Brandstetter: "Chats, die im Strafakt nichts verloren haben"

"Völlig inakzeptabel" und "zum Kotzen": So bewertete Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter die Chats zwischen ihm und Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek, als diese im Juni 2021 publik wurden.
Zur Erinnerung: Pilnacek hatte sich bei ihm über VfGH-Kolleginnen ausgelassen: Eine solle „nach Kuba exportiert“ werden, die andere erinnere an eine "Müllfrau".
Brandstetter zog damals die Konsequenzen – und sich selbst als Richter des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) zurück. Gleichzeitig kritisierte der Strafrechtler aber die Tatsache, dass die Chats überhaupt an die Öffentlichkeit gekommen sind.
Gegen Brandstetter und Pilnacek ermittelt die Staatsanwaltschaft Innsbruck wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses im Zusammenhang mit einer Hausdurchsuchung bei Immobilieninvestor Michael Tojner. Besagte Chats wurde auf Pilnaceks Handy gefunden – die rassistischen und beleidigenden Äußerungen hätten mit dem Strafakt aber nichts zu tun und sollten öffentlich gar kein Thema sein, wandte Brandstetter ein.
Jetzt meldet sich der Ex-Verfassungsrichter nach langer Pause wieder zu Wort. Ihn stört, dass von solchen Leaks nun auch Journalisten – ORF-Chefredakteur Matthias Schrom und Presse-Chefredakteur Rainer Nowak (mehr dazu hier) betroffen sind. Das sei eine „neue Dimension“, sagt er im KURIER-Interview.
KURIER: Wie geht es einem, wenn man in der Früh die Zeitung aufschlägt und darin die eigenen SMS abgedruckt sehen muss?
Wolfgang Brandstetter: Natürlich ist es ein Problem, wenn man in der Zeitung Chats lesen muss, an die man sich selbst schon gar nicht mehr erinnern kann. Die Persönlichkeitsrechte und die Privatsphäre sind ja eigentlich verfassungsrechtlich geschützt und stehen in der Europäischen Grundrechtecharta. Und es ist ein Problem, das nicht mehr nur Politiker oder Ex-Politiker, sondern mittlerweile auch Journalisten betrifft – und damit ein weiteres Grundrecht, nämlich jenes auf Informationsfreiheit. Das ist eine neue Dimension.
Sie meinen Presse-Chef Rainer Nowak und ORF-Chef Matthias Schrom. Wie beurteilen Sie deren Causen?
Dass Chats in einem Strafverfahren ausgewertet werden und es dabei zu Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte kommt, ist normal, das gehört dazu. Hier geht es aber um Chats, die strafrechtlich überhaupt nicht relevant sind und die trotzdem in einem Akt zu finden waren und publik geworden sind.
So wie viele andere Chats auch, die im U-Ausschuss behandelt wurden. Der Verfassungsgerichtshof hat 2020 bestimmt, dass alles "abstrakt relevante" geliefert werden muss. War das ein Fehler?
Das kann man so nicht sagen. Aber wir haben da eine Diskrepanz: Die Judikatur des Obersten Gerichtshofes ist, dass Dinge, die mit dem Strafakt nichts zu tun haben, darin auch nichts verloren haben. Und die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist, dass dem U-Ausschuss alles zu liefern ist, was für den Untersuchungsgegenstand „abstrakt relevant“ ist. Das war ein Dammbruch.
Sie waren selbst beim VfGH – waren Sie an dieser Entscheidung beteiligt?
Nein, es hat an dieser Entscheidung kein Strafrechtler mitgewirkt. Aber die Auswirkungen auf das Strafrecht und die Grundrechte sind gravierend. Das Justizministerium hat sich in seiner Stellungnahme dagegen ausgesprochen, der VfGH hat die Problematik zwar erkannt, aber zugunsten des Parlaments entschieden.
Kann das korrigiert werden?
Ja, etwa durch legistische Maßnahmen oder die eigenen Höchstgerichte, bevor die Europäischen Gerichtshöfe korrigierend eingreifen, was durchaus passieren könnte. Es geht hier um derart gravierende Grundrechtseingriffe, so kann das nicht weitergehen.
Karriere
Wolfgang Brandstetter (*1957) war von 2013 bis 2017 auf ÖVP-Ticket Justizminister der rot-schwarzen Regierung. 2018 wurde der Strafrechtler von der türkis-blauen Regierung für den Verfassungsgerichtshof nominiert.
Bruch
Die Staatsanwaltschaft Wien erschien im Februar 2021 an seinem Arbeitsplatz im VfGH, stellte später Handy und Notebook sicher. Gegen Brandstetter und Justiz-Sektionschef Pilnacek, der damals suspendiert wurde, wird u. a. wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses ermittelt. Als im Juni dann noch rassistische Chats zwischen ihm und Pilnacek publik wurden, zog er sich als Verfassungsrichter zurück.
Was soll der Gesetzgeber tun? Die Veröffentlichung in den Medien verbieten?
In Deutschland ist man mit dieser Regelung durchaus erfolgreich, aber wir haben in Österreich eine eigenständige Rechtskultur. Einzelmaßnahmen einzuführen, wird nicht funktionieren, man müsste das Thema breit diskutieren.
Warum sind die Chats der Journalisten eigentlich publik geworden – es gibt doch das Redaktionsgeheimnis?
Das hilft nichts, wenn die Kommunikation am Handy eines anderen gefunden wird. Wir haben vielleicht ein Manko in der Strafprozessordnung: Bei Anwälten und Strafverteidigern ist die Kommunikation komplett immunisiert – egal, wo sie gefunden wird. Wir bräuchten eine Regelung, damit Geheimnisträger wie Journalisten gleichermaßen geschützt sind.
Sie sind selbst Beschuldigter in einem Strafverfahren. Wie ist der aktuelle Stand?
Strafverfahren sind nicht öffentlich, und an diese gesetzliche Vorgabe halte ich mich. Ich sage nur: Mein Verfahren läuft, das braucht seine Zeit, aber ich habe vollstes Vertrauen in die zuständigen Behörden in Innsbruck.
Ihr Handy wurde sichergestellt. Haben Sie Angst, dass die Staatsanwaltschaft darauf noch etwas findet?
Nein, diese Angst habe ich nicht. Das, was interessant sein könnte, ist ja alles schon publik geworden. Es ist völlig in Ordnung, dass die Behörde prüft, ob etwas dabei ist, das strafrechtlich relevant sein könnte.
Kurzer Exkurs: Die Regierung hat sich jetzt auf eine Reform des Maßnahmenvollzuges geeinigt. Was halten Sie davon?
Der Maßnahmenvollzug war mir in meiner Amtszeit ein großes Anliegen und ich freue mich sehr, dass das unter der jetzigen Justizministerin nun endlich geschafft wurde.
Kommentare