Erreichbar sind all diese Ziele allerdings nur, wenn die Ukraine komplett kapituliert. Militärisch ist das für Moskau machbar, da die russischen Streitkräfte den ukrainischen überlegen sind, allerdings nicht binnen Kurzem und nicht ohne Verluste. Die meisten Militäranalysten gehen davon aus, dass dies keine Frage von Tagen, sondern eher von zwei bis drei Wochen ist, sagt Mangott.
Und selbst dann wird es für Moskau nicht einfach – die jetzige Regierung würde sich nach einer Kapitulation wohl nicht auf eine "Finnlandisierung" der Ukraine, sprich aufgezwungene Neutralität, einlassen. Russland würde darum wohl die jetzige Führung um Wolodimir Selenskij inhaftieren – "mit Exekutionen rechne ich nicht", sagt Mangott – und eine Marionettenregierung installieren. Als möglicher Präsident einer solchen wird Viktor Medwedtschuk gehandelt. Der Oligarch, der auch Chef der ukrainischen Oppositionspartei "Für das Leben" ist, gilt als persönlicher Freund Putins.
Partisanenkriege
Eine vom Kreml abhängige Regierung hätte allerdings das Problem, dass massiver ziviler Widerstand bis hin zu Partisanenkriegen zu erwarten seien – eine echte Legitimierung durch eine Wahl ist ja kaum denkbar. Vor allem im Westen sei massiver Widerstand zu erwarten: "Die Sowjetunion hat nach 1945 mehr als zehn Jahre gebraucht, um den bewaffneten Widerstand in der Westukraine zu beenden", gibt Mangott zu bedenken. Da die USA schon vor Wochen angekündigt haben, eine Widerstandsbewegung finanziell, mit Waffen, logistisch und mit Aufklärung zu unterstützen, wären Guerillakriege über lange Zeit die Folge. "Russland muss das Land also besetzen und nicht nur einnehmen", sagt der Experte – eine Marionettenregierung würde sofort aus dem Amt gejagt werden, sobald die russischen Soldaten nicht mehr in Kiew seien.
Die Ukraine wäre also eine höchst unsichere Neueroberung für Putin. "Wie er die Ukraine tatsächlich halten will, erschließt sich mir nicht", sagt Mangott. Dazu kommt, dass es selbst in Putins engstem Zirkel einige gibt, die mit seiner Entscheidung, in den Krieg zu ziehen, keine Freude haben – vor allem im wirtschaftsliberalen und technokratischen Flügel fürchtet man die finanziellen und sozialen Folgen.
Und auch in der Bevölkerung ruft der Krieg nicht mehr dieselbe Euphorie hervor wie die Krim-Eroberung im Jahr 2014, im Gegenteil. Es gebe "großen Unmut mit dieser militärischen Eskalation, der noch wachsen wird, je höher der Blutzoll ist", sagt Mangott. Allein, Proteste werde es kaum geben, denn denen begegnet Moskau so massiv wie nie zuvor. Seit zwei Jahren hat Putin in einer repressiven Welle Oppositionelle aus dem Land vertrieben und Andersdenkende inhaftiert. Es scheint, sagt Mangott, "als ob er sich für den wachsenden inneren Unmut wegen der hohen Verluste im Krieg und der sozialen Konsequenzen der westlichen Sanktionen vorbereiten wollte."
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