Wie Ex-Höchstrichter Brandstetter die Notbremse zog

Wolfgang Brandstetter und Christian Pilnacek
Mit seinem Rücktritt kam Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter einem möglichen Rauswurf aus dem Höchstgericht zuvor. Es ist der Schlusspunkt unter einer fortschreitenden Entfremdung

Er wollte Pilot sein, nicht Beifahrer. Also tat Wolfgang Brandstetter selbst den Schritt – und trat zurück.

24 Stunden lange habe er überlegt, dann den Austausch mit VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter gesucht. "Wir hatten ein langes Gespräch und der Präsident hat mich verstanden, warum ich mich als Richter am Verfassungsgerichtshof (VfGH) zurückziehe", sagt Brandstetter zum KURIER.

Mit 1. Juli will der frühere Justizminister, der damals auf einem ÖVP-Ticket in die Regierung kam, den Gerichtshof verlassen.

Aber lief das Gespräch tatsächlich so harmonisch ab? Brandstetter beharrt darauf, dass es keinen Druck gegeben habe. Glaubhaft ist diese Schilderung nur bedingt. Denn am Freitag hätte Brandstetter zum Rapport antreten müssen. Das Ansehen des VfGH stand auf dem Spiel. Und das schon zum zweiten Mal.

Nachdem gegen Brandstetter wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs ermittelt wird, warfen öffentlich gewordene Chat-Nachrichten des suspendierten Sektionschefs Christian Pilnacek ein zweifelhaftes Bild auf den Ex-Minister. In den Nachrichten äußerte sich Pilnacek despektierlich bis abwertend über VfGH-Kolleginnen und den Gerichtshof an sich.

„Gift und Galle“

Vor allem daran, also an der Veröffentlichung der Unterhaltungen zwischen ihm und Pilnacek, äußert Brandstetter nun Kritik. „Es tut dem Land nicht gut, wenn öffentlich mit Gift und Galle Menschen in öffentlichen Funktionen angegriffen und angepatzt werden.“ Ein privates Gespräch unter Freunden und öffentliche Äußerungen seien „gänzlich verschiedene Dinge“.

Ob es eine Formulierung in den Chatprotokollen gebe, die ihm im Nachhinein leidtue? „Nein“, sagt Brandstetter. Es seien Chats zwischen zwei Menschen gewesen, die schon lange freundschaftlich verbunden sind.

Wie Ex-Höchstrichter Brandstetter die Notbremse zog

„Wenn Pilnacek Frust abgelassen hat, wollte ich ihm als Freund nicht gleich mit dem Stellwagen ins Gesicht fahren. Es werfe der den ersten Stein, der noch nie in einer privaten Unterhaltung eine spaßhafte oder nicht ganz korrekte Bemerkung gemacht hat.“ Bei privaten Unterhaltungen dürfe man „nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen“. Aber Brandstetter verstehe, „wenn es jetzt ein problematisches Empfinden angesichts der Chats gibt“.

Warum Brandstetters Schritt Insider nicht überrascht

Für Insider kommt Brandstetters Schritt nicht überraschend. Denn das eingangs erwähnte Gespräch mit dem Präsidenten kann man als Ouvertüre für ein höchst unangenehmes Prozedere sehen. Die Einzel-Vernehmung eines VfGH-Richters ist der erste Schritt zum Amtsenthebungsverfahren. Dieses kann eingeleitet werden, wenn ein Richter sich durch sein Verhalten als des Amtes „unwürdig“ erweist oder die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit gröblich verletzt. Die Chats sowie der Verdacht, Interna des Gerichtshofs nach außen getragen zu haben, entsprechen diesen beiden Kriterien formal jedenfalls.

Die Demission des 63-jährigen Uni-Professors und Strafverteidigers ist der Schlusspunkt einer Beziehung, die von Beginn an schwierig war.

Brandstetter: von der Regierung an das Höchstgericht

Brandstetter war am VfGH schon vor der Chat-Affäre nicht sonderlich willkommen. Da hat zum einen damit zu tun, dass sein Fachgebiet das Straf- und eben nicht das Verfassungsrecht ist bzw. war. Und es hat damit zu tun, dass seine Bestellung mit einer eher unglücklichen Optik einherging: Nach fast 100 Jahren war Brandstetter 2018 der erste VfGH-Richter, der direkt – also ohne „Abkühlphase“ – aus der Bundesregierung an das Höchstgericht wechselte.

Formal ist der direkte Wechsel von der Regierungsbank in den VfGH nur angehenden Präsidenten und deren Stellvertretern verboten. Am Gerichtshof und auch in Juristen-Kreisen wurde der Job-Wechsel aber als, gelinde gesagt, unsensibel empfunden. Der Grund: In Fällen, in denen der Ex-Minister Gesetze kontrollieren musste, die von ihm selbst als Regierungsmitglied mitbeschlossen und -getragen wurden, lag es an den  Befangenheitsregeln des VfGH, Klarheit zu schaffen  – ein Ersatzrichter kam zum Zug.

In den Chats verabschiedeten sich Pilnacek und Brandstetter mit „Venceremos“, auf Deutsch: „Wir werden siegen.“ Es war im Spaß gemeint, eine Anspielung auf gemeinsame Reisen nach Kuba. Zumindest für Brandstetter hat sich der Gruß vorerst so nicht bewahrheitet.

Kommentare