EU setzt "härteste Sanktionen der Geschichte" durch
"Das gehört zu den dunkelsten Stunden Europas seit dem Zweiten Weltkrieg", schlug EU-Außenbeauftragter Josep Borrell dramatische Töne an, kurz nachdem Donnerstagfrüh die befürchtete Nachricht eingetroffen war: Es ist wieder Krieg in Europa. Bis vor kurzem kaum vorstellbar, schlugen in der Ukraine russische Raketen und Bomben ein.
Auf diese Aggression hat die EU nun mit einem umfangreichen Sanktionspaket geantwortet. "Es wurde 'das härteste Sanktionspaket', das die EU je beschlossen hat", sagte Borrell. Die Strafmaßnahmen betreffen unter anderem die Bereiche Energie, Finanzen und Transport.
In aller Eile waren die EU-Regierungschefs, darunter auch Kanzler Karl Nehammer, am Donnerstagabend zu einem Sondergipfel in Brüssel angereist.
Das Ziel: Einigung auf die nächste Sanktionswelle, mit der Russland zur Abkehr von seinem Kriegskurs gezwungen werden soll. Gedacht ist dabei nun daran, den Zugang wichtiger russischer Banken zu den europäischen Finanzmärkten zu kappen. Sie sollen sich in der EU künftig kein Geld mehr ausleihen und auch kein Geld mehr verleihen können.
Auch die Refinanzierung von russischen Staatsunternehmen in der EU soll verhindert werden. Ihre Aktien dürfen künftig nicht mehr in der EU gehandelt werden. Und um zu verhindern, dass reiche Russen versuchen, Geld in der EU in Sicherheit zu bringen, sind Anlagebeschränkungen geplant. "Es wird zu schweren Einschränkungen für den Finanzbereich in Richtung EU, in Richtung Westen kommen", sagte Nehammer.
Die genauen Details zu den EU-Strafmaßnahmen werden erst mit dem Inkrafttreten am Freitag öffentlicht bekannt gegeben.
Ausschluss aus Swift vorerst kein Thema
Der Ausschluss Russlands aus dem globalen Zahlungssystem Swift war dagegen laut Nehammer vorerst "kein Thema". Im Auge habe die EU bei ihren Sanktionen zudem speziell den russischen Energiesektor, sagte ein EU-Beamter.
Weiters soll künftig wichtigen Bereichen der russischen Wirtschaft der Zugang zu Schlüsseltechnologien und Märkten verwehrt werden. So wird ein Exportverbot von Chips und Hoch-Technologie an Russland eingeleitet.
Bei den Sanktionen gegen den Transportsektor geht es vor allem darum, die russische Luftverkehrsbranche von der Versorgung mit Ersatzteilen und anderer Technik abzuschneiden. Damit könne man mit relativ kleinem Aufwand riesige Wirkung erzielen und ganze Flotten auf dem Boden halten, hieß es.
Auch Russlands Nachbar und Alliierter, Belarus, muss mit weiteren Sanktionen rechnen. Das Regime in Minsk zieht bei der russischen Invasion auf den Nachbarn militärisch mit.
Gesperrte Vermögen
Darüber hinaus werden die erheblichen russischen Vermögenswerte in der EU eingefroren. Diese Maßnahme hat der eine oder andere russische Oligarch bereits zu spüren bekommen. Erst am Mittwoch war eine Sanktionswelle losgelassen worden, die sich vor allem gegen Politiker, und Armeeangehörige richtet.
"Wir verurteilen die beispiellose militärische Aggression gegen die Ukraine auf das Schärfste", teilten die 27 Staats- und Regierungschefs geschlossen mit. Weniger geschlossen waren Europas Spitzenpolitiker aber auch gestern in der Frage, ob nicht doch sofort die allerheftigsten Sanktionswaffen gegen Russland gezogen werden sollten.
Vor allem die baltischen Republiken, Estland, Lettland und Litauen, drängen auf volle Härte – etwa den Ausschluss Russlands vom Swift-System. Nehammer hielt dem Ruf nach noch härteren Strafen jedoch entgegen: "Jede einzelne Maßnahme kann noch zusätzlich verschärft werden."
Kremlnahe Oligarchen
Unklar ist auch weiterhin: Wessen Name kommt nach den bereits 571 Russen auf der EU-Sanktionsregister als Nächstes auf die Liste? Einige Oligarchen in Kremlnähe dürfen es auf jeden Fall sein, war aus EU-Kreisen zu hören.
Präsident Vladimir Putin selbst aber wird es vorerst nicht sein, bestätigte Nehammer. Der Kremlherr werde als "Ansprechpartner" für Verhandlungen gebraucht, sollten sich doch noch Gespräche für einen Weg zu Frieden auftun.
Ob die nun härtere Sanktionsrunde Kremlherrn Putin davon abbringt, die Ukraine zu erobern, bleibt abzuwarten. Wie entschlossen er ist, hat bereits EU-Außenbeauftragter Borrell mit Sorge angedeutet: "Eine große Atommacht hat ihren Nachbarn angegriffen und sie droht jedem Staat Vergeltung an, der ihm zu Hilfe kommen will."
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