Lopatka: "Das ist der große Unterschied zwischen mir und Lena Schilling"
In Umfragen liegt die ÖVP im Hinblick auf die EU-Wahl am 9. Juni weit hinter der FPÖ. Dennoch hat sich Spitzenkandidat Reinhold Lopatka das Ziel gesetzt, dass die ÖVP mandatsstärkste Partei wird.
KURIER: Wie viel Überzeugungskraft hat der Bundeskanzler benötigt, Sie als Spitzenkandidaten bei der EU Wahl zu gewinnen? Er hat einmal gesagt: "Es freut mich, dass Du Dir das angetan hast…."
Reinhold Lopatka: Er hat nicht viel Überzeugungskraft gebraucht. Mir war von meiner Jugend an Europa ein Herzensanliegen. Ich war schon ab den 80er Jahren mit Erhard Busek in Polen unterwegs; war dabei, als Solidarnosc begonnen hat für Freiheit, für Demokratie aufzustehen. Das hat mich geprägt, diese Aufbruchstimmung, diese Begeisterung, die es damals für Europa gab. Wir müssen alles tun, damit wir wieder zu dieser Begeisterung kommen. So wie beim Champions League Finale oder beim Eurovision Song Contest. Wir brauchen das auch in der Politik.
Bei den EU-Wahlen 2019 hat die ÖVP ein Rekordergebnis erzielt von 34 Prozent. Laut Umfragen wird sich das nicht wiederholen. Werden Sie dann diese mutmaßlichen Verluste auf Ihre Kappe nehmen?
Die letzte EU-Parlamentswahl fand unter außerordentlichen Rahmenbedingungen statt. Zehn Tage vorher gab es den Ibiza-Tiefpunkt für die Freiheitliche Partei, es war vor der Abwahl von Sebastian Kurz. Das hat natürlich zu einer enormen Mobilisierung geführt. Die Wahlbeteiligung ist von 46 auf beinahe 60 Prozent angestiegen. Diese Wahl ist also nicht vergleichbar. Bei anderen EU-Wahlen hatten wir immer eine Situation, wo ÖVP, SPÖ und FPÖ annähernd gleich stark waren. Mein Ziel ist es, mandatsstärkste Partei zu werden
Das ist eine sehr hohe Latte. In den Umfragen liegt jetzt die FPÖ vor der ÖVP – und bisher war die ÖVP immer die Europapartei. Ist jetzt die FPÖ die bessere Europapartei?
Das ist die FPÖ ganz sicher nicht. Die Freiheitliche Partei tut alles, um das Projekt Europäische Union schlechtzureden, sie spricht von Wahnsinn, von Irrsinn. Ihr Spitzenkandidat sagt: Das Europaparlament ist ein Irrenhaus. In dieser Legislaturperiode haben sie zweimal den Antrag eingebracht, Österreich solle die Beitragszahlungen an die EU aussetzen. Was heißt das? Das ist das Ende der EU. Als es zum Brexit kam, haben sie gejubelt und sofort einen Antrag eingebracht, Österreich solle eine Volksbefragung über den Austritt aus der Europäischen Union durchführen. Aber unser Wohlstand hängt ganz eng mit der Europäischen Union zusammen. Auch unsere Sicherheit. Mit dem spielt man nicht. Und daher kann ich nur appellieren an die Wählerinnen und Wähler: Denken Sie wirklich darüber nach, wem Sie Ihre Stimme geben. Eine wirklich verlorene Stimme, das ist eine Stimme für die FPÖ.
Bei dieser Wahl tritt Othmar Karas nicht mehr an. Er hat immer für die ÖVP einen großen Teil der Stimmen gebracht. Wie sehr wird das die ÖVP treffen, dass Karas nicht mehr an Bord ist?
Also wenn ich jetzt im Wahlkampf unterwegs bin, ist das kein Thema, auch in der Partei nicht. Ich kenne Othmar Karas sehr gut. Für mich ist er ein Thema, weil ich mit ihm beinahe täglich auch im Austausch bin: Ich habe seit zehn Jahren im Nationalrat den Vorsitz im Europaausschuss, und Othmar Karas war vom Europäischen Parlament für die nationalstaatlichen Parlamente in den letzten fünf Jahren als Vizepräsident des Europäischen Parlaments zuständig. Er hat die Entscheidung getroffen, nicht mehr zu kandidieren. Er war ein sehr profilierter Abgeordneter.
… und auch dafür bekannt, dass er selten mit der eigenen Fraktion mitgestimmt hat. Wird das unter Ihnen anders werden?
Othmar Karas hat in nicht einmal 20 Prozent der Fälle gegen uns gestimmt. Außerdem ist das Europaparlament etwas völlig anderes als nationalstaatliche Parlamente. In den nationalstaatlichen Parlamenten hat man die Regierungsparteien und die Oppositionsparteien. Das gibt es auf Europaebene nicht. Da kommt es immer wieder vor, dass Abgeordnete nicht mit der eigenen Partei abstimmen.
Also wird es unter Ihnen anders?
Othmar Karas war nicht Delegationsleiter. Ich gehe davon aus, dass ich Delegationsleiter bin, und unsere Abgeordneten werden nicht gegen mich stimmen.
Ausführliches KURIER TV-Interview mit Reinhold Lopatka
Was wollen Sie in den nächsten Jahren erreichen? Was ist Ihr Schwerpunkt?
Wir brauchen mehr Europa, vor allem, wenn es um den Binnenmarkt geht. Der Wirtschaftsstandort Europa ist massiv unter Druck, aber wir brauchen auch eine Balance zu den – berechtigten – Umweltanliegen. Es bedarf immenser finanzielle Ressourcen, um den notwendigen technologischen Umstieg zu schaffen und zugleich die Industrie und Wirtschaft in Europa zu schützen. Der Binnenmarkt ist erst zu 30 Prozent umgesetzt. Im Interesse der Umwelt ist es natürlich, möglichst viel vom Verkehr auf die Schiene zu bringen. Aber solange ich 600 nationalstaatliche Bestimmungen, unterschiedliche Stromsysteme und Spurweiten habe; solange auf europäischer Ebene verlangt wird, dass in jedem Land der Lokomotivführer die Landessprache spricht, solange werde ich es nicht schaffen, die Schiene im Vergleich zum Flugverkehr, aber auch zum Straßenverkehr konkurrenzfähig zu machen.
Und der Verbrennermotor müsste verschwinden, um die Co2-Bilanz zu verbessern. Sie sind ja gegen das Verbrennerverbot…
Der Verbrennungsmotor ist jetzt die heilige Kuh für alle. Schauen Sie sich die weltweite CO2 Bilanz an. Europa hat hier einen Anteil von 8 Prozent. Und von diesen 8 Prozent macht der Verkehr wiederum nur 20 Prozent aus. Die Hälfte davon ist der PKW Verkehr. Das sind 0,8 Prozent. Also damit rette ich das Klima nicht. Ich bin für einen technologieoffenen Zugang. Ich bin dafür, dass man nicht von der Politik her ex cathedra verkündet: 2035 gibt es nur mehr eine technologische Lösung – den Elektromotor. Den gesamten Bereich der grünen Verbrenner, den Wasserstoff lässt man weg. Das kann es doch nicht geben.
Auf Österreich bezogen ist der Verkehr ein riesiges Problem. Wir schaffen es hier nie, den Treibhausgasausstoß zu senken. Also was muss passieren? Weniger Autofahren, mehr Radfahren?
Wir müssen alles tun, um den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen. Dafür gibt es auch Milliardeninvestitionen. Aber es gibt auch einen riesigen Unterschied zwischen städtischem und ländlichen Bereich. Ich komme aus dem ländlichen Bereich. Ich fahre immer mit dem Auto zum Bahnhof und dort mit dem Zug weiter. Im ländlichen Bereich darf man den Menschen die Mobilität nicht nehmen. Ich schaffe im ländlichen Bereich keinesfalls eine Infrastruktur, wo ich auf den privaten PKW verzichten kann - außer man will den Menschen dort ihre Mobilität nehmen. Individualverkehr zurückdrängen, wo es möglich ist. Es gibt aber genug Bereiche, wo es nicht möglich ist.
Der Verbrenner Motor ist auch das beste Beispiel dafür, warum es die Industrie in Europa so schwer hat. Weil man erst sagt: Ab 2035 kein Verbrenner-Motor mehr. Dann heißt es: okay, jetzt anders. Wie soll sich die Autoindustrie einstellen, wenn Europa nicht klare Linien vorgibt?
Die Europäische Kommission hat von Anfang an gesagt, dass man 2026 evaluieren muss, ob das Zieldatum 2035 hält. In Wien habe ich mehr Möglichkeiten, um Elektroautos aufzuladen, als im gesamten Rumänien. Haben Sie sich einmal die Zahlen von Europa angesehen? Es sind nur vier Länder, die 80 Prozent der Infrastruktur für Elektromobilität haben.
Aber bis 2035 ist noch Zeit.
Wir brauchen dafür 25 Prozent mehr Strom. Wie schaffen wir das? Wir brauchen mehr als das Zehnfache an Lithium. Wissen Sie, wo das Lithium jetzt herkommt? Vor allem aus Chile. Wir brauchen das Vierfache an Kobalt. Wo kommt das her? Aus dem Innersten von Afrika. Ich will damit nur sagen: Wir brauchen mehr Ehrlichkeit, weniger Ideologie, weniger Moralisieren.
Stehen Sie hinter der EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen? Zuletzt waren Ihre Antworten dazu vage.
Wenn Sie mich jetzt fragen, wer Kommissionspräsident wird, ist es zu früh, weil zuerst die 27 Regierungschefs am Zug sind. Und wer immer von den Regierungschefs hier genannt wird, hat meine Zustimmung.
Fragen wir anders: Ist Ursula von der Leyen aus Ihrer Sicht eine gute Kommissionspräsidentin?
Sie ist eine gute Kommissionspräsidenten. Ich hätte mir aber mehr Balance gewünscht zwischen den berechtigten Interessen der Umwelt und den notwendigen Interessen für den industriellen Wirtschaftsstandort. Da war sie mir zu einseitig.
Warum ist die Europa-Stimmung in unserem Land so schlecht?
Das ist wirklich schade. Wir müssten viel mehr darauf hinweisen, wie sehr Österreich vom EU-Beitritt profitiert hat. 6 von 10 Euros, die wir verdienen, verdienen wir durch Exporte. 70 Prozent davon gehen in den Euro, und seit unserem Beitritt konnten wir diese Exporte vervierfachen. Der Beitritt zur Europäischen Union hat sich gerechnet. Zweitens: Niemand hätte gedacht, dass wir in Europa wieder Krieg haben. Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union mit diesen gegenseitigen Beistandsverpflichtungen nach Artikel 42 EU-Vertrag nützt uns nicht nur, sondern schützt uns auch, was unsere Sicherheit betrifft. Allein diese zwei Punkte müssten den Österreicherinnen und Österreichern sehr viel Wert sein. Wir müssen mehr tun, um diese großen Leistungen, die in der Vergangenheit in der Europäischen Union möglich waren, auch sichtbar zu machen
Es gibt zwei Bereiche, wo ich allerdings massive Fehlentwicklungen sehe. Man hat zu lange die illegale Migration nicht als Problem erkannt. Der Asyl- und Migrationspakt hätte viel früher kommen müssen. Und der zweite Punkt: Es ist zu einer Explosion der Bestimmungen gekommen.
Stichwort Lena Schilling: Sie haben gesagt, wenn Sie in ihrer Lage wären, würden Sie den Rücktritt anbieten. Warum? Was ist ihr denn konkret vorzuwerfen?
Wenn mir die Parteifreunde sagen würden, der Schaden ist größer als der Nutzen, würde ich das natürlich akzeptieren. Aber das ist Sache der Grünen, wie sie damit umgehen. Ich habe Schilling und den Grünen nichts empfohlen. Aber das sind schwere Vorwürfe: Ich kann Ihnen nicht völlig grundlos vorwerfen, dass bei Ihnen zu Hause häusliche Gewalt herrsche. Wo kommen wir da hin? Noch nichts von dem ist bisher dementiert worden. Die Grünen fordern auf EU-Ebene als einzige Partei sogar eine eigene Ethikbehörde, die sich den Charakter der Abgeordneten ansehen soll. Der große Unterschied zwischen mir und Lena Schilling ist der, dass sie sagt: Auf der einen Seite gibt es die Politik und auf der anderen Seite die Privatperson.
Das sagt auch der Bundespräsident
Für mich ist der Charakter Grundvoraussetzung für die Politik. Ich finde, das kann man nicht trennen.
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