Grüner Minister Rauch: "Hört auf mit unsinniger Symbolpolitik"
Im Frühjahr ist er als Gesundheitsminister eingestiegen, jetzt – angesichts von Krieg, Inflation und Energiepreise – ist er vor allem als Sozialminister gefordert: Johannes Rauch.
KURIER: Haben Sie schon einmal erlebt, wie es ist, arm zu sein?
Johannes Rauch: Nicht am eigenen Leib. Ich komme aus einer Familie mit sechs Kindern, mein Vater war Briefträger. Es waren einfache Verhältnisse, als Armut würde ich das nicht bezeichnen. Aber ich war lange Jahre in der sozialen Arbeit und weiß, was Armut ist. Das Allerschlimmste ist, dass man Gefahr läuft, seine Würde zu verlieren, weil man zum Bittsteller degradiert wird. Deshalb sage ich, es muss diesem Staat gelingen, dass niemand im Winter frieren muss und dass alle ein Anrecht auf einen angemessenen Lebensunterhalt haben.
Viele Menschen leben wegen der Teuerung schon seit Monaten am Limit. Wie sieht die Perspektive für das kommende Jahr aus?
Wir haben heuer vieles abfedern können, aber es könnte noch einmal schwierig werden. Im Frühjahr laufen bei vielen Menschen die Verträge von Strom- und Gaslieferanten aus und die neuen Vorauszahlungen der Landesenergieversorger werden in den Haushalten aufschlagen. Wir sind dafür gescholten worden, dass wir Geld mit der Gießkanne verteilen. Das geht nicht auf Dauer. Es ist unsere Aufgabe sicherzustellen, dass wir das Geld zielgerichtet dorthin bringen, wo es hinmuss.
Es wurden wegen Corona und Teuerung bereits Milliarden an Hilfen ausgeschüttet. Wie soll sich das noch ausgehen?
Das ist der Grund, wieso ich so auf der Erbschafts- und Vermögenssteuer herumreite; auch, wenn das aktuell nicht mehrheitsfähig ist. Wir müssen – und sei es nur temporär für fünf Jahre – gegensteuern. Es kann nicht sein, dass die Kosten der Krise auf jene abgewälzt werden, die ohnehin schon massiv darunter leiden. Es muss einen Beitrag von denen geben, die fulminant gut verdient haben. Das ist auch eine demokratiepolitische Frage. Wir können es uns nicht leisten, dass die Menschen den Glauben restlos daran verlieren, dass die Politik im Stande ist, ihre Lebensgrundlage zu verbessern. Wir sind verdammt nochmal dafür gewählt worden.
Die Erbschaftssteuer emotionalisiert, weil viele sich vorstellen, dann ist das Haus der Oma weg.
Wir reden ja nicht von 500.000 Euro und dass alles wegbesteuert wird, sondern von Milliardenvermögen mit derzeit null Besteuerung. Es gibt mittlerweile auch eine Vielzahl an Vermögenden, die das selber wollen.
Man merkt Ihnen an, dass Ihnen das wichtig ist. Aber wie geht es Ihnen dabei, wenn Sie im Nachsatz immer sagen müssen: „Das ist leider nicht mehrheitsfähig“?
Ich habe in meinen 34 Jahren in der Politik das Bohren der ganz dicken Bretter gelernt – und auch, dabei das Kämpferische und die Zuversicht nicht zu verlieren. Ich finde, man muss auch den Menschen den Eindruck vermitteln: Ja, es ist schwierig, aber wir werden das packen.
Bei manchen Brettern zahlt es sich aber gar nicht aus, den Bohrer anzusetzen, weil man mit dem Koalitionspartner ohnehin nicht durchkommt – wie eben bei der Erbschaftssteuer.
Diese Regierung wird oft unter ihrem Wert verkauft. Wir schaffen es trotz der extrem angespannten Krisenlage und unserer Unterschiede, viele Dinge auf den Boden zu bringen.
Stromkostenbremse
Seit 1. Dezember: Staat fördert Grundkontingent an Strom für alle Personen mit aufrechtem Vertrag. Die Maßnahme gilt bis Juni 2024.
Wohn- und Heizkosten
Ab 2023: 500 Mio. Euro Zuschuss für Geringverdiener, davon 50 Mio. zur Verhinderung von Delogierungen.
Valorisierung
Ab 2023: Familien- und Sozialleistungen werden jährlich an die Inflation angepasst.
Abschöpfung
Juli 2022 bis Dezember 2023: Energieunternehmen müssen für Gewinne im Zuge der Krise höhere Steuern zahlen. Die Einnahmen sind für soziale Ausgleichsmaßnahmen zweckgewidmet.
Dann kommen wir gleich zu Ihren Themen. Sie sind nicht begeistert von der Idee der Steuervorteile für arbeitende Pensionisten. Warum?
Weil dann jemand in der Pension beitragsfrei dazuverdienen kann und damit besser aussteigt als jemand, der kurz vor der Pension steht und regulär arbeitet. Ich wäre sofort dabei, wenn es gelingt, einen Anreiz zu schaffen, damit die Leute möglichst lange und gesund im Erwerbsleben bleiben – vielleicht finden wir da neue Modelle. Dazu braucht es aber entsprechende Arbeitsbedingungen, damit wir das auch schaffen.
Nächstes Thema: Ein Arzt hat unlängst im KURIER erzählt, dass er schon an Triage denkt und dass sterbende Menschen im Gangbett liegen. Was sagen Sie dazu?
Das sind dramatische Situationen, die will ich nicht haben. Ich habe ein Monitoring-System veranlasst, damit wir am Schirm haben, was in den Spitälern gerade los ist. Krankenhäuser sind zwar Landeskompetenz, aber es entspricht meinem Verantwortungsbewusstsein, dass ich mich auch darum kümmere.
Wie groß ist das Problem des Ärztemangels wirklich?
Das Problem ist nicht, dass wir zu wenige ausbilden, sondern die Verteilung. Viele Ärzte gehen nach der Ausbildung ins Ausland, weil Bezahlung oder Arbeitsbedingungen dort besser sind. Österreich ist als Standort in manchen Belangen nicht attraktiv genug.
Und wo bekommen wir dann das nötige Personal her?
Wir werden nicht umhinkommen, aktiv qualifiziertes Personal aus dem Ausland anzuwerben. Ich berate derzeit mit meinen EU-Kollegen, das europäisch zu organisieren. Neuseeland beispielsweise hat die Hürden für Zuwanderung in diesen Bereichen massiv gesenkt. In Österreich aber vermitteln wir permanent das Bild, dass wir nichts wollen, das von außen kommt. Und jetzt reden manche auch noch über Zäune und Mauern um Europa.
Haben Sie das auch dem Koalitionspartner so gesagt?
Ja, natürlich sage ich: Bitte hört auf mit dieser unsinnigen Symbolpolitik, stellt euch endlich den realen Problemen.
Ein reales Problem sind derzeit auch die grassierenden Infekte. Sind Sie immer noch sicher, dass wir keine Maskenpflicht brauchen?
Ja, bin ich. Ich habe rechtlich gar keine Möglichkeit, die Maskenpflicht zu verordnen, weil wir derzeit keinen corona-bedingten Notstand in den Spitälern haben.
Warum geht es dann in den Wiener Öffis?
Wenn einzelne Bundesländer strengere Regeln vorsehen, liegt es in deren Verantwortung, das so zu begründen, dass es rechtlich hält. Ich bin mir sicher, die Stadt Wien hat zuvor gewissenhaft geprüft.
Wann ist die Pandemie endlich vorbei?
Corona ist weiterhin da, wir werden diese kleinen Wellenbewegungen immer wieder haben. Die WHO geht mittlerweile aber davon aus, dass wir 2023 in die endemische Phase kommen. Wir bereiten uns auf einen guten, geordneten Übergang vor.
Wir haben im Vorfeld dieses Interviews nachgeschaut: Sie sind erst seit neun Monaten im Amt. Kommt es Ihnen auch länger vor?
Ja, wie neun Jahre.
Und bereuen Sie, dass Sie sich damals nicht in die Pension verabschiedet haben?
Nein. Der Start war heftig, aber ich mache den Job sehr gerne. Auch, weil ich das Gefühl habe, ich kann noch das eine oder andere bewirken.
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