ÖVP-Ministerin Edtstadler: "Angst habe ich sowieso nicht"
Karoline Edtstadler ist Ministerin für Europa und Verfassung (ÖVP).
KURIER: Das Info-Freiheit-Gesetz wird seit Jahren verhandelt, die NGOs wollen jetzt von Ihnen einen Zeitplan. Können Sie den liefern?
Karoline Edtstadler: Wir haben kürzlich in einem guten Gespräch mit den NGOs für Verständnis gesorgt, dass der Prozess ein langwieriger ist. Und es ist auch einer, für den es sich lohnt, sich Zeit zu nehmen. Wir arbeiten immerhin an einem Paradigmenwechsel. Einen Zeitplan können wir nicht liefern, weil es nicht von uns allein abhängt.
Wie weit sind Sie denn?
Es gilt, alle Sorgen und Einwände noch einmal abzuholen, das Geplante vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse zu reflektieren und mit den Legisten durchzugehen.
Konkreter gefragt: Welche Punkte sind schon abgehakt?
Es ist jetzt für alle klar, dass es diese Änderung braucht.
Die Errungenschaft ist also, dass die Leute überhaupt akzeptieren, dass das Amtsgeheimnis abgeschafft wird?
Das Amtsgeheimnis ist seit fast 100 Jahren in der Verfassung verankert. Ich finde es legitim, der Gesellschaft und der Verwaltung eine gewisse Zeit für ein Umdenken einzuräumen. Es braucht ein tiefes Verständnis für die Notwendigkeit der Info-Freiheit.
Informationsfreiheit
Schon die große Koalition hat versucht, das Amtsgeheimnis abzuschaffen und Behörden zu verpflichtet, allen Bürgern Auskunft zu geben. Anfang 2021 hat Türkis-Grün einen Entwurf zur Begutachtung geschickt, der viel Kritik brachte. Edtstadler tourte zuletzt für Gespräche mit dem grünen Vizekanzler Werner Kogler durchs Land, aber die Verhandlungen ziehen sich
Bundesstaatsanwalt
Im Februar 2021 hat sich Türkis-Grün im Lichte der jüngsten Skandale auf eine neue, unabhängige Justiz-Spitze geeinigt – plus Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung und Stärkung von Beschuldigtenrechten. Eine Arbeitsgruppe im Justizministerium hat Vorschläge erarbeitet, vieles widerspricht aber den Vorstellungen der ÖVP
Wird das noch was?
Ja, ich gehe davon aus, dass wir es in dieser Legislaturperiode abschließen.
Zum Thema Bundesstaatsanwalt: Sie haben nach dem Bericht der Arbeitsgruppe recht klar gesagt, was Sie wollen – und was nicht. Sind die Fronten mit der Justizministerin noch verhärtet?
Alma Zadić und ich haben vereinbart, dass jeder noch einmal eine Runde dreht. In der Arbeitsgruppe, deren Arbeit ich sehr schätze, war der Großteil der Vertreter aus dem Bereich der Justiz. Es ist aber ein Thema, das noch eine breite Einbindung braucht. Insofern gibt es weitere Gespräche, auch zu den Beschuldigtenrechten und der Verfahrensbeschleunigung.
Und bleibt’s dabei: Sie wollen eine monokratische Spitze, keinen Dreier-Senat?
Wenn ich von der Spitze rede, dann rede ich von einer Person und nicht von drei. Aus meiner Sicht wäre sonst die Verantwortung gegenüber dem Parlament nicht gegeben. Es liegt in der DNA der Staatsanwaltschaften, dass sie monokratische Behörden sind. Derzeit ist die Justizministerin an der Spitze der Weisungskette. Wenn man das auflösen möchte, muss es eben eine andere Person sein, die verantwortlich ist.
Zu den Beschuldigtenrechten hat die Rechtsanwaltskammer ein Gutachten von Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes präsentiert, das sich zu weiten Teilen mit den Forderungen der ÖVP deckt.
Ich habe schon vor mehr als einem Jahr gesagt, dass die Regelungen zur Sicherstellung von Handys auf die Höhe der Zeit gebracht werden müssen. Ein Handy ist etwas anderes als ein Messer oder ein Wasserglas, von dem man Spuren abnimmt. Ich bin daher sehr erfreut, dass die Wissenschaft und die Praxis das genauso sehen, und fühle mich bestätigt.
Haben Sie es der Justizministerin auf den Tisch gelegt?
Ja, wir sind dazu in gutem Austausch. Anfang des nächsten Jahres wird es dazu weitere Gelegenheiten geben.
Die Regierung hat Milliarden für Hilfspakete ausgegeben und viele komplexe Projekte auf den Weg gebracht. Wie frustrierend sind für Sie die miserablen Umfragewerte?
In der Politik muss die Frustrationstoleranz manchmal eine hohe sein. Und man muss von einem gewissen Willen getrieben sein, wenn man nicht untergehen möchte. Meine Maxime ist, dass ich am Ende des Tages in den Spiegel schauen kann, weil ich tue, was aus meiner Sicht richtig und notwendig ist.
Lebt man als ÖVP-Politikerin eigentlich in der ständigen Angst, dass wieder irgendein Chat auftauchen könnte?
Als Angst würde ich das nicht bezeichnen, und ich habe die sowieso nicht. Aber ja, es ist frustrierend, wenn die harte, kontinuierliche Arbeit immer wieder durch Dinge aus der Vergangenheit, mit denen man persönlich nichts zu tun hat, zunichtegemacht wird.
Warum distanziert sich die ÖVP dann nicht deutlicher von der Ära Sebastian Kurz?
Ich denke, es ist klar, dass Karl Nehammer als Kanzler und Parteichef einen ganz anderen Charakter und Führungsstil hat. Es sind auch viele Personalien verändert worden.
Gerald Fleischmann (früherer Kommunikationschef unter Kurz und „Mister Message Control“, Anm.) ist wieder da.
Ja, er ist ein exzellenter Manager und Pressesprecher. Ein Kanzler kann sich aussuchen, mit wem er arbeitet.
Was muss passieren, damit die ÖVP aus dem Umfragetief kommt?
Ich bin überzeugt, dass sich harte Arbeit auszahlt. Lassen Sie mich ein Beispiel aus meinem Bereich bringen: Wir verzeichnen heuer einen Rückgang von antisemitischen Vorfällen um rund ein Drittel. Das ist ein Erfolg , aber kein Grund die Hände in den Schoß zu legen. Jeder Vorfall ist einer zu viel. Ich denke, dass die Bürger diese Arbeit auch in anderen Bereichen am Ende sehr wohl sehen und Wahltag ist erst Ende 2024.
Böse Zungen behaupten, dass die ÖVP das Asylthema so hochspielt, um ihre Umfragewerte zu verbessern.
Ich brauche keine schlechten Umfragezahlen, wenn ich die Fakten am Tisch habe: 100.000 Aufgriffe, übervolle Quartiere etc. Es ist schlicht und ergreifend Zeit, bei diesem Thema etwas voranzubringen. Wir haben schon etwas erreicht: Es wird im Februar einen EU-Gipfel geben, es gibt zwei Aktionspläne der Kommission, ...
Also war die Provokation, Rumänien den Zugang zu Schengen zu verwehren, um Druck beim Asylthema zu machen, erfolgreich?
Es ging uns nicht darum, jemanden zu provozieren, sondern darum, dass man ein System, das nicht funktioniert, nicht erweitern kann. Wir haben seit der Migrationskrise 2015 Kontrollen an vielen Binnengrenzen. Ich habe den Traum von einem Europa ohne Grenzen nach innen, ich möchte erleben, dass wir keinen Stau am Walserberg haben. Aber das geht nur, wenn die Außengrenzen gesichert sind. Ein souveräner Staat gibt sich auf, wenn er nicht mehr weiß, wer hereinkommt.
Haben Sie das auch den Ungarn gesagt?
Ich lasse niemanden aus der Pflicht, europäisches Recht hat für alle zu gelten. Wenn wir Asylzahlen von 100.000 haben und in Ungarn sind sie im zweistelligen Bereich, dann kann etwas nicht stimmen.
Gesundheitsminister Johannes Rauch hat im KURIER-Interview Bezug nehmend auf die Zaun-Debatte gesagt, die ÖVP soll mit „unsinniger Symbolpolitik“ aufhören und sich „den echten Problemen“ widmen. Ihre Antwort?
Ich verstehe es als echtes Problem, dass wir in der EU kein funktionierendes Asylsystem haben und erlaube es auch nicht, diese Thematik auf das Schlagwort „Zäune“ zuzuspitzen. Das ist eine von vielen Maßnahmen, die es braucht. Ich denke, wir brauchen auch mehr Ehrlichkeit in dieser Debatte. Sigi Maurer (Grüne Klubchefin, Anm.) hat sehr treffend formuliert: Es braucht Ordnung und Humanität. Ich sage: Wenn es an den Außengrenzen nicht geordnet abläuft, dann ist auch keine Humanität gewährleistet.
Kurze Schlussfrage: Die Landeshauptleute haben ein Anhörungsrecht bei der Bestellung der ORF-Landeschefs. Ist das nicht seltsam?
Das ist nicht meine Materie. Die Länder haben auch bei den Landesverwaltungsgerichten ein Anhörungsrecht. Ich finde es in einem föderal organisierten Staat auch nichts Verwerfliches, wenn man hier Länderinteressen mitdenkt.
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