NR-Präsident Sobotka: "Waren ja nie gesinnungsneutral"

Club 3 mit Wolfgang Sobotka
Wolfgang Sobotka will die militärische Neutralität Österreichs behalten und findet, dass Putin nicht ganz Russland repräsentiert. Seine Rolle als Ex-Minister und U-Ausschussvorsitzender verteidigt er.

Wir stehen unter dem Eindruck des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Hätten Sie mit Krieg gerechnet?

Wolfgang Sobotka: Nüchtern betrachtet, ja. Putin hat schon 2007 davon gesprochen, dass der Zerfall der UdSSR der größte Schock seines Lebens war. Wenn man seine einzelnen Schritte seither – Georgien, Tschetschenien-Krieg, Krim-Annexion – betrachtet, dann war klar, dass Putin die Mittel der Gewalt nicht scheut.

Viele ehemalige Spitzenpolitiker sind in russischen Unternehmen tätig. Ex-Kanzler Kern hat zuletzt seine Funktion im Aufsichtsrat der russischen Staatsbahn zurückgelegt; Ex-Kanzler Schüssel sitzt hingegen weiterhin im Aufsichtsrat von Lukoil.

Man muss das unterschiedlich bewerten: ob ein Unternehmen wie Lukoil an der Börse in London notiert ist und gar nicht mehrheitlich in russischer Hand, oder ob es ein Unternehmen in hundertprozentigem Staatsbesitz ist. Wir sollten schon alle unsere Beziehungen zu den Menschen in Russland aufrechterhalten. Es ist eine Nomenklatura, die ein perfides Spiel spielt, aber es ist nicht Russland. Da sollten wir sehr genau unterscheiden. Hinter Putins Entwicklung steht sicher nicht nur ein autokratisches Bestreben, sondern auch ein gewisses Sicherheitsbedürfnis – auch das muss man verstehen.

Aussagen von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka im Club 3

Wäre jetzt nicht jetzt der Zeitpunkt gekommen, die Neutralität zu hinterfragen?

Da rütteln Sie an den Staatssäulen. Das halte ich nicht für angebracht. Gerade in einer Zeit der Krise müssen sich die Menschen verlassen können, dass bestimmte Fundamente unverrückbar sind.

Wir bewegen uns im Rahmen der EU-27, tragen alles mit. Was bedeutet da noch Neutralität?

Wir sind mit unserer neutralen Position gut gefahren, konnten uns als Standort für internationale Organisationen gut positionieren. Es geht um eine militärische Neutralität, nicht um eine der Gesinnung. Auch im Kalten Krieg waren wir nie gesinnungsneutral. Wir haben es jetzt mit einer ganz neuen Situation zu tun: ein brutaler Überfall auf ein anderes Land. Die letzten kriegerischen Auseinandersetzungen waren ja Zerfallsprozesse und Unabhängigkeitsbewegungen. Wir werden neue Erkenntnisse gewinnen, wie sich die EU positioniert, wie wir uns positionieren.

Video: Club 3 mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka

Die EU hat Sanktionen gegen Russland verhängt. Sind sie hart genug?

Ziel muss sein, Russland in die Schranken zu weisen. Wir müssen aber auch aufpassen, dass bei uns die Öfen nicht ausgehen und die Lieferungen für die Industrie nicht ausbleiben. Derzeit laufen die Gaslieferungen. Aber wir müssen mittelfristig Alternativen aufbauen. Beim Strom sind wir da sehr weit, bei der Industrie sind wir ganz am Anfang. Vieles wird durch Krisen vorangetrieben, denken wir nur an den Digitalisierungsschub durch die Pandemie.

Wie soll sich Österreich bezüglich Flüchtlingen aus der Ukraine verhalten?

Das Ziel ist natürlich, dass die Menschen in der Ukraine bleiben und dass sie ihr Land verteidigen und ihre Identität wahren. Aber natürlich gibt es die Bereitschaft, Menschen, die nach Österreich kommen, aufzunehmen und zu unterstützen.

Club 3 mit Wolfgang Sobotka

Themenwechsel zur Innenpolitik: Sie stehen sehr in der Kritik, weil Sie den Vorsitz im bevorstehenden ÖVP-U-Ausschuss nicht abgeben wollen.

Ich möchte alles dazu beitragen, dass wir nüchterner und sachlicher arbeiten als beim letzten Ausschuss. Der Ausschuss ist keine Gerichtsverhandlung – und der Vorsitzende kein Richter. Meine Aufgabe ist ausschließlich, für einen ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen. Wenn Mitarbeiter aus früheren Tätigkeiten aussagen, werde ich mich vertreten lassen. Es wird nicht möglich sein, mit permanenten Unterstellungen jemanden rauszukicken. Dann könnte man genausogut die Zweite Präsidentin und den Dritten Präsidenten rauskicken. Und wer soll es dann machen? Das haben wir schon einmal gehabt – 1933.

Der Vergleich war jetzt interessant.

Es ist in der Dimension natürlich nicht vergleichbar, aber formal der Sache nach. Man muss das ja auch im Gesamtzusammenhang sehen: Kurz muss weg, Klubobmann Wöginger muss ausgeliefert werden, Sobotka muss weg, die ÖVP muss weg. Da ist ja eine Geschichte dahinter.

Club 3 mit Wolfgang Sobotka

Ein Netzwerk, das gegen die ÖVP agiert?

Es ist ein politischer Angriff, ja.

Als ehemaliger Innenminister kommen Sie in den Chats vor. Es gab offenbar eine richtige Interventionsliste.

Da geht es um Anliegen von Bürgern. Für solche Dinge ist die Politik da. Ich bin gewählt, um mich für die Leute einzusetzen.

Es ging aber auch um Postenbesetzungen.

Ich habe als Innenminister nie gesagt: Der muss es werden. Sondern: Schaut euch den an. Ich habe mich auch für Rote, für Blaue, für Grüne eingesetzt.

Die Sideletters der Koalitionen zwischen ÖVP und FPÖ wie zwischen ÖVP und Grünen zeigen aber doch ein strukturelles Problem: dass Personalia vorab besprochen wurden.

Bundeskanzler Nehammer hat deutlich gesagt, dass das künftig transparent gemacht werden soll. Es gibt nur einen Haken: Wenn sich zum Beispiel jemand für einen Höchstrichter-Posten bewirbt, und er wird es nicht, dann ist er der Loser. Es ist eine Abwägung: Was muss ich öffentlich machen und was muss ich vertraulich halten. Ich würde vorschlagen: Wenn wir den Vertraulichkeitsschutz brauchen, dann muss jemand von außen drauf schauen, ob der Vorgang sauber abläuft. Wir wollen nicht, dass sich bei öffentlichen Ausschreibungen niemand mehr bewirbt. Wir haben jetzt schon bei Bürgermeistern zu wenig Kandidaten, weil sich die Leute das nicht mehr antun wollen. Ähnlich ist es bei Schuldirektoren.

In Waidhofen an der Ybbs, Ihrem Heimatort, hat die ÖVP 19 Prozent verloren, die Impfgegnerpartei MFG 17 Prozent gewonnen. Was bedeutet das eigentlich für künftige Koalitionen auf Bundesebene?

Die jetzige Koalition arbeitet ihr Programm ab – jetzt denkt niemand an Neuwahlen. Am U-Ausschuss wird keine Koalition scheitern. Die Österreicher wollen, dass die Regierung arbeitet.

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