Oskar Deutsch: "Inakzeptable Opfer-Täter-Umkehr"
KURIER: Inwiefern hat sich Ihr Weg in die Synagoge, vorbei an den Schauplätzen des Attentats vom 2. November, verändert?
Oskar Deutsch: Es ist ein ganz anderes Gefühl, sobald ich in die Seitenstettengasse gehe. Es bringt mich noch mehr zum Nachdenken, wie so etwas passieren kann.
War es für Sie eine Frage der Zeit, dass in einer Metropole wie Wien ein Anschlag verübt wird?
Ich habe immer gesagt: Dinge – gute wie schlechte – die in Deutschland passieren, können jederzeit auch bei uns geschehen. Man hofft immer, dass man verschont bleibt. Ich glaube, dass viele Menschen jetzt wachsamer werden.
Wie lange werden die ausgebrannten Kerzen an den Tatorten sichtbar bleiben?
Nachdem jetzt die Stadt eine permanente Gedenkstätte plant, könnten sie bald weggeräumt werden. Wie diese aussehen kann, darum bemüht sich die Stadt gerade.
Wie beeinflusst und beeinträchtigt Corona das Leben und Beten in der Synagoge?
Wir haben, ähnlich wie die Regierung, einen Krisenstab und einen Krisenfonds eingerichtet. Jeder, der nachweisen kann, dass er durch Corona wirtschaftlich in Bedrängnis geraten ist, bekommt von uns – auch nach wie vor – eine Unterstützung, über deren Höhe eine Kommission entscheidet. Alle Mitglieder der Gemeinde, die 65 und älter sind, bekommen eine spezielle Betreuung.
Sind durch Corona Festtage nicht begangen worden?
An unseren wichtigsten Festtagen wie Rosch ha-Schana (jüdischer Neujahrstag) und Jom Kippur (Versöhnungsfest) sind normalerweise bis zu 900 Menschen in der Synagoge. Im September waren 120 Menschen mit Elefantenabstand zum Gebet versammelt. Ältere und Kinder waren aufgefordert, nicht zu kommen, um andere zu schützen. Es war traurig, denn sonst ist eine bummvolle Synagoge, in der man auch tratscht, ein freudiger Ort. Jetzt erinnert uns Chanukka (Lichterfest), dass Licht stärker ist als Dunkelheit.
Sehen Sie Licht am Ende des Tunnels?
Ich könnte den Job nicht machen, wäre ich nicht ein ewiger Optimist! Jetzt, da der Impfstoff in Großbritannien, Israel und Europa langsam zum Einsatz kommt, sehe ich Licht am Ende des Tunnels. Ich bin ein deklarierter Freund von Impfungen.
Israel hat den dritten Lockdown. Zudem gibt es teils krude Theorien, woher das Virus stammt …
… da sind wir beim Antisemitismus. Ich lese diese antisemitischen Verschwörungstheorien jeden Tag im Internet. Wichtig ist: Die Kultusgemeinde akzeptiert keinen Antisemitismus, sondern wehrt sich.
550 antisemitische Vorfälle wurden 2019 gemeldet. Was sagen die Zahlen für 2020?
Im ersten Halbjahr wurden 257 Vorfälle erfasst. Das Schlimme ist, dass wir nur Vorfälle kennen, die angezeigt werden. Die Dunkelziffer ist leider eine große.
Äußert sich die Poetry-Slammerin und Kabarettistin Lisa Eckhart Ihrer Meinung nach antisemitisch?
Ja, weil sie sich nicht über Stereotype lustig macht, sondern antisemitische Vorurteile bedient. Sie lacht über Juden. Denkt irgendjemand daran, was diese Witze bei Shoah-Überlebenden auslösen?
Mohammed zu karikieren, Juden in einem Kabarett zum Thema zu machen, ist für Sie in Ordnung?
Lachen kann man über alles. Wenn sich jemand über Minderheiten lustig macht, finde ich das nicht richtig. Aber die zwei Beispiele können Sie nicht miteinander vergleichen: Antisemitische Witze lösen Kritik aus, manchmal sogar Gewalt gegen Juden. Mohammed-Karikaturen sind nicht per se islamfeindlich, führen aber zu Gewalt durch Islamisten.
Wie funktioniert der jüdische Witz?
Wir lachen über uns selbst, wobei wir niemanden beleidigen.
Wir sprechen über Antisemitismus, den politischen Islam – vermischen sich gerade gegenwärtig Religion, Ideologie und Politik miteinander?
Natürlich vermischt sich alles miteinander. Jeder soll seine Religion leben können – doch alles andere muss streng getrennt werden. Es gibt in Österreich beispielsweise die Muslimbruderschaft, die sich als gemäßigt ausgibt, aber islamistische Prinzipien durchsetzen möchte und damit die Gesellschaft unterwandert. Ähnlich wie in der FPÖ.
Inwiefern gleicht die FPÖ der Muslimbruderschaft?
Es gibt Extremisten in der FPÖ, die zur Verrohung der Gesellschaft beitragen und somit eine Gefahr sind. Farid Hafez, Wissenschafter an der Universität Salzburg, hat eine Razzia bei der Muslimbruderschaft mit der Shoah verglichen. In seinem Artikel „Xinjiang and Kristallnacht in Austria: freedom of religion under threat“ hat er die Shoah verharmlost. Diese inakzeptable Opfer-Täter-Umkehr ist eine Verhöhnung der Opfer des Genozids. Wir haben den Rektor der Uni Salzburg in einem Brief aufgefordert, Konsequenzen zu ziehen. Doch er hat bislang nicht reagiert.
Welche Konsequenz soll der Rektor ziehen?
Ich fordere eine Entschuldigung, die Rücknahme dieser unhaltbaren Äußerungen und den Rücktritt von Hafez.
Seit dem Attentat in den Nachtstunden des 2. November, dem vier Menschen zum Opfer fielen, säumen Lichter, Blumen und Briefe die Seitenstettengasse. Die Gasse und die Synagoge waren nicht das erste Mal Schauplatz eines Terrorakts. „Bereits 1981 hat die Abu-Nidal-Gruppe hier mit Maschinengewehren und Handgranaten einen Terrorakt verübt“, erzählt IKG-Präsident Oskar Deutsch im KURIER-Interview.
Seither gibt es „in Abstimmung mit dem Innenministerium ein professionelles Sicherheitssystem für alle jüdischen Einrichtungen. Sie müssen sich vorstellen, dass 22 Prozent des IKG-Budgets in die Sicherheit fließen.“ 20 Prozent des Budgets 2021 werden für Immobilien, 8 Prozent für Schulen/Sport und je über 6 Prozent für Verwaltung/Restitution, Generalsekretariat und Kultus aufgewendet.
Um das österreichisch-jüdische Kulturerbe zu bewahren, soll die Israelitische Religionsgesellschaft jährlich vier Millionen Euro erhalten. Was geschieht mit diesem Geld? Wofür wird es konkret verwendet werden?
Es ist eine Anhebung von derzeit 1,3 für Wien auf 4 Millionen für ganz Österreich. In dem Gesetzesentwurf ist die Zweckwidmung festgehalten. Es wird vor allem für Sicherheit, Kultur- und Jugendarbeit verwendet. Wir wollen sicherstellen, dass unsere Enkel und Urenkel eine lebendige jüdische Gemeinde haben.
Werden alle jüdischen Strömungen – von den Aschkenasen über Sepharden bis zu den bucharischen Juden – gleich bedacht? Hört man sich in der Gemeinde um, befürchtet man eine Ungleichbehandlung, was die Mittelverteilung betrifft. Gibt es einen Streit ums Geld?
Wir sind eine Einheitsgemeinde aus Säkularen und Religiösen, aus Sepharden und Aschkenasen. Selbstverständlich werden weiterhin alle berücksichtigt. Budgets werden demokratisch beschlossen – und dass man diskutiert, ist normal.
Haben Sie einen jüdischen Witz zum Abschluss?
Gegenfrage: Wissen Sie, was in Israel am liebsten gegessen wird?
Schnitzel?
Ja, genau. Und jetzt der Witz, um den Sie mich gebeten haben. Moische fährt in der Straßenbahn und liest eine arabische Zeitung. Dann kommt Jakob und fragt ihn: „Moische, bist du meschugge geworden? Es gibt so viele gute israelische Zeitungen.“ Da sagt Moische: „Schau, wenn ich eine israelische Zeitung lese: Es geht uns schlecht, dort gab es einen Terroranschlag, es gibt so viele Arbeitslose. Wenn ich eine arabische Zeitung lese, sehe ich, wie viel Geld Juden haben und dass wir die Welt dominieren. Deshalb lese ich lieber eine arabische Zeitung.“
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