ÖVP attackiert Kurz-Richter wegen "Befangenheit" - was steckt dahinter?
Die Disziplinarstrafe gegen den früheren Staatsanwalt Michael Radasztics wurde erst jetzt publik - das sorgt für Spekulationen. Wie sich die Zuständigen rechtfertigen und was im Urteil wirklich steht.
Drei Tage, nachdem Michael Radasztics, Richter am Wiener Straflandesgericht, sein Urteil gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Ex-Kabinettschef Bernhard Bonelli sprach, wird publik, dass er wegen seiner früheren Tätigkeit als Staatsanwalt eine Disziplinarstrafe kassiert hat: Wegen Pflichtverletzung in zwei Fällen musste er ein halbes Monatsgehalt Strafe zahlen (der KURIER berichtete).
Am nächsten Tag reitet ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker für seinen Ex-Parteichef aus. In einer eilig einberufenen Pressekonferenz spricht Stocker über einen „Anschein der Befangenheit“ bei Radasztics und stellt die Frage in den Raum, ob der Richter die Öffentlichkeit über den Disziplinarentscheid hätte informieren sollen. „Meiner Meinung nach schon“, so Stocker. Das Verfahren hätte dann einen anderen Verlauf nehmen können.
Schließlich war einer der beiden Sachverhalte, für die Radasztics disziplinarrechtlich verurteilt wurde, bereits am ersten Verhandlungstag im Falschaussage-Prozess Thema: Die Verteidiger von Kurz und Bonelli waren der Ansicht, dass Radasztics aufgrund seiner Kontakte zum Ex-Grün-Abgeordneten Peter Pilz nicht objektiv sei, und forderten einen Richterwechsel.
Radasztics wies den Vorwurf zurück: Er habe zu Pilz „keinerlei freundschaftliches Verhältnis oder Vertrauensverhältnis“.
Sorgfaltspflicht
In der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Graz, dem zuständigen Disziplinargericht, wird zum Thema Pilz (anonymisiert als „Dr. E*“) folgende Begebenheit geschildert:
Radasztics war Eurofighter-Staatsanwalt und hat Pilz im Dezember 2018 in seinem Amtsraum als Zeuge vernommen. Danach bat er die Kriminalbeamten, den Raum zu verlassen, „damit er mit Dr. E* noch etwas besprechen könne“. Die Beamten entfernten sich ebenso wie eine Oberstaatsanwältin.
Kurz-Prozess: Stocker ortet "Anschein der Befangenheit" beim Richter
Als diese zurückkehrte, saß Radasztics vor seinem Computerbildschirm, eine Datei war geöffnet. Pilz machte sich Notizen. Sie sprachen über einen möglichen Schmiergeldfall in Kroatien, Radasztics erkundigte sich bei Pilz nach weiteren Informationen. Pilz hatte keine, sprach aber das Thema Aktenlieferungen an den Eurofighter-U-Ausschuss an. Radasztics erklärte daraufhin, es gebe eine Weisung, dass Aktenteile aus Gründen der nationalen Sicherheit zurückzustellen seien.
Pilz hatte „zu diesem Zeitpunkt kein Recht auf diese Information aus den Ermittlungsakten“, Radasztics habe seine Sorgfaltspflicht als Staatsanwalt verletzt, hält das Disziplinargericht fest. Ein Strafverfahren wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses war bereits eingestellt worden.
Diese Schilderung im Entscheidungstext zeigt, dass Radasztics und Pilz offenbar doch eine gewisse Vertrauensbasis hatten. Gepaart mit der Tatsache, dass der Text erst nach der Urteilsverkündung in der Strafsache gegen den Ex-Bundeskanzler ins Rechtsinformationssystem (RIS) gestellt wurde, sorgt die Causa jetzt für wilde Spekulationen.
Gefallen ist das Urteil im Mai, rechtskräftig wurde es im Dezember. Laut Gesetz wären solche Urteile „unverzüglich in anonymisierter Form“ zu veröffentlichen.
Letzteres wird von der zuständigen Stelle, dem OLG Graz, als Grund für die lange Dauer genannt: Nach Rechtskraft sei das Evidenzbüro des Obersten Gerichtshofes mit der Anonymisierung beauftragt worden. Danach sei eine nochmalige Überprüfung der Anonymisierung und die technische Umsetzung der Veröffentlichung erfolgt. Dieser Vorgang sei insgesamt sehr aufwendig, erklärt ein OLG-Sprecher, und betont: „Es gibt keinerlei Zusammenhang zur Urteilsverkündung in der Strafsache Kurz und Bonelli.“
Die Optik ist – da sind sich die meisten Kommentatoren und Justiz-Kenner einig – verheerend. Faktisch hätte die Strafe, die mit einem halben Monatsgehalt (ca. 3.700 Euro) relativ niedrig ist, aber wohl nichts daran geändert, dass Radasztics via internem System dem Kurz-Prozess zugeteilt wird.
Litigation PR
Gerichtspräsident Friedrich Forsthuber sieht die Äußerungen von ÖVP-General Stocker als „Teil einer PR-Litigation, die hier stattfindet, um die Person des Richters anzugreifen“. Im Ö1-„Mittagsjournal“ betont er, dass das Disziplinarverfahren aus Radasztics’ Zeit als Staatsanwalt „überhaupt nichts“ mit der Führung des Kurz-Prozesses zu tun habe.
Die Grünen und die SPÖ richten Stocker aus, „Zurufe aus der Politik an die unabhängige Justiz“ zu unterlassen. „Verschwörertheoretische Pressekonferenzen“ kenne man eigentlich nur von den Freiheitlichen, sagt die grüne Generalsekretärin Olga Voglauer.
Kai Jan Krainer (SPÖ) befand, die ÖVP würde „in ihrem blinden Eifer, mit dem sie Kurz und das System Kurz verteidigt, die Fundamente der Republik untergraben“.
Ob Radasztics im Kurz-Prozess nun wirklich befangen war oder nicht, wird die zweite Instanz zu klären haben. Die Verteidigung hat volle Berufung angemeldet – wegen Schuld, Strafe und Nichtigkeit. Eine tatsächliche Befangenheit wäre ein Grund, dass der Prozess (der zwölf Tage gedauert hat) wiederholt werden müsste.
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