Nehammer: Oligarchen wird das Leben in Europa erschwert
Nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine wird die Situation von Stunde zu Stunde dramatischer. Russische Bodentruppen haben inzwischen die Hauptstadt Kiew erreicht.
Was die Situation für Österreich bedeutet, darüber beriet heute der Nationale Sicherheitsrat. Bundeskanzler Karl Nehammer gab im Anschluss an die Sitzung ein Pressestatement ab.
Die Sitzung habe zum Ziel gehabt, die Menschen, die in Österreich zu leben, bestmöglich zu schützen, erklärte Nehammer eingangs. In den vergangenen 48 Stunden habe sich die Sicherheitslage in historischem Ausmaß verändert. "Faktum ist: Es herrscht Krieg."
Es habe niemand mehr für möglich gehalten, dass in unseren Breiten ein Land ein anderes Land mit einer Offensivstreitmacht überfällt. "Die militärische Aggression, die Wucht und Heftigkeit zeichnen ein schreckliches Bild", sagt Nehammer - und führt vor Augen, dass die Ukraine mit 44 Millionen Einwohnern ein riesiges Land sei.
"Waffen in beiden Händen"
Im Europäischen Rat sei man sich gestern einig gewesen, dass es in Europa keinen Krieg geben darf - und wenn sich dem jemand widersetzt, dann müssten die demokratischen Rechtsstaaten mit wirtschaftlicher, nicht mit militärischer Gewalt antworten.
Dialogbereitschaft sei wichtig, sagt Nehammer - "und ich verspreche als Bundeskanzler, alles dafür zu tun, dass das möglich sein wird". Allerdings habe man es hier mit einem Gesprächspartner zu tun, "der in beiden Händen Waffen trägt. Damit ist keine Hand frei für einen Dialog".
Kanzler Nehammer verdeutlicht noch einmal die Dramatik der Ereignisse: Bei der russischen Invasion in der Ukraine handle es sich um einen "massiven Bruch des Völkerrechts", einen "allumfassenden Krieg". Es seien Zivilisten bedroht - Frauen, Kinder und Männer - und es werde auch wenig Rücksicht genommen auf zivile Infrastruktur.
Nehammer: "Während wir hier reden, erlebt die Ukraine ihre schwersten Stunden."
"Fassungslos, aber nicht hilflos"
Er erzählt, dass er gestern mit dem ukrainischen Präsidenten telefoniert hat. In der Nacht gab es dann im EU-Rat eine Liveschaltung in den Bunker, in dem sich Wolodymyr Selenskyj derzeit mit seinem Stab aufhält. "Es war ein Moment der Stille im EU-Rat. Alle Regierungschefs waren mehr als beeindruckt, auch sicher fassungslos. Das entscheidende ist: Wir waren fassungslos aber nicht hilflos."
Das "massivste Sanktionspaket in der Geschichte der europäischen Union" sei beschlossen worden, sagt Nehammer, "und das wird auch für uns als Mitgliedsstaaten schmerzhaft sein". Nachsatz: "Aber dieser Schmerz, den wir wirtschaftlich erleiden, ist nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den gerade die ukrainische Bevölkerung im Krieg und im Terror erleidet."
Zum Paket folgendes: Die Luftfahrt-, Weltraum- und Schifffahrtsindustrie würde durch ein Verbot vom Transfer technischen Know-hows schwer getroffen. Zudem wurde beschlossen, dass es für Flugzeuge, die in Russland im Personenverkehr im Einsatz sind, keine Ersatzteile mehr geliefert werden.
Russen in Österreich
Es seien Maßnahmen, die auch in die Oligarchen-Szene hineingehen, schildert Nehammer. Eingeschränkt werde ihre Reisefreiheit und ihr Zugriff auf Vermögen. "Diese Personen halten sich sehr gerne in den schönsten Städten Europas auf - Wien, Paris, Rom - und genießen das Leben. Das werden wir ihnen erschweren."
Das Vermögen der Oligarchen wird eingefroren und sie werden aus den europäischen Ländern ausgewiesen. Der französische Präsidenten Emmanuel Macron habe berichtet, dass rund um den Élysée-Palast viele namhafte russische Oligarchen leben und das bald nicht mehr tun werden.
Ob und wie viele Russen in Österreich betroffen sein könnten, konnte Nehammer noch nicht sagen. Es gebe aber eine europäische Liste mit Namen. Weiters werde es keine Diplomatenpässe und Dienstpässe mehr geben, sondern eine Visapflicht.
Mit diesen Maßnahmen hofft die EU, ein Umdenken im Umfeld von Präsident Putin zu erreichen. Der Konflikt sei auch anders zu lösen. "Es gibt viele vernünftige Menschen in Russland", so Nehammer.
Putin habe sich verspekuliert, sagt Nehammer: "Er ist davon ausgegangen, dass die EU tut, was sie immer tut: sich in Diskussionsprozessen zu verlieren. Diesmal nicht."
Unterdessen hat der Kreml Vergeltung für die westlichen Sanktionen angekündigt (siehe unten) - die Rede ist von "symmetrischen und asymmetrischen Vergeltungsschlägen". Nehammer meint, dass es sich einerseits um Importe aus Russland handeln könnte, die "absolut verkraftbar" seien. Die asymmetrischen Schläge könnten Cyberattacken, Cyberspionage und Wirtschaftsspionage sein. Darauf seien die österreichischen Dienste vorbereitet, versicherte er.
Beschluss zu Swift-Ausschluss
Im Nationalen Sicherheitsrat wurden insgesamt drei Anträge beschlossen, zwei davon einstimmig. Der Nationale Sicherheitsrat ist ein beratendes Gremium und kann an sich nichts beschließen, Nehammer bekannte sich aber als Regierungschef zu den dort abgestimmten Anträgen.
Alle Fraktionen, bis auf die FPÖ, stimmten erstens für einen etwaigen Ausschuss Russlands bei Swift, wenn es eine Einigung dazu auf EU-Ebene gibt. Diese gab es gestern im EU-Rat noch nicht (mehr dazu hier). Kanzler Nehammer zeigte sich überzeugt, dass der Swift-Ausschluss nicht die entscheidende Sanktion sei. Das bisher Beschlossene werde Russland massiven Schaden zufügen.
Landesverteidigung soll aufgestockt werden
Österreich werde als neutrales Land die Landesverteidigung stärken - das wurde heute beim Nationalen Sicherheitsrat von allen Fraktionen beschlossen. Zuletzt sei das Budget des Heeres von Ministerin Klaudia Tanner aufgestockt worden. Dieser Kurs gehöre fortgesetzt.
Nehammer: "Wichtig ist das klare Bekenntnis aller Fraktionen im Parlament, dass es dieses Mehr-Investment in die österreichische Landesverteidigung braucht."
Den Antrag auf Stärkung der Landesverteidigung hatte die Opposition geschlossen eingebracht. Das bestehende Defizit des Bundesheeres müsse beseitigt werden, damit es die umfassende Landesverteidigung gewährleisten könne, forderten SPÖ, FPÖ und NEOS unter Hinweis auf den Ukraine-Konflikt, aber auch die Corona-Pandemie - und die Vertreter der Regierungsparteien ÖVP und Grüne stimmten ihnen zu.
Der dritte Antrag, getragen von allen Fraktionen, verurteilt die Angriffe auf die territoriale Souveränität der Ukraine und fordert den Abzug aller russischen Truppen und Verbände von ukrainischem Staatsgebiet.
Ergebnisse des EU-Rats
In der Früh war Nehammer war zu Gast im Ö1-"Morgenjournal" und sprach dort ebenfalls über die kommenden EU-Sanktionen für Russland. Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten haben einem umfangreichen Sanktionspaket gegen Russland zugestimmt. Die Strafmaßnahmen betreffen unter anderem die Bereiche Energie, Finanzen und Transport. Zudem soll es Exportkontrollen für bestimmte Produkte sowie Einschränkungen bei der Visavergabe geben.
Die Diskussionen zu den Sanktionen seien Donnerstagabend im EU-Rat sehr intensiv gewesen, das nun vorgelegte Sanktionspaket sei sehr "umfassend", so Nehammer, vor allem im Bereich der Hochtechnologie. Das treffe Russland hart, weil es große Industriebereiche für Luftfahrt, Seefahrt und Weltraumtechnik habe. Auch Ausrüstungsgegenstände für die Erdölindustrie werde es aus der EU nicht mehr geben.
Unangetastet bleibt vorerst das das Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift. Ein Swift-Ausschluss hätte zur Folge, dass russische Finanzinstitute quasi vom globalen Finanzsystem ausgeschlossen würden. Bei Swift sei die Expertenmeinung gewesen, dass ein Ausschluss Russlands nicht die nötigen Konsequenzen hätte, so Nehammer.
Erstens habe Russland ein eigenes Zahlungssystem und zweitens würde Russland sofort auf das chinesische Zahlungssysteme umsteigen. "Aber 70 Prozent der russischen Banken sind jetzt von schweren Sanktionen betroffen", sagte Nehammer. "Das Sanktionsregime ist so intensiv und so heftig, wie noch nie."
Was Gaslieferungen aus Russland betrifft, wolle man vor Sanktionen Alternativen aus dem arabischen und afrikanischen Raum gewinnen, um die kurzfristige Energieversorgung sicherstellen zu können, so Nehammer.
Sichtbar geworden sei durch die Verhandlungen: "Die EU-27 sind so geschlossen wie nie. Und aus unserer Sicht hat sich die Russische Föderation und Präsident Putin klar verkalkuliert."
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