Sie sind in der Volkspartei wie Antipoden - zumindest bei der Frage, ob man Rumänien und Bulgarien den Beitritt zum Schengen-Raum verwehren kann und darf: Europaministerin Karoline Edtstadler und Othmar Karas, Vizepräsident des EU-Parlaments, haben vom KURIER fünf idente Fragen gestellt bekommen. Die Antworten könnten unterschiedlicher nicht sein:
Wieso blockieren wir Rumänien und Bulgarien? Vielleicht können die beiden Länder besser die Außengrenze schützen, als Ungarn das macht?
Karas: Österreichs Schengen-Veto gegen Rumänien und Bulgarien macht die Falschen zum Sündenbock. In Österreich wird die Blockade mit den hohen Asylzahlen argumentiert. Das ist leider eine totale Themenverfehlung. Ja, Österreich erlebt derzeit eine unverhältnismäßig hohe Belastung. Deshalb brauchen wir endlich ein gemeinsames EU-Asylsystem. Mit der Schengenerweiterung hat das aber nichts zu tun. Die Blockade des Beitritts von Rumänien und Bulgarien ändert an unseren Flüchtlingszahlen nichts.
Edstadler: Das Veto von Österreich richtet sich nicht gegen zwei Mitgliedstaaten, sondern zeigt auf, dass das System derzeit nicht funktioniert. Ein nicht funktionierendes System zu erweitern, anstatt es zu reparieren, ist weder effizient noch sinnvoll. Darüber hinaus müssen wir schon jetzt Bulgarien und Rumänien, die selbst einem hohen Migrationsdruck ausgesetzt sind, beim Schutz ihrer Grenzen als EU verstärkt unterstützen. Die geballte Kraft der EU ist gefragt, um gegen illegale Migration vorzugehen.
Wieso kritisieren wir nicht Ungarn, denn an der ungarisch-burgenländischen Grenze erfolgen ja die meisten Aufgriffe?
Karas: In der Tat sind die steigenden Asylzahlen eine Folge davon, dass viele Flüchtlinge über Serbien via Ungarn nach Österreich kommen und sie von Orban einfach durchgewunken werden. Ungarn hat eine EU-Außengrenze und wäre verpflichtet, jeden Flüchtling zu registrieren, der seine Grenze passiert. Auf eine Million Einwohner kam in Ungarn im August aber lediglich ein Asylantrag, auf eine Million Österreicher 1500 Anträge. Ungarn kommt seiner Verpflichtung nicht nach und schadet Österreich massiv.
Edtstadler: Österreich zeigt seit Monaten auf, dass es dringende Verbesserungen braucht. Das europäische Migrationssystem ist gescheitert. Und ja, dazu gehört auch, offen und ehrlich anzusprechen, dass es nicht akzeptabel ist, dass Österreich über 100.000 Asylanträge zu bewerkstelligen hat und andere nur einen Bruchteil. Wir nehmen uns kein Blatt vor dem Mund und sind froh, dass die von Österreich angestoßene Debatte zu mehr Dynamik in der europäischen Migrationspolitik geführt hat.
In Rumänien und Bulgarien reagieren viele erbittert und rufen zum Boykott österreichischer Produkte auf. Was sagen Sie diesen EU- Bürgern? Was unserer Wirtschaft?
Karas: Ich kann die Enttäuschung der rumänischen und bulgarischen Bevölkerung sehr gut verstehen. Für mich ist dieses Veto unverantwortlich. Die Länder erfüllen die Voraussetzungen für den Beitritt. Und weit über die betroffenen Länder hinaus zeigen die Reaktionen der Wirtschaft und der Politik: Mit dieser Blockade entstehen neue Probleme, während wir die aktuellen damit nicht lösen. Dieses Veto hilft uns bei den zweifellos drängenden Herausforderungen durch die illegale Migration nicht weiter.
Edstadler: Ich kann die Enttäuschung von Rumänien und Bulgarien durchaus nachvollziehen und es ist traurig, dass es solche Debatten braucht, um auf ein viel größeres, dahinter- liegendes Problem aufmerksam zu machen. Dennoch halte ich fest: Den sicherheitspolitischen Bedenken Österreichs mit der Ankündigung von wirtschaftlichen und bilateralen Konsequenzen zu begegnen, ist anti-europäisch und strikt zurückzuweisen. Wichtig ist, gemeinsam an der Reform des Migrationssystems zu arbeiten.
Österreich hat sich immer zum Fürsprecher der Balkanstaaten gemacht. Jetzt legt ausgerechnet Österreich ein Veto gegen diese Länder ein. Wie groß ist die Rufschädigung?
Karas: Diese Woche tagte der Vorstand der Europäischen Volkspartei im Europaparlament in Wien. Im Rahmen dieser Konferenz ist Österreichs Position auf viel Unverständnis gestoßen. So sieht keine konstruktive Europapolitik aus. Das stimmt mich sehr nachdenklich. Der Rückruf des rumänischen Botschafters aus Österreich illustriert die Tragweite dieser falschen Entscheidung.
Edtstadler: Unser Engagement für den Westbalkan hat damit nichts zu tun und bleibt ungebrochen. Österreich ist von Schengen-Staaten umgeben. 75 Prozent aller in Österreich aufgegriffenen Personen wurden vorher nicht registriert. Das könnte es bei einem funktionierenden Schengen-System nur geben, wenn diese Personen mit dem Fallschirm über Österreich abspringen. Unser Ziel ist, Schengen in voller Funktionsfähigkeit wiederherzustellen, damit Rumänien und Bulgarien so rasch wie möglich beitreten können.
Wie viel niederösterreichischer Wahlkampf steckt in der Veto-Entscheidung?
Karas: Als Politiker haben wir vor der Geschichte und vor den Menschen zu bestehen, nicht nur vor dem nächsten Wahltag. Wir sind auf die Verfassung angelobt, nicht auf ein Parteiprogramm. Ich möchte nochmals betonen: Ja, wir haben ein Problem. Das Gebot der Stunde ist es daher nicht, Schengen infrage zu stellen, sondern endlich ein gemeinsames EU-Asylsystem umsetzen. Das ist im ureigensten Interesse Österreichs, wir würden von einem solidarischen Verteilungsschlüssel enorm profitieren.
Edtstadler: Es handelt sich ausschließlich um eine sicherheitspolitische Entscheidung.
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