Richterpräsidentin für Reformen: "Am Ende scheitert es immer am Geld"
Sabine Matejka hält Forderungen nach Kostenersatz und mehr Rechte bei Handyabnahme für gerechtfertigt. Nicht gerechtfertigt sei, dass Staatsanwälte besser verdienen als Richter.
Zehn Freisprüche in der Spenden-Causa um den Ex-Grünen Christoph Chorherr, zwei Freisprüche für Heinz-Christian Strache, ein Schuldspruch für Ex-Ministerin Sophie Karmasin: Wie die Rolle von Richtern in diesen politisch brisanten Causen aussieht und warum es mehr Rechte für Beschuldigte braucht, erzählt Sabine Matejka, Präsidentin der Richtervereinigung, im Interview.
KURIER:Wie geht es einem Richter damit, wenn er am Ende eines hitzig diskutierten Strafverfahrens dann zwischen Staatsanwalt und Beschuldigtem sitzt und eine Entscheidung fällen muss?
Sabine Matejka: Unsere Rolle ist es, Objektivität und damit auch Ruhe in die Debatte zu bringen und allen Beteiligten das Gefühl zu geben: Da sitzt jetzt jemand, der sich unabhängig von allem, was bisher passiert ist, auf Grundlage der Gesetze eine Meinung bildet.
Wie geht das? Auch Richter lesen Zeitung, schauen sich die Nachrichten an …
Natürlich macht man sich seine Gedanken, aber sobald das Verfahren beginnt, hat man sich darauf zu konzentrieren und alles andere auszuklammern. Das ist schwierig, aber man kann lernen, damit umzugehen.
Stehen Staatsanwaltschaften mehr unter Druck?
Das mediale Interesse ist sicher größer, es gibt mehr politische Äußerungen und der Ton ist auch aggressiver als gegenüber den Gerichten. Allerdings muss man auch innerhalb der Staatsanwaltschaften mit diesem Druck umgehen können.
Dieser Druck führt angeblich dazu, dass bei politisch heiklen Causen eher angeklagt als eingestellt wird. Schiebt man da die Verantwortung auf die Richter ab?
In manchen Fällen ist es vielleicht besser so. Wenn die Staatsanwaltschaft ein Verfahren einstellt, bleibt – gerade, wenn es ein mediales Interesse gibt – oft ein Nachgeschmack. Mit einem Freispruch ist für alle Beteiligten ein Schlussstrich gezogen.
Ein teurer Schlussstrich. Wie stehen Sie zum Thema Kostenersatz?
Ich verstehe, dass es einen Bedarf gibt, sehe aber kaum Chancen, dass sich die Regierung darauf einigt. Am Ende scheitert es immer am Geld.
In Schwebe ist auch das Projekt Bundesstaatsanwalt. Braucht es den wirklich?
Ich persönlich bin dafür und halte auch das Konzept für gut, wobei man über Details reden kann. Aber auch hier sehe ich wenig Chancen. Die Justizministerin steht sehr hinter ihrem Vorschlag. Die Frage ist, wie ernst es den anderen Parteien ist.
Der ÖVP wäre die Stärkung der Beschuldigtenrechte ein großes Anliegen – etwa bei der Handysicherstellung.
Diese Forderung ist sicher berechtigt. Die Verfahrensgesetze gehören an die technischen Entwicklungen angepasst – das sieht jeder so, mit dem ich spreche. Mich stört an der Diskussion, dass sie ausschließlich auf dem Wege der politischen Zurufe geführt wird. Niemand setzt sich an einen Tisch und redet mit Experten ernsthaft darüber, was es braucht und was auch praxistauglich ist.
In der Koalition ist eigentlich paktiert, dass die Justizministerin für beide Themen ein Konzept entwickelt.
Ich sehe das Thema Beschuldigtenrechte völlig losgelöst vom Bundesstaatsanwalt – das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Aber ja, natürlich läge es an der Justizministerin, hier eine Arbeitsgruppe einzuberufen.
Die Staatsanwaltschaften befürchten, dass mehr Rechtsschutz ihre Ermittlungen erschweren würde.
Diese Bedenken verstehe ich. Man sollte nicht überschießend Regeln einführen, die dann den Ablauf massiv erschweren. Ich bin mir sicher, dass man eine Lösung finden würde – aber man muss jetzt einmal starten.
Sabine Matejka, geboren 1974 in Wien, hat an einer Tourismusschule maturiert und dann Jus studiert.
Seit 2019 ist sie Vorsteherin des Bezirksgerichts Floridsdorf. Zudem ist sie Präsidentin der Richtervereinigung und Vizepräsidentin der Europäischen und der Internationalen Richtervereinigung.
Matejka wurde Ende 2022 für den Präsidenten-Posten im Bundesverwaltungsgericht (BVwG) von einer Kommission erstgereiht. Wegen eines Koalitionsstreits wurde sie aber noch nicht vorgeschlagen: Die ÖVP blockiert, weil die Grünen die Besetzung eines anderen Chef-Postens (Bundeswettbewerbsbehörde) blockieren
Gefordert wird mehr richterliche Kontrolle. Geht sich das personell aus?
Das ist das nächste Problem. Es gab immer wieder Gesetzesänderungen, die aber nie personell berücksichtigt wurden. Oft wurde einfach behauptet, es gebe keinen Mehraufwand. Wir merken aber, dass viele Verfahren deutlich umfangreicher geworden sind. Nicht nur in Straf-, sondern auch in Zivilverfahren, beim Familienrecht und im Erwachsenenschutzrecht.
Sie fordern in einem offenen Brief mehr Budget für die Gerichte und schreiben, dass die Belastung bei Wirtschaftsstrafsachen besonders hoch ist. Warum?
Wir haben eine starke Fluktuation. Wenn sich jemand für den Fachbereich interessiert, fragt er sich natürlich, ob er das bei Gericht macht oder zur WKStA geht, wo die Infrastruktur und das Gehalt deutlich besser sind. Ich sehe hier ganz dringenden Handlungsbedarf.
Ein Oberstaatsanwalt der WKStA verdient mehr Geld als ein Richter?
Ja, und das ist sachlich nicht gerechtfertigt. Das Gehaltsschema der Staatsanwälte ist grundsätzlich etwas höher als das der Richter, bei der WKStA ist es noch höher. Das gehört angeglichen.
Sie selbst sollen ja auch wechseln, und zwar zum BVwG (siehe unten). Die Koalition sagt seit Monaten, das sei „in politischer Abstimmung“. Stört Sie das?
Diese Aussage ist ein Widerspruch in sich. Bei der Besetzung eines unabhängigen Gerichts sollte es keine „politische Abstimmung“ geben. Ich würde mir mehr Sensibilität für die Sache und für die Gewaltenteilung wünschen.
Sie sind auch Vizepräsidentin der internationalen und der europäischen Richtervereinigung. In Israel ist die Unabhängigkeit der Justiz durch eine Reform bedroht, seit Monaten wird demonstriert. Wie sehen Sie die Lage?
Ich finde es großartig, dass die Zivilgesellschaft seit Monaten so aktiv für demokratische Werte und Gewaltenteilung eintritt. Der erste Schritt der Reform ist nun gesetzt, viel problematischer sehe ich aber die angestrebte Änderung bei der Besetzung von Richterposten. Geplant ist eine massive Einflussnahme der jeweils Regierenden. Damit kann man praktisch den gesamten Justizapparat umbauen, unangenehme Richter durch angenehme ersetzen. Solche Tendenzen gibt es auch in Europa – zum Beispiel in Polen und in Ungarn.
Verfassungsministerin Karoline Edtstadler hat enge Verbindungen zu Israel. Würden Sie sich gerade von ihr einen lauteren Aufschrei erwarten?
Ich verstehe, dass vieles eine Frage der Diplomatie ist. Trotzdem glaube ich, dass man sich als Staatengemeinschaft äußern und an die Vernunft appellieren sollte. Letztlich haben wir alle ein Interesse daran, dass es in einem Land, mit dem wir wirtschaftliche Beziehungen pflegen, eine verlässliche Demokratie gibt.
Israel ist noch eine recht junge Demokratie. Hielten Sie eine ähnliche Reform auch bei uns für möglich?
Ich halte das in jedem Land für möglich. Gesetze können jederzeit geändert werden, nichts ist in Stein gemeißelt. Deshalb braucht es eine aufmerksame Zivilgesellschaft, denn leider gibt es die Tendenz, dass demokratische Werte als selbstverständlich genommen werden und nicht mehr so wichtig sind. Auf EU-Ebene geht es nicht mehr nur um den Schutz der Rechtsstaatlichkeit, sondern um die Demokratie an sich.
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