ÖVP-Ministerin Edtstadler: "In der Politik und beim Golf ist Ehrgeiz oft hinderlich"
Sie wollte EU-Kommissarin werden, doch die Nominierung ging zu Gunsten von ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner aus. Ihr Verhältnis zu ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer gilt als distanziert: Karoline Edtstadler, ÖVP-Ministerin für Verfassung und EU, über ihren Listenplatz, die Themen des Wahlkampfs und ihre beruflichen Ambitionen.
KURIER: Sind Sie nach der Nominierung von Magnus Brunner enttäuscht?
Karoline Edtstadler: Nein, ich bin froh, dass die Grünen ihre Blockadehaltung aufgegeben haben und die Entscheidung gefällt ist. Magnus Brunner ist ein Kollege, mit dem ich immer sehr gut zusammengearbeitet habe. Er trägt Europa auch im Herzen und wird sicher großartige Arbeit leisten. Ich wünsche ihm ein gutes Portfolio.
Haben Sie Magnus Brunner schon gesprochen seit der Nominierung?
Ich habe ihm gratuliert.
Was macht es für einen Eindruck auf die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, wenn Österreich einen Mann vorschlägt, obwohl Sie einen Zweiervorschlag mit Frau und Mann haben wollte?
Das kann ich nicht beurteilen. Ich gehe davon aus, dass es Gespräche im Vorfeld gegeben hat. Dass Österreich eben nur einen Namen nennt - das war auch bisher so. Auch als Johannes Hahn verlängert wurde, gab es den Wunsch nach einem Zweiervorschlag von von der Leyen.
Ich habe schon sehr früh in meiner Laufbahn am Gericht gesagt: Wenn ein Posten ausgeschrieben ist, sich mehrere interessieren, dann kann es dennoch nur eine Person werden. Ich habe schon früher nicht verstanden, dann enttäuscht oder genervt zu sein deshalb.
Haben Sie den Umgang in der Politik gelernt?
Einen pragmatischen Umgang?
Ist das Pragmatismus?
Ich habe die Einstellung schon immer gehabt. In der Politik ist das eben visibel, weil Entscheidungen offen kommuniziert werden.
Ist durch die Nominierung zum EU-Kommissar die Koalition in ihrer Arbeit jetzt wieder konstruktiver?
Ich hoffe, dass wir die Handydatensicherstellung noch umsetzen können. Es liegt an der grünen Justizministerin Alma Zadić, die Stellungnahmen einzuarbeiten und an uns heranzutreten, welche Änderungswünsche sie hat. Ich finde es aber bizarr, dass sie einen Entwurf vom Justizministerium, an dem wir substanziell nichts geändert haben, durch den zuständigen Justiz-Ausschuss bringt und den dann wieder zurückzieht. Das ist mir in meiner siebenjährigen Tätigkeit in der Politik noch nicht untergekommen.
Ist Alma Zadić unprofessionell?
Das Vorgehen ist zumindest wenig akkordiert, denn ich bin davon ausgegangen, dass sie mit den Key-Playern den Entwurf durchgeht. Dass Zadić vor der Kritik einknickt und sich derartig beeindrucken lässt, ist irritierend.
Man kann alles diskutieren! Die Hauptkritik ist, dass die Polizei die Aufbereitung durch forensische Beamten – getrennt von den Ermittlern – vornehmen soll. Es gibt offenbar Mentalreservationen gegenüber der Polizei, die ich nicht nachvollziehen kann. Ich wäre offen dafür, dass die Daten gerichtlich ausgewertet werden. Es gibt auch andere Beispiele in der StPO, in der es gerichtliche Beweisaufnahmen gibt.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Etwa Lokalaugenschein, Tatrekonstruktion oder kontradiktorische Vernehmungen. Die werden nicht von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft, sondern vom Gericht durchgeführt.
Ich habe ihn quergelesen und stoße mich nicht an den Schwärzungen, weil es Dinge gibt, die nicht offengelegt werden sollen. Meine Kritik war, dass man den Bericht erst nach Tagen veröffentlicht hat. Das ist aus meiner Sicht kein transparentes Vorgehen.
Welche Schlüsse ziehen Sie nun aus dem Bericht?
Der Auftrag war, zu überprüfen, ob höchste Beamte und Sektionschefs versucht haben, Einfluss auf die Justiz zu üben. Wenn es diese Vorwürfe gibt, dann ist aber auch die Justizministerin höchst selbst gefordert, dieses Vorgehen rasch abzustellen. Am Ende einer Legislaturperiode einen solchen Bericht zu bekommen, wäre für mich als Verantwortliche ein Alarmsignal.
Wäre Karoline Edtstadler Justizministerin, was würde Sie dann in den verbleibenden Wochen machen?
Ich muss vorausschicken, dass ich den Bericht nicht im Detail studiert habe, da er nicht mein Ressort betrifft und zudem der Untersuchungszeitraum ein langer war. Man müsste sich jedenfalls anschauen, ob die Personen noch in der Justiz tätig sind oder die Vorwürfe auf eine Person gemünzt sind.
War Christian Pilnacek ein guter Sektionschef?
Er war ein herausragender Jurist, hatte die Dinge im Griff und hat seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefördert. Pilnacek war auch seinen Justizministern gegenüber zu 100 Prozent loyal. Ich habe ihn sehr für seine fachliche Expertise geschätzt.
Manche sagen, er war den Ministern gegenüber zu loyal, hat Dinge getan, die außerhalb des rechtlichen Rahmens waren.
Aus meiner Sicht war er ein extrem korrekter Jurist und hat die Grenze sehr genau gekannt.
Martin Kreutners Conclusio aus dem Bericht ist, dass Österreich einen Generalbundesstaatsanwalt benötigt. Das Argument der ÖVP und Ihres ist, dass dadurch eine parlamentarische Kontrolle fehlt. Lässt sich beides miteinander vereinen?
Ja, es gibt ein geeignetes Modell. Man muss sich nur darauf einigen, dass die Weisungsspitze losgelöst von der Bundesministerin, dem -minister eine Person verantwortlich ist. Eine Person, die die Entscheidung trifft. Es wird immer damit argumentiert, dass der Druck auf einen allein so groß wäre. In jedem Ministerium, aber auch z. B. im Rechnungshof, steht eine Person vorne, die sich im Parlament verantworten muss. Warum sollte das in der Justiz nicht funktionieren? In einem Zweier- oder Dreier-Senat gibt es keinen alleinigen Verantwortlichen.
Können Sie jemanden nennen, der Bundesstaatsanwalt werden könnte?
Das möchte ich nicht, aber es gibt Spitzenjuristen in Österreich, die diese Rolle unkorrumpierbar ausüben können.
Trauen Sie sich die Funktion zu?
Darüber habe ich noch nie nachgedacht, es soll aber eine politisch unabhängige Person sein.
Wollen Sie Justizministerin werden?
Ich interessiere mich stark für Justizpolitik, als Verfassungsministerin und als ehemalige Richterin betrifft es mich auch, aber es ist nicht mein Bestreben, Justizministerin zu werden.
Was ist Ihr Bestreben denn dann nach der Wahl als Listenerste in Salzburg und Vierte auf der Bundesliste?
Ich werde meine ganze Kraft in den Wahlkampf legen und versuchen, ein gutes Ergebnis für die ÖVP, insbesondere in Salzburg, zu erzielen. Es geht darum, die Menschen zu überzeugen, dass wir vieles geschafft haben. Dass wir trotz der Krisen vieles im Regierungsprogramm abgearbeitet haben und holy cows angegangen sind, wie die Abschaffung der kalten Progression oder des Amtsgeheimnisses. Wir sind Vorreiter im Kampf gegen Hass im Netz und im Kampf gegen Antisemitismus. Wir müssen eine Schlussrechnung anstellen – und so schlecht ist das Ergebnis nicht.
Verstehen Sie, warum man mit und nach Corona so gut Politik machen kann wie die FPÖ?
Wir dürfen nie vergessen, dass das schmerzhafte Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen waren, dass es sich um eine absolute Ausnahmezeit gehandelt hat und wir daher jetzt umso mehr die Freiheit des Einzelnen fördern wollen. Ich wünsche keinem, derartige Maßnahmen setzen zu müssen, wie es damals während der Pandemie notwendig war. Offensichtlich sind es wahltaktische Überlegungen der FPÖ, diese Spaltung weiter voranzutreiben, um Wähler zu gewinnen, aber sinnvoll für ein gutes Miteinander ist das ganz und gar nicht.
Was tut die ÖVP konkret für ein gutes Miteinander?
Karl Nehammer hat das in seinem Österreichplan klar gemacht: Es geht um Leistung, Familie, Sicherheit. Unter diesen Schlagworten verbirgt sich ja viel mehr: Sicherheit geht von der physischen Sicherheit einer Frau nachts auf der Straße bis hin zur Sicherheit, die Grenzen Europas zu schützen. Es ist notwendig, die Leistung zu adressieren und zu sagen, dass nur durch sie der Wohlstand gewahrt werden kann. Familie ist mittlerweile bunt und für sie muss ein Rahmen geschaffen werden, zu dem auch gehört, dass Väter und Großeltern beispielsweise in Karenz gehen.
Also mehr Gebote denn Verbote?
Es geht um Freiheiten und darum, die links-grüne Bevormundung zurückzudrängen. Von wegen, man könnte dem Klimawandel nur begegnen, indem man sagt: Autofahren ist böse, Fliegen ist ganz pfui und am besten sollte man nie mehr Fleisch essen. Mir geht es darum, Anreize zu schaffen, um die Menschen mitzunehmen. Wir liegen weltweit auf Platz 6, was die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen betrifft. Ich habe in den vergangenen Jahren als für die Koordinierung zuständige Bundesministerin stets versucht, alle Beteiligten in diesem Prozess mitzunehmen, denn jeder kann einen Beitrag für eine nachhaltige Gestaltung unserer Zukunft leisten – und das ist uns gelungen.
Der trend tituliert Sie als „Königsmörderin“ des Kanzlers. Wer will Ihnen ans Zeug flicken?
Das müssen Sie jene fragen, die vermeintlich aus einem Vier-Augen-Gespräch zitieren. Diese Zuschreibung ist weder zutreffend noch besonders charmant.
Ehrgeiz ist eine Charaktereigenschaft, die Ihnen oft zugeschrieben wird. Trifft Sie auch zu?
Bei Frauen ist Ehrgeiz immer negativ konnotiert, während es bei Männern nie etwas Böses ist. Diese Ungleichbehandlung besteht immer noch. Mir ist schon als Kind gesagt worden, dass ich ehrgeizig bin, ich sehe darin nichts Böses. Wenn man zielstrebig ist und verfolgt, wofür man steht, dann ist das nichts Negatives.
Wenn man so zielstrebig ist, wie Sie sich selbst beschreiben, wo sind Sie dann 2025? In der Politik oder in der Wirtschaft und kommen in fünf Jahren wieder?
Ich glaube, in der Politik und beim Golf hilft Ehrgeiz nicht, um ans Ziel zu kommen. Es ist oft hinderlich. In der Politik muss man einstecken können und bereit sein, für das Kollektiv eintreten zu wollen. Diese Bereitschaft habe ich, aber nicht mit der ganz konkreten Vorstellung: Genau das muss es sein. Ich stehe weiter zur Verfügung, wenn das gewünscht ist. In welcher Form, das werden die Wahlen und die Verhandlungen zeigen.
Wäre Nationalratspräsidentin etwas für Sie?
Nihil petere, nihil recusare. Mein Zugang war immer: Nichts anstreben, nichts ausschließen. Ich bin oft gefragt worden, ob ich tatsächlich in den Nationalrat gehen würde. Selbstverständlich gehe ich in den Nationalrat. Ich habe als Richterin in der Judikative gearbeitet, ich bin jetzt in der Exekutive als Ministerin und bewerbe mich nun erstmals für die Legislative in Österreich.
Was permanent ausgeschlossen wird, das ist eine Regierung mit FPÖ-Chef Herbert Kickl. 2019, Sie waren gemeinsam in der Regierung, sagten Sie über ihn: "Ich schätze ihn sehr, weil er zuhört und reflektiert." Wann kam es zur Zäsur?
Ich habe ihn damals als Staatssekretärin im Innenministerium besser als viele andere kennenlernen dürfen und weiß, dass er jemand ist, der Grenzen nicht sieht. Zum Beispiel bei der Ablehnung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Er hat sich seit seiner Abberufung radikalisiert und ist mit Corona in eine die Persönlichkeit verändernde Entwicklung gegangen, die auch dem Land nicht guttun würde. Deshalb schließe ich für mich aus, am grünen Ministerratstisch mit ihm zu sitzen.
Sollte der selbsternannte Volkskanzler Kickl Kanzler werden, denken Sie, es kommt zu Demonstrationen wie bei Schwarz-Blau 1999 und Sanktionen? Oder ist es ob Orban oder Meloni anders geworden?
Ich kann mich auch an die Szenen 2019 erinnern, als der Ballhausplatz nach dem Ibiza-Video voll war mit Demonstranten. Die Menschen gehen natürlich auf die Straße. Und weil Sie Giorgia Meloni ansprechen: Sie hat sich als absolute Pro-Europäerin etabliert und ist weit weg von dem, was ihr unterstellt worden ist.
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