Ex-Außenminister Alexander Schallenberg ist seit sechs Wochen Kanzler und hat mit den neun Länderchefs den vierten Lockdown und mit der SPÖ die Impfpflicht für Österreich beschlossen.
KURIER: Tausende waren am Samstag bei Anti-Corona-Demos. Befürchten Sie künftig Ausschreitungen wie in den Niederlanden?
Alexander Schallenberg: Ich hoffe sehr, dass es nicht dazu kommt. Ich habe Verständnis, dass man seinen Unmut äußert und bin mir bewusst, dass die Stimmung sehr angespannt ist. Zwischen jener Mehrheit, die alles richtiggemacht hat, sich impfen ließ und jenen, die sich unsolidarisch zeigen. Innenminister Karl Nehammer und ich sind seit Freitagabend in enger Abstimmung und beobachten die Situation sehr genau.
Ihr Vorgänger Sebastian Kurz hat 65 Prozent der Bevölkerung versprochen, dass es keinen Lockdown mehr geben wird. Sie haben das Versprechen gebrochen. Wie wollen Sie das Vertrauen zurückgewinnen?
Wir hatten im Sommer die Hoffnung, dass sich mehr Menschen impfen, damit sie sich und ihr Umfeld schützen. Leider ist es anders gekommen, trotz der Überzeugungsarbeit der Politik, der Experten und der Medien. Wir erbitten einen Akt der Solidarität von jenen, die geimpft sind, diesen Lockdown mitzutragen. Dass die Freiheitsrechte wieder eingeschränkt werden müssen – glauben Sie mir – das ist auch für mich schwer erträglich. Das ist eine Zumutung.
Für viele ist es eine Zumutung, dass sich die Regierung widersprochen hat und entgegen dem Expertenrat Zeit verstreichen ließ.
Wir haben mit 3-G am Arbeitsplatz und 2-G im Freizeitbereich strenge Regeln eingeführt. Eine halbe Million Menschen ließ sich letzte Woche impfen. Die Maßnahmen haben also gewirkt, doch leider nicht deutlich genug. Es gibt einen ständigen Diskurs zwischen Politik und Experten - diese Einschränkungen in Freiheits- und Grundrechte müssen allerdings wohl überlegt sein.
Der große Punkt, auf den wir uns in der Regierung mit allen Landeshauptleuten und der größten Oppositionspartei SPÖ geeinigt haben, ist die Impfpflicht. Wir alle wollen aus dem Teufelskreis ausbrechen und: Wir haben es in der Hand. Als Bürger müssen wir alle einsehen: Wir haben nicht nur Rechte, sondern tragen auch Verantwortung. Wenn man die Verantwortung nachhaltig negiert, muss sie in einer freien, pluralistischen Gesellschaft zur Pflicht werden.
Haben Sie sich in besagter Nacht mit ÖVP-Chef Sebastian Kurz abgesprochen?
Wir waren selbstverständlich in Kontakt, zumal es sich um ein Bundesgesetz handelt, das durchs Parlament gehen muss. Genauso wie natürlich mit Gust Wöginger und den VP-Regierungsmitgliedern.
Bei der Lockdown-Verkündung war von Schulterschluss die Rede. Wie eng Schulter an Schulter stehen Sie mit Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein?
Ich gebe unumwunden zu, dass wir in der Kommunikation zuletzt nicht ideal abgestimmt waren. Es gibt nun ein sehr gutes Verständnis zwischen uns.
Müssten Sie nicht das Gespräch mit der FPÖ und Impfskeptikern suchen?
Grundsätzlich spreche ich mit allen. Ich kann an dieser Stelle Herbert Kickl nur baldige Genesung und Einsicht wünschen. Ich erachte die Haltung der FPÖ in der Pandemiebekämpfung für vollkommen verantwortungslos. Zumal es ja auch FPÖ-Mandatare gibt, die trotz Vollimmunisierung den absurden Kurs der Partei mittragen.
Das Beste an ihm wäre, wenn er bald zur Einsicht käme, von seinem Kurs abrückt und mithilft, dass wir diesen Teufelskreis durchbrechen. Wir haben alle eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung – nicht nur jeder Politiker, sondern jeder einzelne Bürger.
Am 12. Dezember soll der Lockdown für Geimpfte und Genesene enden. Anhand welcher Parameter enden die Beschränkungen?
Jetzt müssen wir kurz drastisch die Handbremse ziehen. Es gibt eine klare Einigung von Bund, Ländern und der SPÖ, dass es am 13. Dezember für die Geimpften zu Ende ist und im Februar die Impfpflicht kommt. Das ist die Richtschnur. Ich würde es zudem sehr begrüßen, wenn die Neos unseren Kurs mittragen.
Nochmals konkret gefragt: Ab einer täglichen Infektionszahl von 3.000, ab einer Intensivbettenauslastung oder Impfquote von x geht Österreich wieder aus dem Lockdown?
Das Ende ist nicht an eine Zahl gebunden. Wir müssen abwägen in sozialer, gesundheitlicher und wirtschaftlicher Hinsicht.
Der Lockdown kostet eine Milliarde Euro pro Woche. Wird es wieder eine "Koste es, was es wolle"-Corona-Hilfe geben können?
Finanzminister Gernot Blümel wird den bewährten Instrumentenkoffer an Unterstützungen wieder nützen, damit die Unternehmen wirtschaftliche Sicherheit haben.
Welche Einschränkungen muss der geimpfte Bürger im Lockdown im privaten Raum auf sich nehmen?
Der Appell an alle Menschen ist, die Kontakte auf ein absolutes Minimum zu verringern. Was die Infektionskette durchbricht, das sind weniger Kontakte. Das Infektionsgeschehen ist leider so, dass trotz 3-G am Arbeitsplatz und 2-G in der Freizeit die Neuinfektionen weiter ansteigen. Das Gesundheitspersonal hat in den letzten 20 Monaten Übermenschliches geleistet, ihnen sind wir zu Dank verpflichtet und sie müssen wir jetzt entlasten, auch um die Ungeimpften zu schützen.
Österreich soll wie Turkmenistan oder der Vatikan ab 1.2.2022 eine Impfpflicht bekommen. Welche Verwaltungsstrafen können Sie sich bei Nichteinhaltung vorstellen?
Ich kann den Experten nicht vorgreifen. Dass wir überhaupt so einen Schritt setzen müssen, dass wir - um uns selbst und andere zu schützen - über Pflichten reden müssen, das ist traurig. Wir haben seit zehn Monaten das Mittel, um aus der Pandemie zu kommen: die Impfung.
Ob der Impfpflicht werden Sie Spaltenberg genannt.
Ich bin von meinem Naturell und meiner politischen Einstellung her jemand, der Menschen zusammenbringen will. Ich gebe zu, dass ich noch vor Wochen einer Impfpflicht gegenüber skeptisch war, weil ich dachte, dass wir es mit Vernunftargumenten schaffen. Doch es ist leider anders gekommen.
Österreich ist in den Schlagzeilen mit Lockdown und Impfpflicht. Eine Gratwanderung zwischen Lachnummer und Vorzeigeland?
Nein. Ich merke die internationale Aufmerksamkeit und weise auf Länder hin, die bei Diphtherie, Masern und anderen Erkrankungen eine Impfpflicht haben. Wir führen eine Impfpflicht für alle ein, weil wir nicht einzelne Berufsgruppen unter Druck setzen wollen, sondern es als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ansehen.
Warum steht Österreich im Vergleich zu anderen Ländern wie Spanien, Portugal oder Israel so schlecht da?
In jedem Staat gibt es eine andere Gemengelage. Es hat mit der Stimmungslage, der politischen Landschaft, der Wissenschaftsskepsis und der Mentalität der Bevölkerung zu tun.
Manch einer sagt, es geht uns zu gut, wir seien wohlstandsverwahrlost. Stimmen Sie dem zu?
Wir sind ein wohlhabender, entwickelter Industriestaat und es stimmt mich nachdenklich und traurig, dass wir den kurzfristigen Lockdown für die Geschützten, den langfristigen Lockdown für Ungeimpfte und die Impfpflicht einführen müssen. Es ist bemerkenswert, dass alle westlichen Demokratien mit der Pandemie kämpfen. Es ist wieder Europa, das den internationalen Hotspot darstellt. Das ist nicht allein ein österreichisches Phänomen.
Hat Österreich genug Impfstoff für die erste, zweite und dritte Impfung?
Der Gesundheitsminister hat mir versichert, dass wir für ganz Österreich ausreichend Impfstoff haben.
Millionen von Schülern und Eltern wie auch Lehrern wissen nicht, was ab morgen zu tun ist. Können Eltern ihre Kinder ruhigen Gewissens in die Schule gehen oder aber zu Hause lassen?
Ich verstehe alle Eltern, Schulen sind ein besonderes Thema: Schließen wir sie, haben viele Probleme bei den Betreuungspflichten. Lassen wir sie offen, beeinflusst das das Infektionsgeschehen. Es gibt Präsenzunterricht für alle, die es benötigen, drei Testungen pro Woche und der Lernerfolg ist auch durch Lernpakete und Lernplattformen sichergestellt. Eltern können am besten einschätzen, was das richtige für ihre Kinder ist.
Apropos Tests. Wie stellen Sie nach den eklatanten Versäumnissen sicher, dass man sich österreichweit mittels PCR testen lassen kann und können Sie sich als Übergangslösung wieder Antigen-Tests vorstellen?
Ja, es gibt Schwierigkeiten, aber auch das klare Bemühen von den Länderchefs und dem Gesundheitsminister, die Testmöglichkeiten rasch flächendeckend auszubauen. Was die Antigen-Tests betrifft, so bin ich der Meinung, dass wir keine Option ausschließen sollten.
Kommt 2-G am Arbeitsplatz noch vor der Impfpflicht?
Es muss den Menschen ermöglicht werden, arbeiten zu gehen, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Deshalb wird es auch weiter den Unterschied zwischen 3-G am Arbeitsplatz und 2-G in der Freizeit geben.
Bleibt uns die FFP2-Maske auch 2022 erhalten?
Ich kann mir vorstellen, dass die Maske noch sehr lange Teil unseres Lebens sein wird.
ÖVP und Grüne haben sich bis vor wenigen Tagen diametral widersprochen. Ist Corona der Kitt, der die Koalition zusammenhält?
Das sehe ich überhaupt nicht so. Die Regierung hält zusammen. Wir haben alle dazugelernt, kommunikativ und was die Pandemie betrifft. Vor wenigen Monaten dachten wir alle, es reichen zwei Impfungen. Nun wissen wir, wir brauchen die Auffrischungsimpfung. Was die Regierungsarbeit betrifft, so haben wir vom Budget, über das Krisensicherheitsgesetz bis hin zur ökosozialen Steuerreform eine Reihe von Maßnahmen gemeinsam auf den Weg gebracht.
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