Grünen-Klubchefin Maurer: "Die Zeit von Sebastian Kurz ist lang vorbei"
In so gut wie jedem Interview wurde Sigrid Maurer gefragt: Wie lange hält die Koalition?
Diesmal zum letzten Mal – denn die grüne Klubchefin dürfte Recht behalten: Gewählt wird erst am 29. September.
KURIER: Die Frist für einen Neuwahl-Antrag läuft ab. Juckt es Sie in den Fingern?
Sigrid Maurer: Mich juckt es in den Fingern, was die Regierungsarbeit betrifft. Wir haben noch viel vor.
Hat es irgendwann einen Moment gegeben, wo Sie gesagt haben: Mir reicht’s?
Sicher gab es das eine oder andere Frustrationserlebnis. Aber die Möglichkeit, diese Republik zu verändern und grüne Ziele zu verfolgen, war immer weit wichtiger.
Wäre das Klimaschutzgesetz so ein Grund gewesen, wenn die ÖVP sich nicht bewegt?
So funktioniert Politik nicht, wenn man seine Ziele ernst nimmt.
Kommt das Gesetz noch?
Es ist uns schon vieles gelungen, wo es vorher geheißen hat: Das schafft ihr nie. Mit dieser Überzeugung arbeiten wir beständig weiter.
Diese Woche hat der Ministerrat die Nominierung von Peter Westenthaler für den ORF-Stiftungsrat durchgewunken. Wie viel Bauchweh hatten die Grünen da?
Er ist kein Verfechter des freien, unabhängigen Journalismus – im Gegenteil. Er ist ein Freiheitlicher, der auch mit Fake News und Lügenpropaganda unterwegs ist. Aber es gibt ein Gesetz, die Nominierung der Freiheitlichen hat dem entsprochen, also war er zu bestellen.
Westenthaler hat angekündigt, er wird bei Fellner auf oe24.tv aus den Stiftungsrat-Sitzungen berichten.
Wenn er das tut, dann wird es Sache des ORF sein, ob er Sanktionen setzt. Aber allein diese Aussage zeigt natürlich die Medienpolitik der Freiheitlichen: Die wollen keine unabhängigen Medien, sondern nur ihren Hass und ihre Hetze verbreiten. Herbert Kickls Vorbild ist das illiberale Ungarn.
Der nächste Aufreger waren die Nachbeben des Urteils gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Die ÖVP schießt sich auf den Richter ein. Wären da nicht klare Worte der Grünen bzw. der grünen Justizministerin angebracht?
Es gibt eine entsprechende Aussendung unserer Generalsekretärin. Aber ich glaube, es braucht grundsätzlich keine Zurufe, von niemandem. Weder von Christian Stocker noch von grüner Seite. Man soll die Justiz einfach in Ruhe arbeiten lassen.
Hat Karl Nehammer die Partei hinter sich? Wenn man bedenkt, dass sein Generalsekretär wegen eines – nicht rechtskräftigen – Schuldspruchs für den Ex-Chef so auf die Barrikaden geht …
Die Zeit von Sebastian Kurz ist lang vorbei. Auf ihn kommen noch ganz andere Verfahren zu. Ich konzentriere mich auf die Zusammenarbeit mit der ÖVP von Karl Nehammer und auf mein Gegenüber August Wöginger. Da gibt es keine Beeinträchtigungen.
Diese Woche wurde ein Wohnpaket mitsamt Leerstandsabgabe präsentiert. Was ist da geplant?
Wir haben auf der einen Seite eine Knappheit an Wohnraum, die zu überhöhten Mieten führt. Auf der anderen Seite haben wir mehrere Hunderttausend leer stehende Wohnungen in Österreich. Und dann wird ständig etwas Neues gebaut und Boden versiegelt, anstatt das, was wir haben, zu sanieren und auf den Markt zu bringen. In drei Ländern gibt es schon eine Leerstandsabgabe, die ist aber zu niedrig, als dass sie eine Motivation wäre, zu vermieten. Jetzt geben wir den Ländern die Möglichkeit in die Hand, diese Leerstände wirklich zu mobilisieren.
Welche Länder nehmen das dankbar auf, welche zögern?
Es gibt einen einstimmigen Beschluss der Landeshauptleutekonferenz, und ich erwarte, dass sich die Länder dem Thema jetzt widmen. Es mag im Interesse von Immobilienspekulanten sein, dass Wohnungen leer stehen, es muss aber im Interesse der Politik sein, günstigen Wohnraum zu ermöglichen. Unser Ziel ist, das Paket in den nächsten Wochen dingfest zu machen.
Im Juni ist EU-Wahl, Ihre Spitzenkandidatin ist Lena Schilling, die als Klimaaktivistin ja nicht gerade glücklich war über die grüne Regierungsarbeit. Wie viel Überzeugungsarbeit hat es gebraucht, sie zu gewinnen?
Es gab im vergangenen Jahr einen Annäherungsprozess. Sie sagt selbst, sie hat auch bisher politische Arbeit gemacht, jetzt hat sie sich entschlossen, auf europäischer Ebene die Hebel zu bewegen. Darüber sind wir sehr glücklich, sie ist ein unglaubliches Talent.
Schilling will „fürs Klima und gegen Rechts“ kämpfen. Reicht das, wenn die Grünen im EU-Parlament ihre drei Mandate halten wollen?
Es wird ein Programm in gewohnter grüner Breite geben, aber das sind die zwei zentralen Fragen unserer Zeit: Die Klimakrise bedroht unsere Lebensgrundlage, der Rechtsruck bedroht sämtliche Errungenschaften der Europäischen Union.
Als Nächstes steht die Nationalratswahl an. Bleiben Sie Klubchefin oder interessiert Sie auch ein Regierungsamt?
Ich habe diesen Job in den vergangenen viereinhalb Jahren trotz aller Anstrengungen sehr gerne gemacht – und würde ihn gerne weiter machen.
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