abrechnung mit den anderen Parteien griff Stocker auf bemerkenswerte Weise auf eine Diktion zurück, die frappierend an jene der FPÖ in diesem Wahlkampf erinnert: „Die anderen Parteien sind in einer Einheitspartei. Es gab für unsere Vorschläge keine Mehrheit im Sicherheitsrat, aber ich weiß mich eins mit den Menschen in diesem Land.“
Zuletzt hatten die Grünen immerhin angekündigt, dass der Gesetzesentwurf zur Messenger-Überwachung zur Begutachtung freigeben werden soll.
Den Grünen war der Entwurf bis zuletzt zu unkonkret gewesen. So sei etwa nicht klar geregelt, wie der missbräuchliche Einsatz der Software verhindert werden soll, heißt es.
Nachdem nun zumindest die Erläuterungen nachgeliefert wurden, haben die Grünen am Mittwoch der Freigabe des Entwurfs zur öffentlichen Begutachtung zugestimmt. Dafür sind wohl sechs Wochen angesetzt. Womit die Begutachtung unmittelbar vor der Wahl enden dürfte.
Mit der für die Türkisen heiklen Konsequenz, dass am Ende des Wahlkampfs noch öffentlich bekannt werden könnte, was Experten am ÖVP-Entwurf auszusetzen haben.
Gezerre um Untersuchung des DSN
Kritik übt Stocker auch an dem Wunsch von FPÖ und Grünen, dass die zuständige Kontrollkommission die Arbeit des DSN im Zusammenhang mit den vereitelten Anschlägen untersuchen soll. Konkret geht es unter anderem um die Frage, ob die Zusammenarbeit der verschiedenen Nachrichtendienste effizient ist.
Stocker: „Es geht den Parteien darum, beim DNS nachzuschauen, ob irgendein Haar zu finden ist. Das ist ein Misstrauen, das vollkommen unangebracht ist. Seitens des DSN wurden am Dienstag alle Fragen beantwortet. Er hat vorbildlich gearbeitet. Er muss gestützt werden, nicht in Zweifel gezogen werden.“
Karner will keine Kontrolle
Mittwochmittag meldete sich dann Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) zu Wort - mit einer Absage: „Ich werde der Empfehlung des Nationalen Sicherheitsrates nicht nachkommen.“
Gegenüber dem KURIER nennt er die Gründe: Erstens gebe es juristische Bedenken wegen der Verbindung zum Heeresnachrichtendienst, zweitens liefen gerade die Ermittlungen auf Hochtouren. Wenn Kontrolle, so Karner, dann nach Abschluss der Arbeiten.
Karner erklärt weiter: "Ich lasse nicht zu, dass die Arbeit des Verfassungsschutzes DSN, der internationale Anerkennung genießt, aus parteipolitischen Gründen von SPÖ, FPÖ, den Grünen und den Neos schlecht geredet wird. Das ist schändlich gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des DSN."
Entsprechend äußerte sich auch die Vorsitzende der Kontrollkommission, Ingrid Zerbes: Im Moment gebe es „keinen Anlass“, verwies Zerbes auf das laufende Verfahren. In Zukunft sei es freilich nicht ausgeschlossen, dass man tätig werde. Generell sei die Kommission „von keinem Ersuchen abhängig“ und könnte ein solches auch ablehnen, merkte die Strafrechtsexpertin an. Nun sei jedenfalls „nicht der Moment zu prüfen“.
Grüne: "Stocker wechselt politisches Kleingeld"
Der grüne Konter auf Stockers Vorwürfe ließ nicht lange auf sich warten: „Wenn die ÖVP jetzt 'Einheitspartei' schreit und starke Grüne Frauen mit rechten Hetzern vergleicht, legitimiert sie, wogegen sie angeblich kämpft: Die rechtsextreme FPÖ“, kritisierte die Generalsekretärin der Grünen, Olga Voglauer, im Kurznachrichtendienst X. Im Rahmen eine Pressekonferenz in der Früh und warf sie Stocker vor, „politisches Kleingeld zu wechseln“.
In Bezug auf die Messenger-Überwachung wiederholte Voglauer die Bedenken der Grünen, dass die Grund- und Freiheitsrechte gewahrt bleiben müssten. Die Verantwortung dafür, dass seit der Vorlage des Gesetzesentwurfs durch das Innenministerium vor Monaten bei dem Thema nichts weitergegangen ist, sehen die Grünen beim Koalitionspartner. Es habe ja immer wieder Aussprachen gegeben, bei denen die Grünen ihre offenen Fragen geäußert hätten, aber nichts sei passiert, meinte Voglauer.
Eine Verkürzung der Begutachtungsdauer, um das Gesetz noch vor der Nationalratswahl zu beschließen, lehnen die Grünen ab. „Egal ob ein Wahltermin ansteht, sechs Wochen Begutachtungszeit ist einfach notwendig“, um die Vorschläge in einer breiten Diskussion mit Experten aus allen Bereichen wie Datenschutz, Verfassungsrecht und technischen Fragen zu evaluieren, „sodass es am Ende eine tragfähige Legistik gibt“, so Voglauer. Mit der Einbringung von Experten könne dies durchaus gelingen.
Neos mit Bedenken
Die Neos kritisierten am Mittwoch einmal mehr, dass ihnen der Messenger-Entwurf der Regierung noch nicht einmal vorliege. Generalsekretär Douglas Hoyos äußerte am Rande der Wahlkampfplakat-Präsentation zudem „große Bedenken“, ob die Regelung verfassungskonform sei.
Blaue Kehrtwende
Bemerkenswert ist die Kehrtwende der FPÖ. Als sie mit der ÖVP noch gemeinsam regierte, trugen sie die damals geplante Chat-Überwachung noch mit. Der sogenannte "Bundestrojaner" wurde allerdings 2019 gekippt. Den jetzigen Entwurf lehnen die Blauen allerdings ab, obwohl er wesentlich mehr Auflagen vorsieht. Anstatt diesen Widerspruch zu erklären, verknüpft die FPÖ das Thema mit ihrem Kampf gegen die Pandemie-Maßnahmen.
"Die Menschen haben die Corona-Zeit nicht vergessen, in der unter Federführung der ÖVP die Grund- und Freiheitsrechte in noch nie dagewesener Weise eingeschränkt wurden und gegen Kritiker des Maßnahmenregimes, die friedlich auf die Straße gegangen sind, mit wüsten Beschimpfungen vorgegangen wurde", sagt Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer. Kurzum: Der ÖVP ist nicht über den Weg zu trauen, sie hat weniger echte Terrorbekämpfung ins Visier genommen als vielmehr die eigene Bevölkerung!“,
SPÖ: Sicherheitsrat "kein ÖVP-Parteitag"
Scharfe Kritik kommt auch von der SPÖ: „Dass ÖVP-Generalsekretär Stocker extra eine Pressekonferenz einberufen hat, um öffentlich zu beweinen, dass der Nationale Sicherheitsrat nicht wie ein ÖVP-Parteitag funktioniert, bei dem die ÖVP ihre unausgegorenen Ideen widerspruchslos abnicken lässt, zeigt, dass es der ÖVP nicht um Sicherheit, sondern nur um Parteitaktik geht", sagt Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim. "Außer Ankündigungen und Absichtserklärungen hat die ÖVP nichts vorzuweisen - daher überrascht es mit Ausnahme der ÖVP auch niemanden, dass die ÖVP vollkommen isoliert dasteht und nicht einmal beim eigenen Koalitionspartner Gehör findet.“
Was untersucht wird
Der jetzige Gesetzesentwurf der ÖVP sieht vor, dass bei einer konkreten Verdachtslage in Richtung terroristischer Straftaten bzw. geheimen Nachrichtendiensts zum Nachteil Österreichs bestehende Sicherheitslücken bei Handys genutzt werden dürfen, um mittels einer Software die Geräte von Verdächtigen zu infiltrieren. Das soll die Möglichkeit schaffen, Inhalte - es geht vor allem um Chat-Nachrichten - zu überprüfen, die über Dienste wie Telegram, WhatsApp oder Signal verschlüsselt gesendet, übermittelt oder empfangen werden. Andere am Handy abgespeicherte Daten sollen dabei nicht durchforstet werden, das Ausspähen soll sich ausschließlich auf die jeweils am Gerät installierten Messenger-Dienste beschränken.
Wer zuständig ist
Die entsprechende Anordnung soll dem Bundesverwaltungsgericht obliegen und unter strengen Sicherheitskriterien - etwa mit Einbeziehung des Rechtsschutzbeauftragten im Innenministerium - erfolgen. Voraussetzung ist ein konkreter Verdacht auf gravierende Straftaten. Die Überwachung soll sich ausschließlich auf Nachrichten beschränken, die innerhalb eines bestimmten Bewilligungszeitraums verschickt oder empfangen werden.
Welche Folgen die Überwachung hat
Sollte sich der Verdacht erhärten, wären im nächsten Schritt Festnahmeanordnungen oder Hausdursuchungen zwecks Gefahrenabwehr in die Wege zu leiten. Zudem ließen sich für die Justizbehörden zum Zweck der Strafverfolgung Beweismittel sammeln.
Indes betont man im Büro von SPÖ-Parteichef Andreas Babler, dass es in dieser Frage keineswegs wie von der ÖVP behauptet einen Gegensatz zwischen Bundespartei und einzelnen Länderorganisationen gebe. "Die SPÖ ist für eine Überwachung von Messenger-Diensten, wenn dass entsprechende Gesetz verfassungskonform ist und keine Massen-Überwachung geplant ist."
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