Kritik an türkis-grüner Blockade: "Richter sind kein politisches Tauschobjekt"

Kritik an türkis-grüner Blockade: "Richter sind kein politisches Tauschobjekt"
Die Regierung nehme Einfluss auf die Justiz, wenn sie das BVwG nicht nachbesetzt, sagt Gernot Kanduth, neuer Präsident der Richtervereinigung. Und er mahnt, beim Kostenersatz nicht auf die Richter zu vergessen.

Gernot Kanduth hatte einen steilen Einstieg: Sabine Matejka, seine Vorgängerin als Präsidentin der Richtervereinigung, dankte Anfang September ab (mehr dazu). Grund waren die Querelen rund um die Neubesetzung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG).

Matejka wurde zwar von einer Kommission erstgereiht, die Regierung kann sich seit zehn Monaten aber nicht zur Nominierung durchringen. Vom Bundespräsidenten abwärts gab es dafür viel Kritik – auch von Kanduth, als er gerade frisch im Amt war. Einen Aufschrei gibt es von Kanduth jetzt auch in Bezug auf die Reform des Kostenersatzes.

KURIER: Die Regierung blieb von Ihrem Aufschrei zum Thema BVwG – und von den vielen anderen zuvor – ungerührt. Ist das Hilflosigkeit oder bloße Ignoranz?

Gernot Kanduth: Das kann ich mir selbst nicht erklären. Klar ist: Das BVwG funktioniert, die Rechtsprechung geht weiter. Aber wenn die Politik eine so zentrale Stelle nicht nachbesetzt oder sie zum Tauschobjekt in einem politischen Handel macht, nimmt sie Einfluss auf die Justiz. Und das darf nicht sein in einem Rechtsstaat.

Was halten Sie vom kolportierten Kompromiss? Fürs BVwG könnte der drittgereihte Kandidat zum Zug kommen, für die Bundeswettbewerbsbehörde die zweitgereihte Kandidatin.

Kompromisse politischer Natur bei der Besetzung einer Richterstelle darf es nicht geben. Es muss die oder der am besten Geeignete genommen werden. Es gab eine höchstkarätig besetzte Kommission und die Regierung kann sich nicht anmaßen, deren Vorschlag zu ignorieren.

Kann es sich die zuständige Justizministerin Alma Zadić überhaupt leisten, die bestqualifizierte Frau fallenzulassen und einen drittgereihten Mann zu nominieren?

Das kann nur sie selbst beurteilen. Aber ich darf erinnern: Sie hat sich von Anfang an sehr weit hinausgelehnt und gesagt, sie werde nur die Erstgereihte mittragen.

Pragmatisch betrachtet: Wäre ein Kompromiss nicht besser als gar keine Lösung? Auch die Bundeswettbewerbsbehörde wartet schon seit Monaten auf eine Neubesetzung.

Auch in dieser so wichtigen Behörde finde ich das rechtsstaatlich bedenklich, auch hier darf es keinen politischen Tauschhandel geben.

Sollte man der Regierung solche Nominierungsrechte generell wegnehmen?

Für die Zukunft sollte man sich eine Regelung überlegen, damit so etwas nicht mehr vorkommen kann. Die Vorschläge einer unabhängigen Expertenkommission sollten bindend sein.

Wie zufrieden sind Sie mit der Justizministerin?

Man muss anerkennen, dass sie den „stillen Tod“, den ihr Vorgänger Clemens Jabloner vorhergesagt hat, durch mehr Budget und Planstellen abgewendet hat. Aber gerade, was das BVwG betrifft, trägt sie als Teil der Regierung Mitverantwortung für die jetzige Situation.

Ihr wird oft vorgeworfen, sie hält sich aus politisch heiklen Themen heraus, lächelt Konflikte weg. Ihr Eindruck?

Das würde ich so nicht sagen. In gewissen Bereichen hätten wir aber gerne mehr Tempo.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler macht Druck bei dem Ausbau der Beschuldigtenrechte, Stichwort Handysicherstellung. Was halten Sie von dem Anliegen?

Als Richter sage ich, dass jeder Grundrechtseingriff mit richterlicher Genehmigung erfolgen müsste.

Das impliziert ein gewisses Misstrauen gegenüber den Staatsanwaltschaften, die solche Maßnahmen derzeit ja allein einleiten können.

Nein, das geht darüber hinaus: Die Staatsanwaltschaften haben über sich eine politische Person mit Weisungsmacht, die etwas anordnen kann. Wenn ein unabhängiger Richter prüft, wäre das ein Faktor, der dem Einzelnen Sicherheit gibt.

Apropos Weisungsspitze: Glauben Sie, kommt im verbliebenen Jahr bis zur Wahl noch der angekündigte Generalstaatsanwalt?

Da gebe ich keine Wette ab.

Der Kärntner (*1970) ist seit 2014 Vizepräsident der Richtervereinigung und folgte Anfang September Ex-Präsidentin Sabine Matejka nach.

Seine Karriere begann am Bezirks- und am Landesgericht in Klagenfurt. 2007 musste er als Untersuchungsrichter den damaligen Landeshauptmann Jörg Haider im Ortstafelstreit vernehmen.

Seit 2022 ist Gernot Kanduth am Oberlandesgericht Graz als Richter im zivilen Rechtsmittelsenat tätig.

Etwas weiter ist die Koalition schon beim Projekt Kostenersatz bei Freispruch und Einstellung des Verfahrens. Was halten Sie davon?

Ich verstehe das Problem: Es kann nicht sein, dass Menschen durch ein Strafverfahren trotz Freispruchs finanziell ruiniert werden. Eine Frage, die in der Diskussion aber deutlich zu kurz kommt, ist, wie die Richterschaft das bewerkstelligen soll.

Als Zivilrichter berechnen sie ja schon jetzt, wie hoch die Verfahrenskosten sind, die der Verlierer nach einem Prozess tragen muss. Aus Ihrer Erfahrung: Wie viel Aufwand ist das?

Es gibt Fälle, da sitze ich länger an der Kostenentscheidung als am Urteil. Bei einem Strafverfahren, das Monate dauert, wo es unzählige Schriftsätze gibt, kann man das noch gar nicht abschätzen. Noch ein Aufwand, den man bedenken muss: Eine Kostenentscheidung kann bekämpft werden, wenn der Betroffene der Meinung ist, die Rechnung stimmt nicht.

Das kolportierte Modell soll einen „dreistelligen Millionenbetrag“ kosten (mehr dazu hier). Die Richter sind noch nicht mitgerechnet?

Es gab schon viele Reformen, wo der Mehraufwand für die Richterschaft weggeleugnet wurde. In diesem Fall ist der Mehraufwand aber offensichtlich. Wir brauchen auf jeden Fall mehr Planstellen.

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