Dem Antisemitismus „den Nährboden entziehen“

Dem Antisemitismus „den Nährboden entziehen“
Nach Übergriffen auf die jüdische Gemeinde in Graz im Sommer ist Programm zur Prävention in Arbeit.

„Antisemitismus ist eine Realität, der europäische Juden täglich ins Auge blicken müssen“, konstatiert Elie Rosen. Der Präsident der jüdischen Gemeinde in Graz war vor nicht allzulanger Zeit selbst direkt betroffen: Ende August wurde die Synagoge mehrmals beschädigt, der Präsident vom mutmaßlichen Täter attackiert. „Die Zahl der antisemitischen Vorfälle ist weltweit und auch in Österreich leider im Steigen“, bedauert Rosen.

"Hass auf Juden"

Der Verdächtige in Graz, ein 31-Jähriger, sitzt in U-Haft. Der Syrer gilt als zurechnungsfähig und gestand: Er habe aus „Hass auf Juden“ gehandelt. Der Fall schockierte Politik wie Zivilgesellschaft: Vor der Festnahme des Verdächtigen gab es mehrmals Mahnwachen bei der Synagoge, die zudem verstärkt von der Polizei bewacht wurde. „Attacken wie diese machen mich nach wie vor fassungslos“, gesteht auch ÖVP-Stadtrat Kurt Hohensinner am Freitag ein. „Jeder Antisemitismus, von links, von rechts, durch Zuwanderung, ist gefährlich.“

Ein Comic-Held

Ein dreistufiges Projekt soll dagegenwirken. Das Angebot von „Lebendiges Judentum“ ist speziell für Kinder und Jugendliche konzipiert: Es soll mehr Führungen durch die Synagoge geben, dazu Seminare oder andere Hilfsmittel, die Kindern das Judentum näherbringen. Das soll etwa mithilfe eines eigenen Comic-Helden, dem „Grazer Golem“, gelingen oder Bastelbögen zum Nachbau der Synagoge. Ziel ist, dass jedes Kind der vierten Klasse Volksschule zumindest einmal die Synagoge besucht.

App in Arbeit

Hinter „jewish.history.styria“ steckt eine Homepage beziehungsweise Internetplattform, die die Tradition jüdischen Lebens in Graz von der Vergangenheit bis in die Gegenwart darstellt. Diese Seite ist derzeit im Aufbau. Zusätzlich wird es auch eine App geben, die spielerisch durch jüdische Geschichte, Traditionen und Feste begleitet. Das soll auch interaktiv passieren, so soll der Grazer Stadtplan integriert werden: Je nach Standort könnten dann unterschiedliche Stationen oder Routen freigeschalten werden, um so jüdisches Leben und Wirken in Graz zu erkunden.

Für Lehrer

Der dritte Teil des Bildungs- und Präventionsprojektes richtet sich in erster Linie an Lehrer. Ihnen soll noch besser gezeigt werden, wie sich oft hinter harmlos anmutenden Äußerungen oder Internetseiten versteckter Antisemitismus enttarnen lässt. Dieses Wissen können sie dann an ihre Schüler weitergeben. „Wir wollen dem Antisemitismus den Nährboden entziehen“, betont Stadtrat Hohensinner. „Das gelingt am besten, wenn man bei den Jüngsten ansetzt.“

180.000 Euro werden in den kommenden drei Jahren auch mit Unterstützung des Bundes das Projekt investiert. „Die effektivsten Mittel gegen antisemitische Vorurteile waren immer schon Aufklärung, Austausch und Bildung“, begründet Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP). „Österreich hat historische Verantwortung, dass Juden in unserem Land ohne Einschränkungen und ohne Sorgen um ihre Sicherheit leben können.“

"Brandbeschleuniger" Corona

Präsident Rosen macht indes auf ein wachsendes Problem aufmerksam: Verschwörungstheorien mit antisemitischem Hintergrund, der jedoch für weniger Versierte nicht immer sofort ersichtlich sei. „Insbesondere die Corona-Krise wirkt hinsichtlich der Verbreitung antisemitischer Verschwörungstheorien als Brandbeschleuniger“, warnt der Grazer.

257 registrierte Vorfälle

Der Halbjahresbericht der Antisemitismus-Meldestelle geht von 257 registrierten Vorfällen zwischen 1. Jänner und 30. Juni 2020 aus. Benjamin Nägele, Generalsekretär der Kultusgemeinde in Wien, befürchtet allerdings eine hohe Dunkelziffer nicht gemeldeter Vorfälle. 2019 gab es 550 Meldungen  - so viele wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen.

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