Kurz: "Ich empfinde die Verurteilung als sehr ungerecht"
Im Juni 2020 sagte der damalige Kanzler Sebastian Kurz: Er sei bei Personalentscheidungen informiert, aber nicht involviert gewesen. Im Februar 2024 liegt es in der Hand eines Richters zu beurteilen, ob das falsch war. Am Freitag um 19 Uhr verkündet Richter Michael Radasztics „im Namen der Republik“: Schuldspruch für Sebastian Kurz.
Kurz habe im U-Ausschuss auf die Frage, ob er in die Besetzung des Aufsichtsrats der ÖBAG eingebunden gewesen sei, falsch ausgesagt. „Er wusste, dass er sich beteiligt und aktiv eingebracht hat“, so Richter Radasztics. An ihn herangetragene Vorschläge habe er abgelehnt oder zugesagt.
Freigesprochen wird Kurz hingegen in Sachen Aussage zur Vorstandsbestellung von Schmid und hinsichtlich der Schiefer-Schmid-Vereinbarung. Ebenso sei Bernhard Bonelli, der ehemalige Kabinettschef, schuldig.
„Wann ist denn eine Aussage falsch?“
Für Kurz spricht der Richter acht Monate bedingte Haft aus, für Bonelli sechs Monate bedingt, mit einer jeweiligen Probezeit von drei Jahren. Die Falschaussage eines Kanzlers wiege schwerer, so seine Erklärung.
Sebastian Kurz erklärt nach dem Prozess, dass er das Urteil als „sehr ungerecht“ empfindet. Aber: „Ich bin in zwei von drei Vorwürfen freigesprochen worden.“
Richter Michael Radasztics hat seinen Spruch so dargelegt: „Wann ist denn eine Aussage falsch?“, fragt er und liefert die Antwort nach: Sie sei dann falsch, wenn sie nicht den Tatsachen entspreche. Das gelte auch für U-Ausschüsse. Selbst, wenn dort andere Bedingungen herrschen würden als vor Gericht.
Kurz hört dem Richter zu, tippt gleichzeitig auf seinem Handy herum. Bonelli lauscht mit verschränkten Armen. „Selten war ein Fall der Falschaussage so klar gelagert“, meinte davor Oberstaatsanwaltschaft Gregor Adamovic in seinem Schlussplädoyer und lieferte sogleich das Motiv für die angebliche Falschaussage: „Kurz wollte die ungünstige Optik in der Öffentlichkeit vermeiden.“
Die russischen Geschäftsleute, die von der Verteidigung ins Spiel gebracht worden waren, um die Glaubwürdigkeit von Thomas Schmid zu schwächen, seien eine „absurde Geschichte“. „Das war eindeutig eine Falle, die bei Schmid aber nicht zugeschnappt ist – sonst hätte es sicher wieder ein mitgeschnittenes Gespräch gegeben.“
1. April 2019
Thomas Schmid wird Vorstand der Staatsholding ÖBAG
12. November 2019
Hausdurchsuchung bei Schmid. Handy und externe Speicher werden sichergestellt
24. Juni 2020
Sebastian Kurz ist im U-Ausschuss geladen. Er erklärt, bei Postenbesetzungen der ÖBAG nicht involviert gewesen zu sein. Die WKStA leitet daraufhin Ermittlungen gegen ihn ein
Oktober 2021
Hausdurchsuchungen u. a. bei der ÖVP und im Kanzleramt. Neue Vorwürfe (Stichwort Inseratenaffäre) werden bekannt. Am 9. Oktober tritt Kurz als Kanzler zurück
18. Oktober 2023
Der Prozess gegen Kurz und Ex-Kabinettschef Bernhard Bonelli startet
Ganz anders die Argumentationen von Kurz, Bonelli und deren Verteidigern. „Kurz hat nicht falsch ausgesagt. Die WKStA wirft ihre eigenen Interpretationen vor“, meint Kurz-Anwalt Otto Dietrich. Er sieht einen Aussagenotstand, weil sich Kurz bei der Befragung im U-Ausschuss vor einer strafrechtlichen Verfolgung fürchten musste. Ähnlich argumentiert Werner Suppan, Anwalt von Bonelli.
Kurz betont: „Mein Ziel war, im U-Ausschuss weder eine Falschaussage zu machen, noch in irgendein Verfahren verwickelt zu werden.“ Er gibt zu, nicht gut vorbereitet gewesen zu sein und dass es unterschiedliche Wahrnehmungen zu ein und derselben Sache gebe – das habe er im Zuge dieses Prozesses gelernt.
„Man fühlt sich wehrlos“, sagte Kurz in seiner letzten Wortmeldung vor dem Urteil. Und er spricht vom Medieninteresse, das „nicht sehr angenehm sei“. Deshalb habe er sich auch aus der Politik zurückgezogen.
Fahrt nach Mariazell
Der mitangeklagte Bernhard Bonelli, Kurz’ ehemaliger Kabinettschef, drückt es so aus: „Es gehört wohl zu den erniedrigendsten Momenten in meinem Leben, hier und heute die Schlussworte als Angeklagter formulieren zu müssen.“ Als er von der Anklage erfahren habe, sei er mit Freunden in den Wallfahrtsort Mariazell gefahren.
Die Nervosität am Urteilstag merkt man vor allem dem Ex-Kanzler an. Nicht nur einmal dreht er sich zu den Verteidigern um, fuchtelt mit den Armen und äußert sich so laut, dass auch die Zuhörer seine Bemerkungen hören. Auch bei der Befragung des zweiten russischen Geschäftsmannes zeigt er Nerven. Der Mann wird via Videoschaltung aus der österreichischen Botschaft in Moskau befragt.
„Diese Herren haben die Unwahrheit gesagt“
Doch der Gerichtsdolmetscher scheint durch die ausschweifenden Antworten des Zeugen überfordert. Kurz hat seine eigene Dolmetscherin mit. „We are lost in translation“, stellt Anwalt Dietrich fest. Also wird der Zeuge auf Englisch befragt – und Richter Radasztics übersetzt kurzerhand. Zeuge Aleko A. wiederholt: Schmid habe gesagt, er werde von der WKStA unter Druck gesetzt.
„Ich wurde in keiner Situation unter Druck gesetzt“, sagt Schmid wenig später, zugeschaltet aus Amsterdam. „Diese Herren haben die Unwahrheit gesagt.“ Doch warum sollten sie? „Wenn Sie sich anschauen, welche Personen dahinterstehen …“
Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Die Verteidiger meldeten Berufung an. Sebastian Kurz: „Ich bin sehr optimistisch, dass wir in zweiter Instanz recht bekommen.“
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