Per "Traumschiff" auf die türkis-grüne Reise
Pläne gab es schon viele für die Präsentation der neuen Regierung. Sie wurden mehrfach verworfen, der vorerst letzte lautet so: Am Abend des Neujahrstages werden Sebastian Kurz und Werner Kogler an die Öffentlichkeit gehen und den Abschluss der Regierungsverhandlungen verkünden.
Der Zeitpunkt für den Fernsehauftritt im ORF wurde offenkundig mit Liebe gewählt: Zwischen „Das Traumschiff“ und „Kreuzfahrt ins Glück“ sollen die Österreicher auf die Reise in die türkis-grüne Zukunft eingestimmt werden.
Es gilt freilich abzuwarten, ob dieser Plan so hält. Jedenfalls aber soll bis zum Abend des 1. Jänners noch verhandelt werden. Dem Vernehmen nach geht es nicht mehr um Inhalte, sondern um die Kompetenzverteilung in der Bundesregierung und um die Ministerliste.
Noch nicht ganz fix
Am Sonntag wurde bereits eine Verteilung der Ministerien lanciert, allerdings hieß es, dass diese noch nicht in Stein gemeißelt sei.
Fest steht, dass Kanzler Sebastian Kurz erstmals eine Frau mit der Landesverteidigung betrauen will. Die besten Karten hat die Niederösterreicherin Klaudia Tanner.
Das Innenministerium geht ebenfalls an die Volkspartei, und sie will es mit Generalsekretär Karl Nehammer, der politisch aus der Wiener ÖVP kommt, besetzen.
Gernot Blümel
... ist als Finanzminister fix gesetzt. Der langjährige Vertraute von ÖVP-Chef Sebastian Kurz war bisher Kanzleramtsminister mit den Zuständigkeiten Europa, Kunst und Medien, jetzt übernimmt er die finanziellen Geschicke der Republik. Der studierte Philosoph, der sich in sozialen Medien auch schon Ovid-lesend inszeniert hat, ist auch Chef der Wiener Landespartei. Als solcher wird der 38-Jährige im Herbst 2020 wohl auch in die Wien-Wahl ziehen.
Karl Nehammer
... wird Innenminister - das war der ÖVP nach der Ära Kickl ein Anliegen. Der Niederösterreicher führte den Wahlkampf von Kurz als dessen Parteimanager, als ÖVP-Generalsekretär hat er sich mit seinem polternden Stil einen Namen gemacht. Karriere machte er zuvor im ÖAAB. Geeignet wäre er auch für das Verteidigungsressort: Nach dem Präsenzdienst war er einige Jahre Berufssoldat und brachte es zum Leutnant.
Klaudia Tanner
... wird als erste Frau die Landesverteidigung übernehmen. Die niederösterreichische Landtagsabgeordnete und dortige Bauernbund-Chefin diente schon im Kabinett von Innenminister Ernst Strasser (ÖVP); schon 2017 galt sie als Anwärterin auf den Job, der dann aber der FPÖ zufiel. Mit ihrem neuen Ressort hatte die Juristin bisher nicht gerade viel Kontakt. Im Landtag befasste sie sich schwerpunktmäßig mit Themen wie Kultur, Verfassung und Gesundheit.
Karoline Edtstadler
... wird Kanzleramtsministerin und zuständig für Europa-Angelegenheiten. Die Juristin war unter Türkis-Blau Staatssekretärin im von Herbert Kickl (FPÖ) geführten Innenministerium, bevor sie für die Türkisen nach Brüssel zog - bei der EU-Wahl wurde sie Othmar Karas als Listenzweite an die Seite gestellt. Die Leitung der türkisen Delegation im EU-Parlament gibt die 38-Jährige jetzt wohl wieder ab.
Elisabeth Köstinger
... wird als Landwirtschaftsministerin verlängert. Auch sie zählt zum engsten Zirkel von Sebastian Kurz, die Materie kennt sie von Kind auf: Sie stammt aus einer Lavanttaler Landwirts-Familie, ist dementsprechend Bauernbündlerin. Neun Jahre saß die 41-Jährige für die ÖVP im EU-Parlament, bevor Kurz sie nach Wien zurückholte.
Margarete Schramböck
... wird wieder Wirtschaftsministerin. Die frühere A1-Chefin war schon 2017 als Überraschungskandidatin präsentiert worden, die gebürtige Tirolerin gilt zudem als Vertraute der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner.
Heinz Faßmann
... ist als Bildungsminister zurückgeholt worden. Der 64-Jährige war schon unter Türkis-Blau für diese Bereiche zuständig, davor war er einer der liebsten Bildungs- und Migrationsexperten von Sebastian Kurz. Fassmann, ein gebürtiger Deutscher, hat Geografie und Wirtschafts- und Sozialkunde studiert und war vor seinem politischen Engagement Vizerektor der Uni Wien.
Susanne Raab
... wird Chefin eines neu geschaffenen Integrationsministeriums und außerdem für Frauenagenden zuständig sein. Die 34-jährige Oberösterreicherin ist derzeit Leiterin der Integrationssektion im Außenministerium, bei den Regierungsverhandlungen saß sie mit am Tisch für die ÖVP. Mit ihrem Chef ist sie inhaltlich konform: Sie war etwa für die Ausarbeitung des Islamgesetzes mitverantwortlich, arbeitete beim Burkaverbot und an der Integrationsinitiative "Integration durch Leistung" mit.
Christine Aschbacher
Neu im Kabinett Kurz: Christine Aschbacher wird Arbeits- und Familienministerin. Die 36 Jahre alte Unternehmerin aus der Steiermark war schon von 2012 bis 2015 im Finanz- und Wirtschaftsministerium tätig, sie gilt als Expertin für die Themen Fach- und Schlüsselarbeitskräfte, Standortpolitik und Innovationsmanagement.Sie bekommt Agenden, die dem grünen Sozialministerium entzogen werden - etwa den wichtigen Bereich des Arbeitsmarkts, also das AMS.
Alexander Schallenberg
Alexander Schallenberg bleibt auf dem ÖVP-Ticket Außenminister. Er ist damit der einzige, der den Weg von der Übergangsregierung in das Kabinett Kurz gefunden hat. Schallenberg, ein Karrierediplomat, kam schon vor 20 Jahren ins Außenamt, war Pressesprecher mehrere Minister. Internationalität liegt ihm im Blut: 1969 in Bern als Sohn des Botschafters geboren, wuchs er in Indien, Spanien und Frankreich auf.
Werner Kogler
Vizekanzler Werner Kogler bekommt dieselben Aufgaben übernimmt wie sein Vorgänger Heinz-Christian Strache - und zwar Sport und die Beamten. Hinzu kommt Kunst und Kultur. Kogler, ein gebürtiger Steirer, ist ein grünes Urgestein; der 58-Jährige hat die Partei nach dem Rauswurf aus dem Nationalrat wieder in lichte Höhen geführt. Seine Leidenschaft sind aber die Zahlen: Er ist Volkswirt und war lange Budgetsprecher der Grünen.
Leonore Gewessler
Bereits bestätigt: Ex-Global 2000-Geschäftsführerin Leonore Gewessler ist als Umwelt-, Verkehrs- und Energieministerin gesetzt. Die Politikwissenschafterin und Umweltaktivistin war lange Zeit Geschäftsführerin bei Global 2000, bevor sie für die Grünen auf dem zweiten Listenplatz hinter Kogler kandidierte. Die 42-Jährige, die aus Graz stammt, war auch eine der zentralen Regierungsverhandlerinnen der Ökopartei.
Alma Zadic
Ebenfalls fix: Das Justizministerium wird die Wirtschaftsanwältin Alma Zadic für die Grünen übernehmen. Die gebürtige Bosnierin saß in der letzten Periode noch für die Liste Pilz im Nationalrat, da machte sie im BVT-U-Ausschuss eine gute Figur. Jetzt zu den Grünen gewechselt, hat Zadic jedenfalls gute Qualifikationen für das Amt: Die 35-Jährige hat eine Musterkarriere hinter sich - nach der Schule im 10. Wiener Gemeindebezirk studierte sie in New York und Mailand bis hin zum Doktortitel Jus, war später bei der International Organisation of Migration und beim Haager Kriegsverbrecher-Tribunal aktiv.
Rudolf Anschober
Der Oberösterreicher Rudolf Anschober wird Sozialminister. Der 59-Jährige hat Erfahrung im Regieren mit der ÖVP: In seinem Heimatland währte die schwarz-grüne Partnerschaft zwölf Jahre lang. Seit den 1980ern ist der gelernte Volksschullehrer politisch aktiv, zuletzt machte er sich mit seinem Engagement für ein Bleiberecht für Asylwerber in Lehre einen Namen.
Ulrike Lunacek
Die ehemalige EU-Parlamentarierin Ulrike Lunacek zog für die Grünen als Spitzenkandidatin in den Nationaratswahlkampf 2017. Dabei flogen die Grünen kurzzeitig aus dem Parlament, Lunacek zog sich aus der Politik zurück. Nun feiert sie ihr Comeback: In der neuen Regierung wird sie Staatssekretärin für Kunst und Kultur im Ministerium von Werner Kogler.
Magnus Brunner
Fix ist auch, dass Magnus Brunner (ÖVP) aus Vorarlberg Umwelt-Staatssekretär der künftigen Regierung wird. Der 47-Jährige ist seit 2009 Mitglied des Bundesrats, seit 2018 ist er Vizepräsident des Gremiums. Seine erste politische Erfahrung sammelte er als Büroleiter von Vorarlbergs Landeshauptmann Herbert Sausgruber. Der promovierte Jurist ist Experte im Energiesektor und hat in den vergangenen Jahren etwa am neuen Ökostromgesetz, mitgewirkt.
Sebastian Kurz
Wer fehlt? Der Kanzler natürlich. Sebastian Kurz beschreitet mit seiner Koalition mit den Grünen neue Wege. Neu im Kabinett Kurz II ist, dass die Medienagenden nunmehr direkt im Kanzleramt angesiedelt sind. Kurz' langjähriger Sprecher Gerald Fleischmann wird "Kanzlerbeauftragter für Medienfragen".
Nehammer kommt aus dem ÖAAB, Tanner aus dem Bauernbund.
Sonntagabend wurde aus der ÖVP noch bestätigt, dass die starke steirische ÖVP einen Minister stellen soll. Wer und wie, das war noch offen. Fix ist: Das Finanzministerium geht an Gernot Blümel. Der enge Vertraute von Sebastian Kurz ist gleichzeitig ÖVP-Wien-Chef und will bei der Gemeinderatswahl 2020 in Wien kandidieren.
Bisher hat Blümel gesagt, dass er dann jedenfalls auch nach Wien wechseln werde. Er wäre somit ein Finanzminister mit Ablaufdatum.
Nach derzeitigem Stand sollen sämtliche Bildungskompetenzen an die ÖVP gehen: Kindergärten, Schulen und auch die Universitäten. Umgekehrt sollen die Sozialkompetenzen an die Grünen fallen.
Den Wählern zuwider
Diese Ressortverteilung läuft den Wählerschaften der Parteien zuwider: Die Kurz-ÖVP hat viele Stimmen von Pensionisten erhalten, während die Grünen auf den Hochschulen ihre Hochburgen haben. In den Ressort-Verhandlungen haben sich die Grünen die Zuständigkeit für die Pensionisten genommen, dafür die Studenten der ÖVP überlassen. Möglicherweise ändert sich hier aber etwas: „Da ist vieles im Fluss“, heißt es von den Grünen.
Sebastian Kurz will Heinz Faßmann als Bildungsminister zurückholen. Faßmann ist nach der Abwahl der Regierung in seinen Brotberuf an die Uni Wien zurückgekehrt.
Das Justizministerium als drittes Sicherheitsressort fällt an die Grünen. Die Wirtschaftsanwältin Alma Zadic gilt als Favoritin.
Für das schwierige Sozialressort – da reden Kammern, Gewerkschaften und Länder mit – sind zwei grüne (Ex-)Landesräte im Gespräch: die Salzburgerin Astrid Rössler oder der Oberösterreicher Rudolf Anschober.
Außen und EU an ÖVP
Die Außenkompetenzen gehen zur Gänze an die ÖVP. Europaministerin könnte Karoline Edtstadler werden. Für das Außenamt ist ein Diplomat im Gespräch: Alexander Schallenberg oder Peter Launsky-Tieffenthal – oder ein anderer Diplomat aus dem Ressort.
Wirtschaftsministerin wird wieder Margarete Schramböck, Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger. Letztere muss die Umweltkompetenzen, die sie unter Türkis-Blau innehatte, an die Grünen abgeben.
Das zentrale Ressort der Grünen wird das Umweltministerium mit der Zuständigkeit für Verkehr und wahrscheinlich auch Energie. Die frühere Global 2000-Geschäftsführerin Leonore Gewessler gilt hier als fix.
Koalition zwischen ÖVP und Grünen immer wahrscheinlicher
Folgt Kogler Strache?
Die Technologie könnte zu Vizekanzler Werner Kogler wandern. Wenn nicht, übernimmt Kogler nahtlos die Zuständigkeiten von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mit Beamten und Sport.
Den Countdown zur Einigung hatten die Grünen in der Nacht von Samstag auf Sonntag gezündet, als sie die Einladungen zu ihrem Bundeskongress versandten.
Dieser findet am 4. Jänner statt und muss den Koalitionspakt und die Ministerliste der Grünen beschließen (siehe unten). Danach geht's ans Formalisieren. Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird die Regierung am 7. Jänner, dem ersten Werktag nach den Feiertagen, angeloben.
Koalition der Gewinner
Sebastian Kurz hat die Wahl am 29. September mit 37,5 Prozent klar gewonnen. Die SPÖ ist auf 21 Prozent, die FPÖ auf 16 Prozent gefallen.
Die Grünen schafften mit 13,9 Prozent souverän ihren Wiedereinzug in den Nationalrat. Mit Türkis-Grün bilden damit die Wahlgewinner eine gemeinsame Bundesregierung.
Kommentare