ORF, ÖBAG, BRZ: Der politische Sesseltanz um die Spitzenjobs
Bei aller (zuweilen durchaus auch gespielter) Empörung: An der Macht zu sein heißt, Schlüsselstellen des Landes mit Vertrauten zu füllen, nicht nur hierzulande.
Jedoch wurde und wird dieses Prinzip in Österreich kleinteiliger gelebt als anderswo: Die Parteibuchwirtschaft gehört zur Mythologie dieses Landes. Ebenso wie die Beteuerung der jeweils frischen Politikerriege, dass diese nun Vergangenheit ist und künftig nach Kompetenz besetzt werde.
Wie weit man davon in der Realität entfernt ist, zeigen nicht nur jüngste Chatprotokolle, diese aber besonders farbenreich.
Die politnahe, politisch gefärbte Vergabe von Top-Jobs, auch das politische Kleingeld, das über öffentliche und öffentlichkeitsnahe Jobs verhandelt wird, steht dank dieser wieder im Fokus der öffentlichen Debatte.
Dabei geht es bei staatshaushaltsnahen Jobs oft um große Budgets und recht abstrakte Aufgaben – wer hat vor der Aufregung um Thomas Schmid erklären können, was die ÖBAG wirklich so tut?
Es geht aber gerade heuer auch um Jobs, die durchaus im öffentlichen Fokus stehen. Insbesondere um einen: Im ORF – ohnehin hochemotionalisiertes Spielfeld politischer Grabenkämpfe – wird ein neuer General gewählt. Das ist ein hervorragend bezahlter Job mit starker Öffentlichkeitswirksamkeit und gelernter Wichtigkeit. Parteien zählen in den ORF-Nachrichten immer noch ihre Präsenzsekunden. Und der politische Apparat läuft besonders dann zu Hochtouren auf, wenn er sich an vermeintlicher Ungleichbehandlung in den Fernsehnachrichten abarbeiten darf.
Zeitraubende Balance
Andererseits müsste man im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Weichen für eine medial herausfordernde Zukunft stellen. Diese erfordert vom neuen Chef eine Veränderungs- und Erneuerungslust, die sich schwer mit dem zeitraubenden Balancieren zwischen den politischen Kleininteressen im Lande vereinbaren lässt.
Welche wichtigen Jobs noch vergeben werden, wie sehr die Politik mitspielt – und worum es bei diesen Jobs geht, lesen Sie hier.
Alle fünf Jahre wird der ORF-Generaldirektor neu vom Stiftungsrat bestellt und am Ende heißt er Alexander Wrabetz. Drei Mal war das bisher schon so. Der Jurist ist der bisher Einzige, der schon seine erneute Bewerbung angekündigt hat. Dieses Vorpreschen ist ungewöhnlich, der Wiener wartet sonst lieber zu.
Der Stiftungsrat kürt am 10. August die ORF-Spitze, Mitte September folgen die (Landes-)Direktoren.
Die Ausschreibung
muss spätestens am 30. Juni stattfinden. Die Bewerbungsfrist endet nach vier Wochen (28. Juli). Der ORF-Chef wird am 10. August in offener Abstimmung bestellt, die Direktoren folgen am 16. September. Amtsantritt ist am 1. 1. 2022 für fünf Jahre.
Das Gremium
Der Stiftungsrat hat 35 Mitglieder, die für vier Jahre bestellt sind. Nach Wahlen, die den Entsender verändern, gibt es Änderungen: 9 Räte bestimmt die Regierung, 9 die Länder, 6 die Parteien im Nationalrat, 6 der Publikumsrat, 5 der Zentralbetriebsrat. Aktuell werden 16 der ÖVP zugerechnet. Bei Gleichstand zählt die Stimme des Stiftungsratsvorsitzenden Norbert Steger (FPÖ).
Das Gremium, in der Ära Wolfgang Schüssel geschaffen, ist durch den Beschickungsmodus weitgehend politisch besetzt. Jene Partei, die gerade den Kanzler stellt, hat das Sagen – weshalb das keine Regierung danach geändert hat. Gewonnen ist damit aber noch nichts, wie die ÖVP weiß. Als kaufmännischer Direktor übertrumpfte Wrabetz 2006 seine Chefin Monika Lindner mit einer Allianz aus SPÖ-, BZÖ-, FPÖ-, Grünen und unabhängigen Stiftungsräten – Postenschacher inklusive.
Das zeigt auch gleich die Stärken und Schwächen des vormaligen Vorsitzenden der sozialistischen Studenten aus dem FPÖ-Elternhaus: Er kann aus der Defensive heraus überraschende Mehrheiten bilden und ist bereit, schmerzbefreit zu agieren. Was nun die Fantasie beflügelt: Noch im Herbst wird Wrabetz wichtige Jobs für die neue Schaltzentrale der ORF-Information, den multimedialen Newsroom, besetzen. Das regt Begehrlichkeiten. Die Orbán-Keule wird beim formal mächtigsten ORF-Chef aber nie geschwungen.
Im 35-köpfigen Stiftungsrat gilt zur Wahlzeit die reine politische Farbenlehre. Der folgend hat Türkis eine relative Mehrheit von 16 Stiftungsräten; bei manch Unabhängigem schimmert’s auch durch. Die Absolute von 18 Räten ist ohne koalitionäre Mithilfe – auch wenn der ORF Thema zwischen ÖVP und Grün ist – realistisch. Womit die traditionelle ORF-Wahl-Logik schlagend wird: Keiner will den neuen ORF-Chef nicht gewählt haben. Das machte schon manch knappes Ergebnis bunt und elegant. Gerüchteweise könnte hier der blaue Stiftungsratsvorsitzende Norbert Steger eine Schlüsselrolle spielen.
Gegenkandidaten
Will man Wrabetz – aus guten Gründen oder niederen politischen Überlegungen – nicht, braucht es Bewerber. Über die Erfolgsaussichten, abseits der Qualifikation, entscheidet das Umfeld von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Fürs Sondieren ist sein Medienbeauftragter Gerald Fleischmann verantwortlich.
Der Kandidaten-Zustrom von außen ist gering – man weiß um die Logik hinter ORF-Spitzenjobs. Doch ein Name kursiert: Matthias Settele. Der 54-jährige Niederösterreicher, als ORF-Journalist und Büroleiter Gerhard Zeilers gestartet, hat international Karriere gemacht. Seit 2013 leitet er den slowakischen TV-Konzern Markíza. Erfolgreich.
Möglichen ORF-internen Bewerbern, die seinem Beispiel folgen, hat Wrabetz via Interview schon die seidene Schnur in Aussicht gestellt.
Beim potenziell gewichtigsten, Roland Weißmann, wurde die Machete ausgepackt – in der Tiroler Tageszeitung wurde er anonym als „Thomas Schmid des ORF“ benannt. Der versuchte politische Totschlag führte reihum zu Kopfschütteln. Weißmann, zweifellos gut im bürgerlichen Lager vernetzt, managt als Chefproducer seit zehn Jahren 400 Fernsehmillionen jährlich und verantwortet das Zukunftsprojekt ORF-Player. Wrabetz wollte den 54-Jährigen 2017 zum Finanzdirektor machen, was an der SPÖ scheiterte.
Thomas Prantner, als Erfinder der TVthek immer rührig in eigener Sache, werden Ambitionen als „bürgerliche Alternative“ nachgesagt. Das Streaming des JVP-Parteitags dort sorgte jüngst für so viel Aufregung, dass Wrabetz die Kompetenzen des 56-Jährigen beschnitt.
Als solche könnte sich auch Lisa Totzauer sehen. Die Bilanz der 51-Jährigen, mit starker Bindung nach Niederösterreich, ist als ORF1-Channel-Chefin durchwachsen. Die Diplomatie nach innen ist weniger stark ausgeprägt als die nach außen.
Im Namenpoker gespielt wurde zuletzt auch die Wiener Landesdirektorin Brigitte Wolf. Die 63-jährige könne frei, ohne groß Rücksicht nehmen zu müssen, agieren, meinte man. Bleibt die Frage für sie und andere: Will man das tatsächlich?
Von Rechnungshof zum Volksanwalt: Top-Jobs in Politik sind fix vergeben
Der Einfluss der Parteien in der staatsnahen Wirtschaft ist das eine – da gibt es aufgrund der Fülle an Posten immer etwas zu vergeben, siehe ÖBB, Asfinag, ÖBAG, ONB etc. So wurde im Juni ein Vorstandsposten der Bundesbeschaffungsagentur neu besetzt.
In Institutionen wie dem Verfassungsgerichtshof, dem Rechnungshof oder der Volksanwaltschaft suchen per Gesetz Parlament und Regierung das Spitzenpersonal aus.
Diese Posten sind zurzeit jedoch dünn gesät. So ist Christoph Grabenwarter seit Februar 2020 Präsident des Verfassungsgerichtshofs. Damit Verfassungsrichter unabhängig sind, gibt es keine Wiederbestellung. Sie bleiben Richter, bis sie 70 sind. Im Fall Grabenwarters ist das 2036.
Seit Juli 2016 ist Margit Kraker Präsidentin des Rechnungshofs. Sie ist für zwölf Jahre bestellt, erst 2028 stellt sich die Frage der Nachfolge.
Seit 1. Juli 2019 sind Werner Amon, Bernd Achitz und Walter Rosenkranz Volksanwälte. Ihre Periode läuft bis 2025, die Wiederwahl für weitere sechs Jahre ist möglich.
Immer wieder werden Top-Jobs in Ministerien, bei Heer, Polizei oder Justiz frei; zumeist durch Pensionierung, selten wegen Entlassung.
Der Sektionschefposten von Christian Pilnacek bleibt ihm erhalten, solange er suspendiert ist. Wolfgang Brandstetters Sitz im VfGH könnte vorzeitig frei werden.
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