Chatprotokolle und ein Mega-Akt: „Ein Wettbewerb der Bloßstellung“
Ein Handy ist kein simpler Gegenstand. Ein Handy spiegelt ein ganzes Leben wider: Von Nachrichten, Fotos, Terminen, Flugtickets bis hin zum Diätrezept ist alles zu finden auf einem kleinen Gerät.
Dass für die Sicherstellung dieses Geräts aber die gleichen Regeln gelten wie für ein Messer oder ein Buch – das sei „nicht sachgemäß“, sagt Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes.
Sie hat mit Universitätsassistentin Shirin Ghazanfari ein Gutachten zum Thema „Sicherstellung und Auswertung von Datenträgern“ erstellt und am Montag im Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) präsentiert.
Unabhängig
Bevor Zerbes zum Inhaltlichen kommt, beteuern sie und ÖRAK-Präsident Armenak Utudjian erst einmal, dass es „keinen Zusammenhang zu konkreten Vorfällen der vergangenen Zeit“ gebe.
Das Thema sei viel breiter: Von den Defiziten, die sie gleich ausführen, könnte jeder betroffen sein, auch unbeteiligte Dritte. „Und das Handy wird bei so gut wie jedem Tatverdacht abgenommen“, sagt Zerbes.
Die Causen Ibiza, Casag und ÖVP stehen freilich wie ein Elefant im Raum. Schließlich hält das Handy von Ex-Finanz-General Thomas Schmid die Republik seit fast drei Jahren in Atem. Die Ermittlungen der WKStA haben die ÖVP außer Tritt gebracht und zuletzt auch die Medienbranche betroffen (Stichwort: Nowak und Schrom).
Weil jede generelle Kritik zum Thema Sicherstellung auch als spezielle Kritik an der WKStA verstanden werden könnte, betont Zerbes lieber noch einmal: „Ich bin unabhängig, ich stehe auf keiner Seite.“
Defizite
Im Kern geht es der Strafrechtsprofessorin um Transparenz und um Fairness, wie sie sagt: Für Sicherstellungen gelten traditionell niedrige Hürden (siehe Glossar), allerdings stammt die Regelung auch aus dem Jahr 2004. Damals habe niemand geahnt, welch breiten Einblick ein Handy einmal bieten würde, erklärt sie. Das erste iPhone kam 2007 auf den Markt.
Deutlich höhere Hürden gibt es bei der Telefon- bzw. Nachrichtenüberwachung, weil das schon immer als schwerer Eingriff in die Privatsphäre betrachtet wurde.
Hausdurchsuchung
Bei begründetem Verdacht und nach richterlicher Bewilligung können Ermittler einen Ort durchsuchen. Der Betroffene kann den gesuchten Gegenstand auch freiwillig herausgeben.
Sicherstellung
Dafür braucht es keinen Richter, die Staatsanwaltschaft bestimmt selbst, welche Gegenstände für das Strafverfahren relevant sind und wie sie den Inhalt, etwa eines Handys, auswertet. Ein Sonderfall sind Briefe und Papiere (Stichwort: Briefgeheimnis): Diese können versiegelt werden, dann muss ein Richter prüfen. Anwälte können auch ihre Handys bzw. Laptops versiegeln lassen, weil sie als Träger von Berufsgeheimnissen gelten.
Überwachung
Die Polizei überwacht die Kommunikation über Telefon bzw. Internet in Echtzeit, aber nur für einen begrenzten Zeitraum. Dafür braucht es eine richterliche Bewilligung, zudem prüft ein Rechtsschutzbeauftragter auch die Durchführung.
Aus Sicht von Zerbes wäre es nur logisch, das Niveau anzugleichen: Ein Kommunikationsgerät soll nur noch sichergestellt werden dürfen, wenn die Straftat mit mehr als einem Jahr Haft bedroht ist, wenn ein dringender Tatverdacht besteht und wenn ein Richter die Sicherstellung prüft, bewilligt und das auch begründen kann.
Die Staatsanwaltschaft soll dann von sämtlichen sichergestellten Daten eine bit-idente Kopie erstellen und dem Beschuldigten binnen 14 Tagen übergeben. Zerbes: „Viele wissen nicht mehr, was sie alles auf ihrem Handy oder in der Cloud haben. Es gehört aber zu einem fairen Verfahren dazu, dass ein Beschuldigter weiß, was die Justiz gegen ihn in der Hand hat.“ So könnte ein Beschuldiger die Staatsanwaltschaft auch auf Beweise aufmerksam machen, die ihn eher entlasten.
Hier klingt leise Kritik an der WKStA durch: Zerbes spricht auf Frage eines Journalisten von einer „Einschränkung des rechtlichen Gehörs“. Das Recht auf ein faires Verfahren sei immerhin in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert.
Geheimnisse
Ausgeweitet werden soll aus Sicht der Expertin auch das Recht auf Widerspruch von Beschuldigten, wenn sich auf seinem Handy Berufsgeheimnisse befinden – beispielsweise Korrespondenz mit dem Anwalt, aber auch mit Journalisten. Ein Richter soll die Geheimnisse vorab herausfiltern, damit sie gar nicht zum Akt kommen.
Zudem brauche es klare Regeln für Zufallsfunde: Sie sollen nur verwendet werden dürfen, wenn die strafbare Handlung dahinter auch Anlass für eine Sicherstellung geboten hätte. Wir erinnern uns: Mehrere Chats von Schmid haben zu weiteren Ermittlungen geführt.
Nächster Punkt: die Akteneinsicht. Wieder nennt Zerbes die Ibiza-Causa nicht beim Namen, dabei eignet sie sich als Beispiel recht gut. Mehr als 45 Beschuldigte aus verschiedenen Ermittlungssträngen sind in einen einzigen Akt gepackt – und dieser Akt ist für alle beteiligten Anwälte einsehbar.
Nun müsse man bedenken, so Zerbes: Die Beschuldigten sind untereinander oft Gegner. Sie könnten ein Interesse daran haben, dass der jeweils andere in der Öffentlichkeit schlecht dasteht und entsprechende Akten hinausspielen. „Das kann in einen Wettbewerb der Bloßstellung ausarten.“ Ihr Vorschlag wäre, die Akteneinsicht so zu beschränken wie bei Opfern oder Privatbeteiligten: Jeder liest nur, was ihn selbst betrifft.
ÖRAK-Präsident Utudjian will das Gutachten nun an das Justizministerium übergeben und hofft auf eine Reform. Die Regierung hat sich zumindest schon vorgenommen, im Zuge der Einrichtung eines Bundesstaatsanwalts auch die Beschuldigtenrechte zu stärken (der KURIER berichtete).
Kommentare